Hermann Hesse: Friedrich Hölderlin. Dokumente seines Lebens

Hinter diesem Buch steht eine kleine Geschichte: Hermann Hesse konzipierte 1924 zusammen mit seinem Neffen, dem Philologen und Musikwissenschafter Karl Isenberg, eine Buchreihe unter dem Titel Merkwürdige Geschichten und Menschen, die Lebensgeschichten verschiedener Dichter aus dem – im weitesten Sinne – romantischen Umkreis präsentieren sollte. Unter den Vorzustellenden waren Novalis, die Geschwister Brentano und eben auch Hölderlin. Diese Büchlein erschienen zwischen 1925 bis 1927 bei Samuel Fischer in Berlin. Doch die zu dieser Zeit grassierende Inflation war dem Projekt ungünstig, und es wurde wieder eingestellt. Erst 1976 wurden einige der Editionen, darunter auch die vorliegende über Hölderlin, von Volker Michels beim Insel-Verlag neu herausgegeben, jetzt mit zeitgenössischen Illustrationen versehen. Ebenso wurde hinzugefügt, was Hesse seinerseits im Laufe von über 50 Jahren über Hölderlin geschrieben hatte. (Hesse hatte ursprünglich nur Dokumente von Hölderlin sowie zeitgenössische Aussagen über ihn vorgesehen.) 2012 wurde Michels’ Edition bei Klöpfer und Meyer im Rahmen einer neuen Reihe (Eine kleine Landesbibliothek, gemeint ist offenbar das deutsche Bundesland Baden-Württemberg) neu aufgelegt, in einer gebundenen Ausgabe, mit Lesebändchen, immer noch illustriert.

Nach wichtigen (geografischen) Stationen in Hölderlins Leben gereiht (Im Kloster Maulbronn – Im Tübinger Stift – Waltershausen und Jena – Frankfurt – Homburg – Stuttgart, Hauptwyl und Bordeaux; nur das letzte Kapitel tanzt aus der Reihe und heißt Die Jahre des Wahnsinns), werden Briefe von und an Hölderlin präsentiert, Aufzeichnungen und Tagebuch-Auszüge von Hölderlin ebenso wie von Freunden und Bekannten. Diese Texte sind wenig kommentiert und relativ unkritisch eingefügt, aber wir erfahren das Wichtigste aus Hölderlins Leben. So sind da seine frühen Freundschaften mit Hegel und Schelling, die ihn schließlich sogar nach Jena ziehen ließen. Dort machte er zwar die Bekanntschaft Schillers, Goethes, Herders und auch Meyers, aber Hölderlins Versuch, seine neuen Bekanntschaften dafür einzuspannen, ihm eine Professur für alte griechische Sprache an der Jenaer Universität zu verschaffen, scheiterte. Er konnte nur ein paar Gedichte in Schillers Literaturzeitschriften platzieren. In diesem Stadium von Hölderlins Leben finden wir auch den – äußerst verräterischen – Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, ihn betreffend, ebenso jenen Brief Goethes an Hölderlin, in dem er ihm rät, sich doch mehr aufs Kleine statt aufs Kolossale zu spezialisieren. Selten hat ein großer Lyriker einen andern derart verkannt und derart arrogant behandelt. Hölderlin sollte dies Goethe denn auch nie verzeihen. Davon erfahren wir allerdings in dieser Sammlung wenig, so wenig wie über die jakobinische Begeisterung der jungen Hegel, Schelling und Hölderlin; sie präsentiert, ohne zu kommentieren oder weitere Informationen zu liefern. Immerhin aber spricht Hesse davon, dass Hölderlin in Frankfurt nicht nur seine Nemesis in der Form der Liebe zur verheirateten Suzette Gontard fand, sondern auch dort in Kontakt kam mit den literarischen Größen der Zeit – z.B. mit Heinse.

Dann werden die Informationen spärlicher. Über die Zeit in Hauptwyl (das die Herausgeber, wie schon Hölderlin selber, konsequent als in der Nähe St. Gallens gelegen beschreiben – es liegt im heutigen Kanton Thurgau, was u.a. bedeutet, dass es schon zu Hölderlins Zeit reformiert gewesen sein muss und nicht, wie der Kanton St. Gallen, katholisch; das wiederum macht eine Hofmeister-Anstellung des protestantischen Theologen Hölderlin daselbst um einiges wahrscheinlicher), über die Zeit in Hauptwyl also erfahren wir nur wenig – die Überlieferungslage gibt nicht viel her. Hölderlins Wahnsinn dann wird vor allem mit einem längeren Auszug aus Wilhelm Waiblingers Buch über ebendiesen präsentiert.

Interessanter als die ziemlich unkritisch und unkommentiert hingestellten Texte von und über Hölderlin, die Hesse versammelt hatte, sind die von Volker Michels hinzugefügten Texte Hesses zu Hölderlin. Diese verraten zwar weniger über Hölderlin selber, aber dafür um so mehr über den Autor Hesse. Vor allem seine Erzählung Im Presselschen Gartenhaus ist zu nennen. Darin erzählt Hesse von einem Spaziergang, den die Studenten Waiblinger und Mörike zusammen mit dem umnachteten Hölderlin zu eben diesem Gartenhaus unternommen haben. Das Gartenhaus (und auch solche Spaziergänge) gab es wirklich, und Waiblinger hatte es wirklich als eine Art Sommerhaus für sich gemietet; aber die Diskussion, die vor allem Waiblinger und Mörike miteinander führen, wird kaum in dieser Form stattgefunden haben. Sie ist mehr autobiografisch zu lesen, denn biografisch, und verrät letzten Endes mehr über die Konflikte zwischen dem „Bürger“ und dem „Dichter“, die Hesse in seiner Brust austrug, als über Waiblinger, Mörike oder gar Hölderlin. Hesse, der ja ähnlich wie diese drei ebenfalls zum Pfarrer bestimmt war und diese bürgerliche Karriere einer poetischen aufopferte. (Bzw. eben nicht – Mörike sollte davor zurück schrecken. Und sein Leben lang als Pfarrer unglücklich sein.)

Alles in allem würde man sich heute das Büchlein ein wenig kritischer gegenüber Hölderlin und seinen Taten und Werken wünschen. (Vor allem der Hyperion wird immer mal wieder über den grünen Klee gelobt!) Dennoch gibt das Buch einen guten, manchmal sogar intimen, Einblick in die (poetischen) Verhältnisse Hölderlins und seiner Zeit. Denken muss die Leserschaft halt selber.


Friedrich Hölderlin. Dokumente seines Lebens. Tagebuchblätter, Aufzeichnungen, Briefe. Herausgegeben von Hermann Hesse und Karl Isenberg. Neu eingerichtet und eingeleitet von Volker Michels. Tübingen: Klöpfer und Meyer, 2012. [Wie bei Tokarczuks Die Jakobsbücher sind die in den Text eingefügten Illustrationen nur schwarz-weiss gehalten. Allerdings ist die Druckqualität um ein weniges besser, und vor allem sind die Abbildungen mit einer Legende versehen, so, dass man als Leser weiss, wen oder was man vor sich hat. Dazu sind die Bilder meist sehr präzise in den Text gesetzt und passen zum schriftlichen Kontext.]

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