Gottfried Benn: Ausdruckswelten

Theodor Benn (1891-1981) wurde bekannt durch seine Teilnahme an einem so genannten Fememord – einem Akt der Selbstjustiz in der paramilitärisch organisierten politischen Rechten der Weimarer Republik, wie sie damals Legion waren. Das war im Jahre 1923. Er soll ihn sogar befohlen haben, wie die eigentlichen Täter bei der Gerichtsverhandlung aussagten. Zum Tode verurteilt, aber begnadigt, wurde er 1930 Mitglied der NSDAP. So weit, so uninteressant (ausser natürlich für die direkt Betroffenen und die Geschichtsschreiber des Dritten Reichs). Wenn da nicht folgender Umstand wäre: Theodor Benn war nicht irgendwer; er war einer der jüngeren Brüder des Arztes und Schriftstellers Gottfried Benn. Man könnte also beinahe sagen, dass Gottfrieds Affinität zum Nationalsozialismus in der Familie angelegt war.

Jedenfalls war Gottfried Benn zwischen 1920 und etwa 1940 ein ziemlich linientreuer Gefolgsmann Adolf Hitlers. Erst dann begann er, langsam, auf Distanz zu gehen. Im vorliegenden kleinen Büchlein haben wir verschiedene Essays vor uns, die aus dem Jahr 1943 stammen – sowie eine Art Nachwort Benns aus dem Jahr 1948, in dem er sich endgültig vom Nationalsozialismus distanziert, unter anderem mit dem Hinweis darauf, wie viele Tote der Krieg ihn und seine Familie gekostet hätte. Nun ist es niemand verwehrt, klüger zu werden, und tatsächlich sind die Aufsätze von 1943 schon ziemlich frei von faschistischem Denken – auch wenn ein Rassen-Denken nach wie vor anklingt. Ein Denken in Rassen. Nicht ein eigentlich rassistisches Denken, da Benn Abstand nimmt davon, eigentliche Herrenrassen zu definieren. (Obwohl natürlich die Grenzen bei Benn auch 1943 noch fließend sind.)

Benn äußert sich in den vorliegenden Essays zur Kunst (Geschichte wie Theorie), stellt allgemein ästhetische Überlegungen an oder sinniert über den Umgang des Dichters mit Drogen. Er rollt kosmologisch-naturwissenschaftliche Fragen im Zusammenhang mit der Kunst auf, wo er – nach Thales, Platon und Aristoteles – zunächst, als Naturwissenschaftler, nicht als Künstler, Leonardo da Vinci erwähnt (Mussolinis Mär des großen italienischen Genies hatte bereits so tief Wurzel gefasst, dass Benn nicht einmal eine Quelle mehr angab für diese Idee!). Er erwähnt aber da Vinci nur, um gleich anzufügen, dass die neue, moderne Naturwissenschaft nicht mit ihm, sondern mit Kepler und Galilei begonnen habe. Einige Literaturkritiken zu Hermann Keyserling, Thomas Wolfe, Rainer Maria Rilke oder Theodor Fontane (dem er prophezeit, dass er in weiteren 50 Jahren – im Gegensatz zu Dehmel – vergessen sein werde … Kritiker sollten nie prophezeien …) runden das Bild ab, das dieses Büchlein uns vom ‚Denker‘ Benn gibt.

Und ja, natürlich darf sein Nachruf auf Else Lasker-Schüler nicht fehlen.

Ich habe das Büchlein vor Jahren einmal im so genannten modernen Antiquariat erworben. Mit anderen Worten: ein Restposten, den der Verlag (Klett-Cotta) nicht loswurde. Der Aficionado wird so etwas lesen müssen – das breite Publikum wohl eher nicht.

1 Reply to “Gottfried Benn: Ausdruckswelten”

  1. „Jedenfalls war Gottfried Benn zwischen 1920 und etwa 1940 ein ziemlich linientreuer Gefolgsmann Adolf Hitlers.“

    Neuerdings entdeckten Dokumenten nach sogar schon seit 1894.

    Da mich einst die erste Wallfahrt meines Lebens zur Bozener Straße geführt hat (war ja nicht so weit weg), muss ich es doch noch loswerden: Nämlich dass ich darin zwar grundsätzlich Wilhelm Busch zustimme: „Rotwein ist für alte Knaben / Eine von den besten Gaben.“ Aber wenn man gerade etwas zu viel davon (oder war’s gar Hochprozentiges?) intus hat, sollte man besser keine Blog-Beiträge veröffentlichen. Ein linientreuer Nazi hätte wohl kaum 1931 eine Eloge an Heinrich Mann geschrieben, zum Beispiel. Auch während der zwei Jahre seines opportunistischen Mitmachens war Benn weder PG noch eigentlich linientreu, und bei den insofern relevanten echten Nazis nicht gerade wohlgelitten. (Übrigens wäre es auch nicht fair gewesen, dem zu seiner Zeit berühmten britisch-amerikanischen Schauspieler Edwin Booth, der nur auf der Bühne meuchelte, seinen Bruder John Wilkes vorzuwerfen, den Mörder Lincolns. Da finde ich es schon eher zu missbilligen, dass Edwin, wie ich dem „Dictionary of Shakespeare“ entnehme, noch 58-jährig den Hamlet gab.)

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