Rex Stout: In den besten Familien

Irgendwie erweckt dieser, der vierte, Band aus der Reihe der neuen Komplett-Übersetzungen von Rex Stouts Nero-Wolfe-Krimis (erschienen 2019) den Eindruck, als wäre der Verlag Klett-Cotta der Sache schon jetzt herzlich überdrüssig. Das liegt nicht an der Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence – die passt sich harmonisch in bereits vorliegenden ein und bringt den leicht ironischen Erzählton Archie Goodwins sehr gut herüber. Es liegt am Lektorat. Genauer: An einem fehlenden oder versagenden Lektorat. So es ist z.B. der erste Band der neuen Reihe, in dem ein Nachwort fehlt. (Ich gebe gerne zu, dass kein Nachwort besser ist, als jenes egozentrische, wenig mit Stout sich beschäftigende, das Jürgen Dollase für den Roten Stier geliefert hatte. Es fällt trotzdem unangenehm ins Auge.) Dafür hat man – wohl, weil am Schluss aus drucktechnischen Gründen ein paar leere Blätter übrig geblieben wären – abermals die Rubrik Aus dem Rex-Stout-Archiv eingefügt. Auf zwei Seiten ist hier ein Maschine-geschriebener Brief Rex Stouts an den Vorsitzenden eines Untersuchungs-Komitées in Washington, D. C. reproduziert. Auf Grund der Grösse des Buchs im Verhältnis zur Grösse einer Schreibmaschinen-Seite musste der Brief um ca. ⅓ bis ¼ verkleinert werden und ist nun kaum lesbar. Inhaltlich geht es darum, dass sich Rex Stout dagegen verwahrt, dass man ihm kommunistische Umtriebe vorwirft, weil er im board of editors einer kommunistischen Zeitschrift mitgewirkt hätte. Das habe er nicht. So weit so gut. Nur: Im ganzen Roman kommt kein einziger Kommunist vor. Der Brief hat mit dem Roman absolut nichts zu tun! Ein reiner und dazu noch ohne grosses Nachdenken eingefügter Füller. Am meisten versagt aber haben Lektorat und Verlag beim Text auf der Rückseite des Buchs – dem Text, mit dem auch sonst Werbung dafür gemacht wird. Da steht:

Nero Wolfe mischt sich nicht in anderer Leute Ehen ein. Doch kurz nachdem er den Fall der reichen Erbin Sarah Rackham abgelehnt hat, wird eine Tränengasbombe in Form eines Würstchenpakets angeliefert. Der Absender ist sein Erzfeind Arnold Zeck.

Warum sollte dieser Arnold Zeck den armen Nero Wolfe bedrohen, weil er einen Auftrag nicht angenommen hat? Das wäre völliger Quatsch und der Intelligenz eines Arnold Zeck nicht würdig. Tatsächlich ist es so, dass Nero Wolfe – mit einem bedauernden Blick auf den tiefen Stand seines Bankkontos – den Auftrag Sarah Rackhams annimmt. Den Auftrag nämlich, herauszufinden, woher ihr Ehemann plötzlich das viele Geld hat, mit dem er um sich wirft, nachdem er bisher immer auf das eher kärgliche Taschengeld angewiesen war, das seine Frau ihm überwies. (Und hier – als mögliche Geldquelle nämlich – kommt dann auch Arno Zeck ins Spiel.)

Der Krimi gehört aber auch sonst, meiner Meinung nach, zu den schwächeren von Rex Stout. Der Grund, warum Zeck den Leuten, die er zu einer Mitarbeit in seinem Syndikat zwingt, plötzlich haufenweise Geld überweist, wird nie so ganz klar. Womit sich sein Syndikat genau beschäftigt, eben so wenig. Auch mit seiner immer wieder erwähnten hohen Intelligenz scheint es nicht allzu weit her zu sein, kann ihn doch Nero Wolfe problemlos überlisten.

Unabhängig, davon, dass das ganze Buch keine editorische Meisterleistung darstellt (im Gegenteil), muss festgehalten werden: Der Schluss, wo sich ein Detektiv – ein Privatdetektiv noch dazu! – nicht nur als Ermittler, sondern auch als Richter und Henker eines Delinquenten aufspielt, mag einem US-amerikanischen Rechtsgefühl Genüge tun, mir (vielleicht, weil ich Europäer bin) bereitet so etwas Unbehagen. Klett-Cotta hätte sorgfältiger wählen und sorgfältiger editieren sollen. Gerade wegen dieses – gelinge gesagt diskutablen – Schlusses wäre ein intelligentes Nachwort sehr von Nöten gewesen. (Davon, dass Nero Wolfe, der sein Haus in New York angeblich nie verlässt, nun bereits in der dritten von vier Neuübersetzungen genau dies tut, will ich noch gar nicht reden.)

Eine verpasste Chance.

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