Lucius Cassius Dio (auch L. Claudius Cassius Dio Cocceianus – so in der Einleitung zu meiner Ausgabe) lebte an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Geboren in Nikaia – lateinisch ‚Nicaea‘ (ja, die Stadt, die später die beiden Konzile beherbergen würde) – war er Zeitgenosse und Landsmann jenes anderen Geschichtsschreibers, der ebenfalls Römischer Bürger war und dennoch wie Cassius Dio auf Griechisch schrieb: Arrian. Wie dieser durchlief auch Cassius Dio eine glänzende Ämterlaufbahn im Römischen Reich. Anders als bei Arrian, der aus dem Ritter- in den Senatorenstand erhoben wurde, war schon Cassius‘ Vater Senator gewesen und hatte eine beinahe ebenso glänzende Ämterlaufbahn wie sein Sohn vorzuweisen. Als Senator konnte Cassius Dio – wie Tacitus – auf die Archive und Annalen von Kaiser und Senat zugreifen, was nicht unwichtig war für die Abfassung seiner Römischen Geschichte.
80 Bände umfasste diese ursprünglich und deckte den Zeitraum ab vom Auftreten des mythischen Helden Aeneas auf der italienischen Halbinsel bis hin zu seiner eigenen Zeit als Konsul unter Kaiser Severus Alexander. Heute ist vieles davon nur noch in Fragmenten erhalten, und in Exzerpten Dritter, vor allem byzantinischer Mönche und Juristen aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die diese meist für eigene Werke angefertigt hatten. (Ein Copyright gab es zu jener Zeit noch nicht…)
Buch 1 also setzt ein mit Aeneas und im Folgenden wird die Entwicklung des Römischen Reiches geschildert, vom Königtum mit seinen mehr oder weniger mythologischen Herrschern über die Republik bis hin zum Kaisertum. In meiner Ausgabe sind im ersten Band die Fragmente der ursprünglichen Bücher 1-35 zusammengestellt. Diese umfassen die Zeit von Aeneas über die Entwicklung der römischen Republik bis hin zu deren beginnendem Verfall. Je näher wir an Cassius Dios eigene Zeit kommen, um so umfangreicher werden die Fragmente und Exzerpte. Vor allem zu Beginn aber ist sein Text praktisch unlesbar – zu viele Lücken klaffen. Es fällt trotzdem auf, dass der Autor die Verhältnisse unter den Königen, deren Verhältnis zum Senat vor allem, ähnlich beschreibt, wie es zu seiner eigenen Zeit bestand, wo ebenfalls die Herrscher (später dann eben die Kaiser) in einen ständigen Machtkampf mit dem Senat verwickelt waren. Ja, selbst das zu Cassius Dios Zeit erst am Horizont aufscheinende Phänomen der Soldatenkaiser finden wir in der Rückschau vorweg genommen.
Ansonsten bringt Cassius Dio in den ersten 35 Büchern wenig Neues gegenüber andern Geschichtsschreibungen. Wie sollte er? Er hatte für diese Zeit ja auch keine anderen Quellen zur Verfügung als andere. Etwas ausführlicher erhalten ist sein Text vom Moment der Punischen Kriege an, wo wir dann auch schöne Personen-Beschreibungen finden, nicht nur der beiden Scipione, sondern auch Hannibals. Dem sich als Griechen empfindenden Cassius Dio von Interesse sind natürlich auch die Kriege, in denen Rom die griechische Halbinsel von Philipp V. eroberte (der wie sein berühmter Namensvetter und Vorgänger auf dem Thron selber Großmachtspläne schmiedete, auch immer wieder mit den Karthagern gegen die Römer zusammen spannte) und dessen Nachfolger Perseus, dem letzten König von Makedonien.
Mitten in der Herrschaft von Sulla, der als eingesetzter Diktator versuchte, die bereits zerbröselnde alte Republik zu erhalten, was ihm Cassius Dio keineswegs zu Gute hält, da es zu einer eigenen Schreckensherrschaft führte, endet Buch 35, endet der erste Band meiner Ausgabe. (Die da ist:
Cassius Dio: Römische Geschichte. Übersetzt von Otto Veh. Mit einer Einführung von Hans Jürgen Hillen. Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2009)
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