Der 1802 geborene Stuttgarter Wilhelm Hauff veröffentlichte 1825 seine ersten Werke. Er starb bereits 1827. Dennoch würde ich ihn nicht als ‚frühvollendet‘ bezeichnen, denn er erlag kurzfristig einer nicht vorhersehbaren Typhus-Infektion, die er sich auf einer Studienreise durchs Tirol geholt hatte, wo er Material zu einem Werk über Andreas Hofer gesammelt hatte. Trotz der wenigen Jahre, die ihm zur literarischen Produktion blieben, ist nicht nur die schiere Masse erstaunlich dessen, was er geschrieben hat, sondern auch die allgemein recht hohe Qualität dieser Werke. Wir kennen heute Hauff vor allem als Verfasser von Kunstmärchen (Kalif Storch, Zwerg Nase, Das kalte Herz und viele andere). Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert, und noch in den ersten Dezennien des 20., war Hauff der Verfasser des Lichtenstein, eines Romans, den er 1826 in drei Bänden veröffentlichte. Mit diesem Roman war er vielleicht nicht der ganz allererste, aber einer der ersten, der sich im deutschen Sprachraum dem neuen Genre des historischen Romans widmete. (Nachdem bis dahin Übersetzungen von Walter Scott das Feld inne hatten.) Hauffs Roman fand Anhänger bis in höchste aristokratische Kreise: Ein Vetter des Königs von Württemberg baute (in etwa dort, wo sich früher tatsächlich eine Burg der – mittlerweile ausgestorbenen – Lichtensteiner befunden hatte) eine Art Märchenschloss, das schwäbische Neuschwanstein, sozusagen. (Dieses Schloss ist unterdessen fürs Publikum geöffnet und kann besichtigt werden.)
Aber zurück zu Hauff. Noch vor Lichtenstein, nämlich 1825, veröffentlichte er ein paar Novellen und Satiren – darunter auch Band 1 der Mitteilungen aus den Memoiren des Satan. Zunächst veröffentlichte er diesen Band anonym (als ****f); bei der Neuauflage zusammen mit Band 2 stand dann sein Name auf dem Titelblatt. Nicht der Lichtenstein, nicht die Märchen: Es war der erste Band der Mitteilungen, der als einziger zu Lebzeiten Hauffs eine Zweitauflage erfuhr. Dass später seine Freunde aus dem Kreis der schwäbischen Romantiker (allen voran Gustav Schwab) an seinen Texten herum pfuschten, sei ihnen verziehen.
Die Mitteilungen stellen eine Sammlung von verschiedenen Novellen und Satiren dar – zusammengehalten durch die Fiktion, dass wir Ausschnitte aus den Memoiren des Teufels persönlich lesen. Dieser Teufel ist mal mehr, mal weniger aktiv in alle Geschichten verwickelt, die erzählt werden.
Zunächst erfahren wir, wie der Herausgeber der Mitteilungen den Teufel an einer Table d’Hôte in Mainz kennen gelernt haben will, und wie dieser eine gewisse Neigung zu ihm entwickelt hat, so, dass er ihm eben diese Texte zur Publikation zur Verfügung gestellt hat.
Der erste Block des ersten Buchs erzählt dann die Studien des Satan. In einer Universitätsstadt, die Satan in seinen Memoiren nur mit ….en bezeichnet, und die ich im Verdacht habe, die Stadt zu sein, in der Hauff selber studiert hat, also Tübingen, schreibt sich unser Teufel als junger Studiosus an der Universität ein. Das heißt, gar so jung ist er nicht – er stellt vielmehr einen alten Fuchs dar, der tapfer mit den Burschenschaftern trinkt und sich duelliert, der auch ‚anständige‘ Studenten zu einem Lotterleben verführt und der beinahe wegen umstürzlerischen Umtrieben und einer vorgeblichen Nähe zu Friedrich Ludwig Jahn relegiert worden wäre – wenn da nicht das viele Geld gewesen wäre, das er in die Stadt gebracht hat.
Szenenwechsel. Wir finden Satan in Berlin wieder, wo er den Ewigen Juden (im Gespräch mit E. T. A. Hoffmann!) beim Wein trinken antrifft. Der Teufel und der Jude kennen sich seit Jahrhunderten und so beschließen sie, zusammen ein wenig das Berlin der 1820er zu beschauen. Unter anderem besuchen sie einen literarischen Salon. Das gibt Anlass zur satirischen Beschreibung schöngeistiger Blaustrümpfe beiderlei Geschlechts, ja, zu Slapstick in Form des ungehobelten und ungeschickten Verhaltens des Ewigen Juden. Das gibt auch Anlass zur Literaturschelte: Schelte einerseits der wässrigen Produkte einer Schopenhauer, einer Huber, eines Lafontaine oder eines Fouqué (wässriger noch als der im Salon servierte dünne Tee), der vermeintlich ‚kräftigen‘, aber im Grunde genommen nur seltsamen Dramen eines Klinger oder eines Klingemann – auch ein dritter Autor, dessen Namen mit einem ‚K‘ beginnt, Klopstock, ist 1825 nur noch lächerlich; satirische Schelte andererseits der Literaturkritik selber, die das zu kritisierende Werk nach Schema F in den Rahmen spannen und je nach Publikationsorgan eine Lobhudelei, einen Verriss oder auch nur eine lauwarme Kritik fabrizieren – fabrizieren im eigentlichen Sinne des Worts, schildert doch Hauff Kritiker, die einen dicken Roman im Laufe eines Morgens nicht nur lesen, sondern auch fünf oder sechs Kritiken in verschiedensten Schattierungen hingeworfen und an die Zeitungen geschickt haben. Jean Paul, nebenbei, wird lobend erwähnt und auch vom Teufel zitiert. Last but not least finden wir in diesem Salon auch einen jungen Mann, der eine (seine) Liebesgeschichte erzählt – oder zumindest den ersten Teil davon.
Für den nächsten Block ist Hauff seinerseits von einem Teil der Literaturkritik eher wenig gelobt worden, wagt er es doch hier, Goethes Darstellung des Mephistopheles im Faust I zu bemängeln. Satan nämlich (hier wieder selber redend und handelnd) findet sich bei Goethe als Schwächling dargestellt, zum Teil findet er auch einfach Inkonsequenzen im Charakter des Goethe’schen Mephistopheles. Man stelle sich eine solche Kritik vor, selbst wenn sie vom Teufel persönlich vorgebracht wird – wir sind im Jahre 1825, auf dem Höhepunkt der Goethe-Verehrung! Nun, Hauff setzt noch einen drauf, indem er erzählt wie der Teufel, zusammen mit einem Amerikaner, Goethe am Frauenplan besucht. Ich vermute, dass sich Hauff entweder tatsächlich auch selber zu Goethe begeben hat, oder dass er die Schilderung eines Freundes benutzte. Jedenfalls ist das Mechanisch-Schematische, das der alte Goethe in die Audienzen legte, die er seiner zahlreichen Verehrerschaft zu geben pflegte, wunderhübsch dargestellt. Dass der alte Mann am Frauenplan nicht über seine Werke plaudern wollte, wie es sich der Teufel erhofft hatte, sondern mit dem Amerikaner über das Wetter in Amerika, kann, ja muss, wirklich so stattgefunden haben; es klingt so ganz nach Goethe, der auch im Alter lieber selber etwas Neues erfuhr – und dann gar etwas Naturwissenschaftliches! – als etwas aus seiner poetischen Küche preis zu geben.
Der letzte Block im ersten Band schildert einen Festtag im Fegefeuer. Er lässt hier einen englischen Lord, einen französischen Marquis und einen erst vor kurzem baronisierten deutschen Schneider aufeinander treffen. Halb Nationalsatire, halb Kritik am seltsamen Wesen des frisch nobilitierten deutschen Bürgertums, das trotz des „von“ in seinem Namen sich nicht von spießbürgerlichen Ansichten und Verhalten frei machen kann und entsprechend ‚international‘ von seinen Standesbrüdern und -schwestern als lächerlich und peinlich empfunden wird.
Der zweite Band der Mitteilungen wurde seinerzeit von der Literaturkritik etwas stiefmütterlich behandelt – zu Recht, wie ich leider zugeben muss. Nach einer kurzen Juristen- und Literaten-Posse als Vorspiel wird die Liebesgeschichte des jungen Deutschen, deren ersten Teil wir im ersten Band und in Berlin gehört haben (wo er allerdings nur eine Facette der satirisch behandelten Salonkultur darstellte), mit dem zweiten Teil als alleinstehende Novelle fortgesetzt. Wir sind dafür in Rom und außer einer heftigen Kritik an der römischen Kurie wie an pietistischen Erweckungspredigern, die aber in die Novelle eingearbeitet ist, konzentriert sich Hauff ganz auf die Geschichte. Es kommen darin Doppelgänger vor und eine unglückliche Liebe oder zwei. Diese Binnennovelle trägt den Titel Der Fluch, ist aber nicht halb so schaurig, wie man es um des Titels willen vermuten würde. Der Teufel spielt darin höchstens punktuell eine Rolle, wenn er den einen oder andern der Protagonisten ad hoc dazu anstachelt, die im Moment schlechtest mögliche Antwort zu geben. Ansonsten fungiert er nur als Beobachter und als Erzähler. Wenn er nicht hin und wieder gegen den Stachel löken und eine Entwicklung gut heißen würde, die ein ’normaler‘ Erzähler als übel bezeichnen müsste, wäre diese Novelle, offen gesagt, ziemlich langweilig, weil darin zu viel Melodrama herrscht.
Besser gelingt Hauff der dritte Block, Mein Besuch in Frankfurt – eine Abrechnung mit dem frühkapitalistischen Spekulantentum. Allerdings ist hier nun aus heutiger Sicht das Problem, dass große Teile davon im damals noch existierenden Frankfurter Judenviertel spielen, und dass die Art und Weise, wie der Teufel über die Juden spricht, alles andere als politisch korrekt ist. Dabei sind diese Ausdrücke nicht satirisch verwendet in Bezug auf Leute, die so über Juden sprechen – die Satire geht auf Kosten der Juden, sowie jüdischer und christlicher Kaufleute und Spekulanten. Hauff will die Juden ernstlich karikieren; auch wenn ihm zu Gute zu halten ist, dass er nicht anders über die Juden denkt und schreibt, als so viele seiner Zeit und wir noch weit entfernt sind von den Resultaten, die dieses Denken schließlich im 20. Jahrhundert haben sollte.
Fahren wir mit den Mitteilungen weiter. Das heißt – wir sind schon beim Schluss. Den nämlich macht eine Fortsetzung des Festtag[s] im Fegefeuer. Auch hier gilt: lauer und weniger witzig als der erste Teil. Den Schluss bildet eine Art Opernaufführung in der teuflischen Hofoper, in dem vor allem der Komponist Rossini dafür gegeißelt wird, dass er von allen seinen Komponisten-Kollegen geklaut habe.
Fazit: Wenn Hauff seinem Autoren-Kollegen Goethe vorwirft, einen teilweise schwächlichen, teilweise inkonsequenten Mephistopheles gezeichnet zu haben, müssen wir ihm selber vorwerfen, dass sein Satan übers Ganze gesehen verblüffend passiv bleibt. Die Menschen, könnte man sagen, nehmen sich im Grunde genommen immer selber auf die Schippe. Satan schaut zu und notiert, dazu beitragen muss er selber wenig. Vielleicht aber macht genau das die Mitteilungen aus seinen Memoiren bis heute lesenswert. Neu als Einzelwerk ist der Text im Buchhandel, wenn ich das richtig sehe, leider nur in recht dubiosen Ausgaben von recht dubiosen Verlagen greifbar, aber bei Hauff würde ich sowieso eine Werkausgabe empfehlen.
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