Lukas Bärfuss: «Thomas Manns Exil als Exempel»

Eine Veranstaltung im Rahmen des Literaturfestivals «Zürich liest ’19».

Es handelte sich hier um den Eröffnungsakt einer Ausstellung im Zürcher Strauhof zum Thema Thomas Mann in Amerika, die ihrerseits eine recycelte Ausstellung des Literaturarchivs Marbach ist. Neben vielen Dankesreden an diese und jene Person, diese und jene Institution durch die Kuratoren der Ausstellung war es vor allem die Ankündigung, dass sich Lukat Bärfuss zum Thema „Thomas Mann im Exil“ äussern würde, die wohl das Publikum in großer Zahl anzog. Lukas Bärfuss: der wichtigste Schweizer Schriftsteller des 21. Jahrhunderts (jedenfalls so alt es unterdessen ist). Thomas Mann: der wichtigste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Diese Kombination versprach, interessant zu werden.

Gleich zu Beginn seiner Rede gab Bärfuss zu, dass sein Verhältnis zu Thomas Mann ein kompliziertes sei. Um dies zu exemplifizieren, nahm Bärfuss einen einzigen Satz aus einem Essay Thomas Manns Zwang zur Politik, in dem er bei Thomas Mann erst spät und nur unter äusserem Druck überwundene Trennung des Politischen und Sozialen (= Privaten) festmachte. Bärfuss kann mit dieser Trennung nichts anfangen – und der Schlenker hin zum neuesten Träger des Literaturnobelpreises, Peter Handke, war rasch gegeben. Kann man, so Bärfuss’ Frage, die politischen Ansichten eines Autors von seinem Werk trennen? Kann man Ezra Pounds Cantos hochhalten im Wissen um seine Liebe zum Faschismus? Wie ist es mit Gottfried Benns Gedichten aus der Zeit, da er sich dem Nationalsozialismus praktisch andiente? Wie also mit dem durch und durch bourgeoisen Thomas Mann?

Wir sollten, so schloss Bärfuss seinen Vortrag, Literatur nicht mehr mit den Augen des Bourgeois aus dem 20. Jahrhundert lesen und den Menschen vom Autor dabei trennen, sondern im 21. Jahrhundert ein neues Verständnis für Literatur entwickeln – selbst wenn das bedeutet, das vieles vom bürgerlichen Kanon außer Rang und Traktanden fällt.

Damit war eigentlich die Eröffnungszeremonie beendet, wenn sich da nicht ein älterer Herr des Mikrophons bemächtigt hätte. Sehr laut, sehr aufgeregt und mit ungarischem Akzent machte er seinem Ärger darüber Luft, dass in dieser Veranstaltung heute Abend Thomas Mann nur gelobhudelt würde, während er doch in seinem Benehmen gegenüber seiner Tochter Monika keineswegs der große Mann gewesen sei, als den man ihn heute darstelle – ja, er habe sie beinahe in den Händen der Nationalsozialisten zu Grunde gehen lassen. (Der ältere Herr war, wenn ich das richtig verstanden habe, ein Nachfahre Monika Manns.) Ich verstand seine Aufregung – immerhin ging es um eine nahe Verwandte – aber etwas Neues haben die Leser von Tilmann Lahmes Familienbiografie der Manns von dem älteren Herren nicht erfahren.

Je nun. Wir gingen ein paar Häuser weiter.

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