Robert Corvus: Perry Rhodan – Schwarze Frucht

Nach jener so unglückselig verlaufenen ‚Session‘ am Literaturcamp Heidelberg 2018, bei welcher der Autor Robert Corvus als einziger zu verstehen schien, was ich sagen wollte, habe ich für mich beschlossen, bei Gelegenheit eines seiner Bücher zu lesen und hier vorzustellen. Als dann auf Literaturschock eine Leserunde zum vorliegenden Buch ausgerufen wurde, beschloss ich, daran teilzunehmen. Es hat sich herausgestellt, dass das keine gute Idee war. Aus zwei Gründen. Zum einen bin ich seit langem ‚Leserunden-untauglich‘. Es interessiert mich nicht, in Abschnitten, die nicht nach Inhalt abgesteckt wurden, sondern pur nach Anzahl Seiten, inne zu halten und über den weiteren Verlauf der Handlung zu spekulieren. Mich interessiert das Ganze und dann erst, wie der Autor dieses Ganze aus einzelnen Teilen zusammen gestellt hat.

Der andere Grund aber ist schwerwiegender. Ich hatte zu wenig bedacht, dass, wo „Perry Rhodan“ drauf steht, wohl auch „Perry Rhodan“ drin sein würde. Und damit meine ich jetzt nicht die Figur des Perry Rhodan selber. Auch die hat hier ihren Auftritt, aber der störte mich als solcher nicht. Um mich zu erklären, muss ich ein wenig ausholen:

Ich habe selbst in jener Phase, als ich – außer den zum Studium benötigten Büchern natürlich – kaum etwas anderes las als Science Fiction, nie mehr einen Perry Rhodan gelesen, nachdem ich ein zufällig am Kiosk gekauftes Heft beendet hatte. Hölzerne Sprache, hölzerne Figuren – und vor allem: Schon in den 1980er Jahren spürte man die Konsequenzen der Zeit, in der diese Figur erfunden worden war. Es war letzten Endes die Zeit, in der ein Karl May als das Nec plus ultra der Abenteuerliteratur im weitesten Sinne galt – jedenfalls im deutschen Sprachraum. Die Figurenkonstellation nun erinnerte allzu sehr an den Altmeister des deutschen Trash: Da war Old Shatterhand alias Perry Rhodan, der gute Weiße mit dem seltsamen pseudo-amerikanischen Namen, der letztlich alles wusste und konnte. Da war Winnetou, der Häuptling der Apatschen, mit vielleicht noch mehr Wissen als Old Shatterhand, transformiert zu Atlan, dem Häuptling der Arkoniden. Und da war der Adlatus der beiden, zwar durch aus ein Westmann eigener Güte, aber doch vor allem als „Comic Relief“ angelegt. Diese Rolle wurde von Karl May auf verschiedene Figuren verteilt, die vielleicht bekannteste ist Sam Hawkens. Im Perry-Rhodan-Universum hiess die Figur damals Gucky und war ein – Mausbiber. Ich mag keine sprechenden Plüschtiere. Ich war damals auch in einer Phase, in der ich auf meine heiß und innig geliebte vor- und frühpubertäre Karl-May-Lektüre, bzw. auf den Autor May selber, mit mehr oder weniger Verachtung blickte. Somit hatte sich Perry Rhodan für mich erledigt.

Später, als ich auf Karl May eher mit Nostalgie zurückblickte, und auch in verschiedenen Foren aus dem Dunstkreis der Karl-May-Gemeinde mitschrieb, wurde ich ein zweites Mal mit dem Perry-Rhodan-Universum konfrontiert. (Die beiden Kreise wiesen in Leser- wie in Autorschaft noch immer eine nicht unbeträchtliche Schnittmenge auf.) Ich nahm auf Einladung Werner Fleischers an den Perry-Rhodan-Tagen in Sinzig teil. Ich hielt sogar einen Vortrag – über die damals gerade erschienene kritische Ausgabe von Karl Mays Ardistan und Dschinnistan, das so hoch einzuschätzen, wie der Herausgeber Hans Wollschläger (im Gefolge Arno Schmidts, dessen Essays zu May ich unterdessen auch kannte), mir keineswegs einfiel – sehr zum heimlichen Ärger der zuhörenden Franziska Schmitt, ihres Zeichens Mitarbeiterin an der kritischen Ausgabe. Perry-Rhodan-Fans waren wenige in meinem Vortrag, und auch sonst blieb mein Kontakt ephemer. Titus Müller hatte damals gerade in einer Nebenreihe, die sich, wenn ich mich recht erinnere, Planetenromane nannte, etwas im Perry-Rhodan-Universum Angesiedeltes geschrieben, das ich gelesen hatte. Es handelte sich um eine gut geschriebene, beinahe dystopische Erzählung, der man ihre Einbettung nicht anmerkte. Vielleicht war es die Erinnerung an jenen Roman, die mich verlockte, nun auch diesen zu lesen, der ja ebenfalls mit dem Hauptstrang der Geschichte nicht verbunden ist.

Doch, nicht mit dem Hauptstrang der Geschichte verbunden zu sein, bedeutet nicht, nicht mit andern Gesetzen und Gegebenheiten des Perry-Rhodan-Universums verbunden zu sein. Ich habe dieses Universum in der Leserunde, mangels eine besseren Ausdrucks linear genannt und meinte damit, dass im Grunde genommen die Geschichte vorne anfängt und hinten aufhört. Keine Nebenhandlungen – die könnten wahrscheinlich den Fan nur irritieren. Kein allzu kompliziertes Universum – das würde wahrscheinlich den Fan nur irritieren. Im Grunde genommen könnte man solche Perry-Rhodan-Geschichten gerade so gut im Wilden Westen des 19. Jahrhunderts ansiedeln.

Natürlich sind die Waffen und die Transportmittel ein bis zwei Nummern grösser als bei Karl May. Aber noch heute, im 21. Jahrhundert, verwenden die Rhodanianer „Lähmungsstrahler“, eine Idee, die aus der US-amerikanischen Science Fiction der 1930er stammt, dort aber schon lange nicht mehr verwendet wird. Wenn ich bedenke, welche komplexen Universen ein Iain Banks oder ein Andreas Brandhorst unterdessen geschaffen haben… (Wobei es Banks zum Schluss für meinen Geschmack dann übertrieben hat, ebenso wie mittlerweile sein zeitweiliger Übersetzer Brandhorst.)

Eine andere Sache ist die mit den Aliens. Ein Fan erwartet eine gewisse Anzahl von den fremden Spezies, die das Perry-Rhodan-Universum bevölkern. Ähnlich wie der Trekkie seinen täglichen Vulkanier will, wollen sie ihre wöchentlichen Tellerköpfe. Aber Star Trek ist Film bzw. Fernsehen. Wenn dort der Vulkanier einmal eine kleinere Rolle inne hat, weil er z.B. nur „Aye, Capt’n!“ sagen muss, wenn es heisst: „Übernehmen Sie die Brücke!“, dann sehe ich immer noch den Vulkanier und bin als Fan zufrieden. In einem Roman ist das anders: Ich muss – zumindest in ein paar Worten – den Alien in seiner Fremdheit beschreiben. Damit aber ist – anders als beim Film, wo ein Alien problemlos im Hintergrund herum wuseln kann, und nur nebenbei wahrgenommen wird – für einen Moment der Fokus des Lesers ganz auf diesen Alien gerichtet. Wenn dann seine Fremdheit keine Rolle mehr spielt, weil er im Übrigen agiert wie ein Homo sapiens, fühlt sich der Leser in die Irre geführt.

Last but not least der Punkt, an dem ich am meisten Anstoß genommen habe. (Dass die Männer, die an der Leserunde teilnahmen, diesen Punkt akzeptiert haben, wundert mich, offen gesagt, nicht. Dass ihn – mit einer Ausnahme – die teilnehmenden Frauen ebenfalls akzeptierten, dann doch.) Da ist der Protagonist der Geschichte, Konzernchef und Multimilliardär (in welcher Währung auch immer) Viccor Bughassidow. Seinen Konzern zu führen, scheint ihn nicht sehr zu beschäftigen; jedenfalls hat er Zeit, auf einer Spazierfahrt eine seiner Niederlassungen auf einem fernen Planeten namens „Styx“ zu besuchen. Auf diesem Planeten sind gerade Bestrebungen im Gange, sich der Liga der freien Welten (oder so ähnlich) anzuschließen. Warum, ist nicht so ganz klar: Bisher konnten sich die Styxianer in ihrer anarchisch-libertär aufgebauten Welt recht gut behaupten. Ein Beitritt zur Liga würde bedeuten, dass gewisse Dinge (wie z.B. allzu heftige Manipulationen am menschlichem Erbgut) verboten würden, und dass die Styxianer nun plötzlich Geld an eine Institution namens Staat abzuführen hätten, damit diese ihre Verwaltungsbürokratie aufbauen und in Stand halten kann. Man hat das früher einmal als ein Hinführen zum Fortschritt bezeichnet, wenn man arme, unterentwickelte Völker mit seiner eigenen politischen und moralischen Haltung beglückte. Heute spricht man von Kolonialismus und bezeichnet mit diesem Begriff keineswegs etwas Positives. Anders gesagt: In einer solchen Konstellation steckt Stoff für genügend Konflikte, um damit mehrere Bände zu füllen. Leider steht Perry Rhodan ganz auf der Seite der von ihm gegründeten Liga, und mit ihm also sein Universum. Somit kann der Sinn einer solchen Liga nicht ernsthaft in Frage gestellt werden.

Hauptführerin der planetaren Bewegung hin zur Liga ist die Leiterin der Bughassidow’schen Konzernniederlassung auf Styx. Sie und ihr oberster Boss hatten offenbar früher mal was miteinander. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Anspannungen, denen die beiden im Verlaufe des Romans ausgesetzt werden, nach einem Ventil verlangen. Aber, warum gerade diese beiden zusammen eine Nacht verbringen müssen, erschließt sich mir höchstens aus Autoren-ökonomischer Sicht: Der Autor kann sich so die Einführung weiterer Nebenfiguren ersparen. Bettszenen sind in den meisten Romanen sowieso überflüssig, hier aber erinnert das Ganze fatal an Konstellationen, die von der #metoo-Bewegung in Misskredit gebracht worden sind, wo ein mächtiger alter weißer Mann Frauen mehr oder weniger dazu zwingt, mit ihm Sex zu haben, um den Job zu behalten oder auch erst zu kriegen, ist doch das Verhältnis der beiden ungefähr das vom Verwaltungsratspräsidenten eines Supermarkt-Kette zu einer Filialleiterin im hinteren Toggenburg.

Mehr noch: Wir erleben ja die Nacht selber nicht, erst den darauf folgenden Morgen. Boghassidow erwacht, weil das galaktische Pendant zu seinem Smartphone nicht zu klingeln aufhört. Er realisiert, dass da eine Art dringenden Notrufs hereinkommt – kein Wunder, um sie herum ist ja gerade der ganze Planet daran zu zerbröseln. Er berappelt sich also und nimmt den Anruf entgegen. Die Frau hingegen, die ja schon jetzt eine Führungsposition bekleidet und Aspirationen auf das Amt einer Staatschefin von Styx hat – diese Frau möchte nicht aufhören mit dem Geliebten zu kuscheln. Da draußen mag die Welt untergehen – jetzt will sie kuscheln! Hätte der Autor die Rollen umgekehrt besetzt – die Frau als Konzernchefin und Multimilliardärin, den Mann als mittleres oder unteres Kader – das Ganze wäre sogar witzig gewesen. So aber …

Verschlimmert wird die Chose noch dadurch, dass Boghassidow nicht nur mit seiner Filialleiterin schläft. An Bord seines Raumschiffs arbeitet ein weiblicher Alien. Die beiden sind aber offenbar physisch und psychisch kompatibel genug, dass er auch mit ihr schläft – ungeachtet der Tatsache, dass sie zugleich seine Ärztin ist. Die Filialleiterin weiß von dieser Beziehung, und als sie ihn später in Begleitung der Ärztin sieht, fühlt sie einen Stich von Eifersucht. Für ihn ist es offenbar die normalste Situation der Welt, mit der einen Geliebten vor der andern zu paradieren…

Das ist schade. Denn die Bettszene wäre als solche sogar gut geschrieben. Nur die Protagonisten sind falsch. Auch sonst ist der Roman, der allerdings zu Beginn etwas Mühe hat, Fahrt aufzunehmen, spannend und weist ein paar interessante Aliens auf. Mehr darf man gerechter Weise nicht verlangen. Nur die Beschränkungen des Perry-Rhodan-Universums machen sich allzu deutlich bemerkbar. Und dieses Universum – ich kann es nicht anders sagen – mieft. Es verströmt den strengen Geruch der 1950er Jahre, aus deren Dunstkreis es letzten Endes stammt.


Robert Corvus: Perry Rhodan – Schwarze Frucht. Köln: Bastei-Lübbe, 2019

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