Pääbo erzählt dabei auch von seinem eigenen beruflichen Werdegang: Von seinem für ihn teilweise unbefriedigenden Medizinstudium, von seiner Idee, die DNA längst verstorbener Menschen zu analysieren (dabei dachte er an ägyptische Mumien) und seinem langsamen Wechsel zur Päläogenetik, der mit der Analyse des Genoms ausgestorbener Tierarten begann. Es ist aber auch eine Geschichte der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Methode, die da erzählt wird, von der aufreibenden Detailarbeit (insbesondere die Paläogenetik hat ständig mit Verunreinigungen zu kämpfen, nur wenige Prozent der analysierten DNA gehören der untersuchten Art an, der Rest den verschiedenen, zersetzendene Bakterien und – vor allem bei der Analyse alter menschlicher DNA äußerst lästig – stammt von jenen, die den Fund entdeckt, ausgegraben, bearbeitet und archiviert haben). Sehr viel häufiger analysiert man die DNA eines Museumskurators als die desjenigen, dessen Knochen zur Untersuchung anstehen.
Dazu gibt Pääbo auch Einblick in das wissenschaftliche Konkurrenzdenken, in den Kampf um Geldmittel, Untersuchungsmöglichkeiten, in – vor allem in der Paläontologie ausgeprägten – Richtungsstreitigkeiten (etwa zwischen Paläontologen und Paläogenetiker) und in das Wettrennen, wer nun als erster eine bestimmte, vielleicht entscheidende Erkenntnis in einer der anerkannten Wissenschaftszeitung veröffentlichen kann. Unter diesem Druck bleibt die wissenschaftliche Genauigkeit und Sorgfalt nicht selten auf der Strecke, die zahlreichen reißerischen Überschriften (gerade die Genetik betreffend) sind Zeugen dieser Auseinandersetzungen.
Einen solchen Wettkampf war auch das Team um Pääbo ausgesetzt, nachdem sie gut erhaltene Knochen aus den kroatischen Fundstellen von Vindija und Krapina erhalten hatten: Erstmals war es ihnen gelungen, nicht nur mitochondriale DNA nachzuweisen, sondern auch jene aus dem Zellkern (der Unterschied im Umfang ist enorm: Mitochondrien-DNA umfasst etwa 17 000 Basenpaare, die Kern-DNA des Menschen etwa 3 Milliarden). Doch zu Beginn des Jahrtausends standen immer leistungsfähigere Methoden zur Bestimmung zur Verfügung und so kündigten Pääbo und seine Gruppe 2006 an, dass sie innerhalb von wenigen Jahren die gesamte Neandertaler-DNA sequenziert haben würden. Ein mehr als ambitioniertes Vorhaben, dessen Verlauf auf spannende und faszinierende Weise dargestellt wird: Unzählige technische Probleme, politische Querelen, Hoffnung auf Geldgeber, Angst vor der Konkurrenz u. v. m. Pääbo gelingt es schließlich, dieses Rennen zu gewinnen und den wissenschaftlichen Ruhm für sich und seine Gruppe einzuheimsen, auch wenn – und dies zeugt davon, dass Wissenschaft nicht an Mythen, sondern an Fakten orientiert ist – das Ergebnis mit Pääbos Erwartungen nicht übereinstimmt: Entgegen seinen Annahmen stellte sich heraus, dass der heutige Mensch etwa 2 – 4 % Neandertaler-DNA in sich trägt (wobei der Anteil bei der afrikanischen Urbevölkerung am geringsten ist). Dies deutet auf eine weitere Bestätigung der „Out-of-Africa“-Hypothese hin; die relativ kleine Gruppe, die sich aus (vermutlich) Ostafrika vor etwa 100 000 Jahren auf den Weg gemacht hat, scheint sowohl im Nahen Osten als auch in Europa auf den Homo neandertalensis gestoßen zu sein und mit ihm fruchtbare Nachkommen gezeugt zu haben. Und auch ein Vermischung mit dem Denisova-Menschen – einige hunderttausend Jahre zuvor – konnte nachgewiesen werden, dieser Tatsache ist das letzte Kapitel gewidmet.
Ein spannendes und informatives Buch über unsere Herkunft, über die wissenschaftliche Arbeit (und deren vorhandenem/nicht vorhandenem Ethos), das jedem, der an dieser Thematik interessiert ist, nur wärmstens empfohlen werden kann.
Svante Pääbo: Die Neandertaler und wir. Meine Suche nach der Urzeit-Genen. Frankfurt a. M.: Fischer 2014.
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