Ralf W. Schmitz, Jürgen Thissen: Neandertal: Die Geschichte geht weiter

Bücher mit paläoanthropologischen Inhalt haben eine recht kurze Halbwertszeit: Was man auch diesem Buch anmerkt. Vor allem Zeitangaben sind mit Vorsicht zu genießen und jeder weitere Fund kann bisherige Einschätzungen umstoßen. Dies ist auch hier so, allerdings erzählen die Autoren im zweiten Teil des Buches vor allem ihre eigene Forschungsgeschichte, die mit den Grabungen im Neandertal von 1997 und 2000 ihren Höhepunkt fanden (und auch erfolgreich waren).

Der erste Abschnitt des Buches ist den Funden von 1856 gewidmet, dem Einsatz einiger Fachleute (insbesondere von Hermann Schaafhausen und Johann Carl Fuhlrott) diesen Fund betreffend und dem nachlässigen Umgang mit den Ausgrabungen (der aber erst die Geschichte der beiden Autoren ermöglicht hat). Dabei empfand ich die romanhafte Schilderung als ausnehmend störend (ich pflege auch keine historischen Romane zu lesen), die dem Ganzen wohl eine lebendige Note verleihen sollten. (Ich will gar nicht behaupten, dass das schlecht gemacht sei, aber ich will in einem Sach- oder Fachbuch Informationen und keine nett ausgedachten Histörchen.)

Dann werden persönlicher Werdegang und die Bemühungen der Autoren geschildert, aufgrund neuer Erkenntnisse nochmal im ehemaligen Steinbruch des Neandertals auf Fossilienjagd gehen zu können. Dabei wird zwischen den Zeilen deutlich, wie sehr Wissenschaft vom persönlichen Engagement, von der Lust an der Forschung lebt (dies sei vor allem jenen ins Stammbuch geschrieben, die da – wie Habermas – von einem “technischen Erkenntnisinteresse” schwafeln, das einzige der “Verwertbarkeit” diene). Wissenschaft ist Neugier, ist Begeisterung für eine Sache und für den einzelnen nur in Ausnahmefällen von rein ökonomischen Interessen geprägt (ohne ganz persönliche Hingabe ist Forschung wahrscheinlich gar nicht möglich). Schmitz und Thissen jedenfalls können ihre Träume verwirklichen (die Erzählung über Widerstände und Zufälle bei dieser Verwirklichung ist gelungen) und haben schließlich Erfolg (sonst wäre dieses Buch auch kaum geschrieben worden): Sie finden Teile jenes Schutts aus der Grotte, der damals achtlos verfrachtet wurde und können somit – u. a. durch die spätere Genomanalyse – zu einem erweiterten Gesamtbild des Neandertalers beitragen.

Ein kurzes, übersichtliches Glossar ergänzt das Buch, das mit den erwähnten Einschränkungen eine angenehme Lektüre darstellt. Die Zeitangaben zu den Neandertalern und vor allem ihr Verwandtschaftsgrad mit dem Homo sapiens (und der Frage, ob es sich beim Neandertaler um den Homo sapiens neandertalensis oder um einen Homo neandertalensis handelt) sind immer noch unklar und Gegenstand von Auseinandersetzungen (nachzulesen in der Wikipedia), die Darstellung aus dem Buch muss daher ein wenig ergänzt werden. Trotzdem immer noch lesbar.


Ralf W. Schmitz, Jürgen Thissen: Neandertal: Die Geschichte geht weiter. Heidelberg, Berlin: Spektrum 2002.

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