Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit

Kein anderes Werk von Erasmus von Rotterdam hat einen so großen Bekanntheitsgrad wie das „Lob der Torheit“: Einzig die „Adagia“, eine Sammlung antiker Weisheiten hat bis ins 19. Jahrhundert eine ähnliche Verbreitung erfahren (wird heute aber kaum noch gelesen).

Die Torheit singt hier ihr eigenes Lob, sie behauptet, für das Glück, das Leben an sich unabdingbar zu sein und bringt für diese Ansicht zahlreiche Beispiele. Wobei Erasmus vor allem die Gelehrten – und noch mehr – die Theologen im Visier hat, die Scholastiker, die durch Worte allerhand zu beweisen sich unterfangen, doch im Grunde nur lächerliche, unglückliche Figuren sind. Allerdings muss diese Kritik aus historischer Perspektive betrachtet werden: Erasmus war es um die Kritik des Katholizismus zu tun, der durch allerlei sophistische Feinheiten eine Lehre zu verteidigen sucht, dessen Repräsentanten (insbesondere Papst Julius II. war für ihn der Inbegriff der Verworfenheit) sich aber ohnehin nicht darum scherten, wodurch diese intellektuellen Anstrengungen doppelt unsinnig waren. Und Erasmus war auch ein Gegenspieler Luthers, dessen hemdsärmeliges Auftreten dem hochgebildeten Schöngeist und Gelehrten ein Dorn im Auge war und dessen unverhohlenes Kokettieren mit Krieg und Gewalt seinem humanistischen Denken zutiefst zuwider war.

Ohne den historischen Hintergrund, als bloße philosophische Lebensweisheiten, wirken seine Ausführungen allerdings platt und klischeehaft. Natürlich haben es Karikaturen an sich, die Verhältnisse zu überzeichnen und dadurch zu einer pointierten Darstellung zu gelangen: Dennoch langweilt die wiederholte Darstellung des blutleeren Gebildeten, der sich – wiewohl kurz vor dem Verhungern – einzig um eine abgehobene Definition Sorgen macht, der nur seinen Schriften lebt, die alsbald nach seinem Tod wieder vergessen werden. Während der Einfaltspinsel – nach Erasmus – ein glückliches und sorgenfreies Leben führt, ja sogar kraft seiner Einfalt gegen alle Beleidigungen unempfindlich und ob seines animalischen Glückes zu beneiden ist (was ebenfalls nur eine Platitüde ist). Der „Weise“ als unerträglicher Korinthenkacker, immer darauf bedacht, alles und jeden zu korrigieren, kein Mitgefühl kennend und keine Liebe, keine Leidenschaften – der Tor hingegen als das Leben in vollen Zügen genießend – das ist bestenfalls ein weitverbreitetes Vorurteil und auch als Karikatur nicht unbedingt originell.

Interessanter hingegen ist die fortgesetzte Kritik am Aberglauben, an der Vermischung von heidnischen und christlichen Kulten, die dann auch letztere in einem etwas schiefen Licht erscheinen lassen. So wird etwa die Begegnung des Heiligen Bernhard von Clairvaux mit dem Teufel ins Lächerliche gezogen (und der Teufel selbst, an den rechtgläubige Christen zu glauben gezwungen sind, wird dabei ähnlich behandelt wie die nicht ernst genommenen heidnischen Erscheinungen und Gebräuche), wobei der Übergang zu einer grundsätzlichen Kritik alles Übernatürlichen zumindest dazugedacht werden kann. Bei solchen Sätzen zweifelt man nicht nur an der Orthodoxie des Erasmus, man könnte auch vermuten, dass ihm der gesamte christliche Glaube als eine nicht ganz ernst zu nehmende Sache erscheint. Dass Erasmus hier die Torheit vorschickt, um derlei subversives Gedankengut – zumindest zwischen den Zeilen – zu vertreten, ist seiner Vorsicht geschuldet – und seiner nicht unberechtigten Angst, von irgendeiner tiefgläubigen Seite des Atheismus geziehen zu werden. Immer wieder verweist er auf den gesunden Menschenverstand des vermeintlichen Toren, der die sophistischen Dummheiten des Gelehrten nicht mitmacht, andererseits wird aber auch der Tor selbst manchmal seiner Einfalt geziehen, sodass das Lob dieser Einfachheit teilweise inkonsistent erscheint. (Natürlich, die Torheit – so könnte Erasmus erwidern – muss nicht auf logische Stringenz achten.)

Ein berühmter Text, der aber ohne historischen Kontext ein wenig schal und flach wirkt (dieses Lob der Einfalt und des Gefühls im Gegensatz zum Verstande wird in dieser Form auch heute noch wiederholt, mit dem Bauche – oder dem Saint Exuperyschen Herzen – zu denken, deucht noch immer vielen als ausnehmend klug, weil man nach diesem Kniefall vor den Emotionen die Konsequenzen eines solchen Verhaltens nicht oder nur einseitig berücksichtigt). Interessant ist der Subtext, das, was zwischen den Zeilen steht: Hier schreibt jemand, der wohl nicht dumm genug war, den ganzen christlichen Galimathias zu glauben, der aber selbstredend das nicht zum Ausdruck bringen konnte. Ich vermute, dass es schon gelehrte Untersuchungen darüber gibt, inwieweit Erasmus atheistische Ansichten hegte – und als Grundlage für eine solche Analyse ist dieser Text mit Sicherheit geeignet. Ohne diesen historischen Zusammenhang – als rein philosophische Betrachtung – ist das Büchlein alles andere als originell oder geistreich.


Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit. Stuttgart: Reclam 1977.

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