Schmidt hat für dieses Buch 2009 den Deutschen Buchpreis erhalten – und ich vermag nicht ansatzweise nachzuvollziehen, warum. Selten hat mich ein Roman weniger berührt, waren mir die Protagonisten fremder, nach knapp 350 Seiten könnte ich noch nicht einmal von der Hauptperson auch nur andeutungsweise sagen, um welche Art Frau es sich hier handelt, welche bzw. ob sie überhaupt Meinungen hat, was sie an ihren Mann gebunden hat (außer der sexuellen Anziehung) oder welcher Typ Mann dieser Matthes (ein Mathematiker) ist. Vielleicht ist es (auch) der Erzählsituation geschuldet, dem Versuch, dieses tastende „Sich-Wieder-Erinnern“ in Worte zu fassen: Tatsächlich aber sind alle Figuren steril, werden nicht mit Leben erfüllt, sondern wirken wie ein aufgemalter Hintergrund. Ebenso rätselhaft bleibt das Faszinosum, das für Helene von Viola ausgeht (auch wenn hier in Ansätzen etwas wie ein Gegensatz zu dem zurückhaltenden Matthes konstruiert wird), auch sie ist blutleer, artifiziell, ihr (fast zu erwartender) Selbstmord vermag nicht zu berühren (Helene erfährt davon erst nach dem Aneurysma in der Klinik, ein epileptischer Anfall ist die Folge: Aber nirgendwo ist etwas von der dem Leser suggerierten Trauer, von der Verzweiflung spürbar und die dann abgedruckten, letzten Mails von Viola an Helene sind ebenfalls ohne alles Leben, seltsame Kunstprodukte, sodass sich das Verrückte, Schöne, Sehnsuchtsvolle dieser Beziehung nicht erschließt).
Eine gekünstelte, ausgedachte Geschichte, ohne Fleisch, Charaktere, von denen man nicht sagen kann, ob sie denn eine politische, philosophische Meinung besitzen, weder berührend noch abstoßend. Und auch der Versuch, das Wiedererlangen der Sprache zu thematisieren, die Verzweiflung der Wortlosigkeit, die Angst der Schriftstellerin, ob sie denn jemals wieder einen Text, ein Gedicht würde schreiben können, ist aus dem Roman nur in theoretischer Weise zu erschließen: Denn die Sprache der ersten Seiten unterscheidet sich nicht im geringsten von den letzten (als es ihr schließlich denn doch gelingt), hier ist kein Prozess erkennbar, wenn Helene nach Wörtern sucht, wirkt das unglaubwürdig (vielleicht auch angelesen), ihre Verwirrung ob der Schwierigkeiten, sprachlich-logische Zusammenhänge zu durchschauen, ebenso. – Ich kenne von der Autorin keine weiteren Bücher (das vorliegende ist ihr Bekanntestes) – und im Grunde gibt es in diesem Buch nichts, was meine Neugier geweckt hätte. Wobei dieses Buch noch nicht einmal typische „Buchpreisliteratur“ ist, geschrieben für den Kritiker, den belesenen Schöngeist, welcher sich freuen kann an manch einer literaturhistorisch oder philosophischen Anspielung: Nur selten habe ich weniger von einem Roman angesprochen gefühlt als von diesem. Wie einem dieser Roman „unter die Haut“ gehen kann (Helmut Böttiger) ist mir rätselhaft, mich hat er nicht mehr berührt als die Gebrauchsanleitung meiner Microwelle.
Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht. Köln. Kiepenheuer & Witsch 2009.