Johanna Schopenhauer: Reise durch England und Schottland

Johanna Schopenhauer kennt man heute wohl am ehesten als Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer. Vielleicht erinnert man sich gar dunkel daran, dass die beiden sich später spinnefeind geworden sind. Eventuell auch kennt man ihren Namen von der Goethe-Seite her. Sie war nämlich jene Salonnière in Weimar, die als erste nach der Heirat Goethes mit Christiane Vulpius das Paar zu ihren Tees einlud, und dabei über das ehemalige Blumenmädchen, das bis dahin von den Honoratioren der Stadt geschnitten worden war, folgende Worte sagte: „Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee geben.“ Zu jener Zeit war Johanna Schopenhauer schon über 40 Jahre alt, und außer ihrem Salon, der rasch zu einer Sehenswürdigkeit in Weimar geworden war, hatte sie keine nennenswerten Errungenschaften vorzuweisen.

Ihr Lebenslauf stach bis dahin tatsächlich durch nichts Extravagantes hervor. Sie war die Tochter eines reichen Danziger Kaufmanns. Ihr Wunsch, sich in Berlin bei Chodowiecki als Kunstmalerin ausbilden zu lassen, wurde zwar ihr abgeschlagen, aber ansonsten wurde sie für ihre Zeit, ihren Stand und ihr Geschlecht großzügig ausgebildet. Vor allem Englisch und Französisch lernte sie. Ihr Englisch-Lehrer wendete dabei offenbar recht unkonventionelle Methoden an: Sie lernte die Sprache, indem sie unter anderem den empfindsamen Sterne zusammen lasen und besprachen, die Tagebücher der Mary Wortley Montagu – und natürlich Shakespeare. Mit 18 Jahren heiratete sie den rund 20 Jahre älteren Heinrich Floris Schopenhauer – eine Konvenienzehe, auch wenn Johanna sich nicht dagegen gewehrt hat. 1793 wurde Danzig preußisch; der polnisch orientierte Schopenhauer wanderte nach Hamburg aus. Die Familie sollte dort aber nie heimisch werden, was wohl auch an verschiedenen ausgedehnten Reisen lag, die sie unternahm. So reisten Floris, Johanna und der unterdessen 15-jährige Arthur im Jahre 1803 über die Schweiz, Österreich, Frankreich und die Niederland nach England, wo sie eine Rundreise durch die Insel machten, die sie bis ins schottische Hochland führen sollte.

Kurz nach der Rückkunft der Familie in Hamburg starb Vater Floris unter nie geklärten Umständen in einem seiner Speicher in der Hansestadt: Er stürzte aus einem Fenster. War es Selbstmord? Schon längere Zeit scheint er unter Depressionen gelitten zu haben. Jedenfalls erbte Johanna, wie ihre Kinder, einen Drittel seines Vermögens, was ihr erlaubte, sich einen Herzenswunsch zu erfüllen: in der Nähe berühmter Männer zu sein. Sie zog nach Weimar und eröffnete ihren Salon. Goethe wurde dort durch Bertuch oder Tischbein eingeführt; er hat dann seinerseits weitere Freunde, z.B. Carl von Knebel, bei ihr vorgestellt. Wie genau der Verleger Goethes, Cotta, da hinzugekommen ist, weiß ich allerdings nicht. Jedenfalls war auch er da, wenn er in Weimar war, und das gute Näschen des Verlegers zeigte sich bei Johanna Schopenhauer einmal mehr. Er überredete sie, doch über ihre große Reise mit Floris und Arthur einen Bericht zu schreiben, den er veröffentlichen würde. So kam es, dass Johanna Schopenhauer mit 44 Jahren zu ihrem literarischen Début kam – ein sehr erfolgreiches Début, nebenbei gesagt. Es würden deshalb noch weitere Berichte, Romane und Novellen folgen, und 1830 konnte sie dem treuen Publikum ihre Sämmtlichen Schriften in immerhin 24 Bänden präsentieren: Sie war zu einer der bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit geworden. Ihr Salon allerdings nahm rasch wieder an Anziehungskraft ab; einerseits wohl, weil Goethe zusehends weniger ausging und damit dessen großer Magnet fehlte, andererseits aber wohl auch wegen Johannas Eigenwilligkeit, die sich zum Beispiel darin ausdrückte, dass sie den nunmehr in Weimar lebenden Bibliothekar und Kunsttheoretiker Carl Ludwig Fernow ein bisschen allzu ostentativ protegierte – auf Kosten ihres und seines guten Rufs. (Und auf Kosten ihrer Beziehung zum Sohn Arthur, der wegen dieser Geschichte mit ihr brach.)

Zum eigentlichen Reisebericht:

Vor mir liegt ein Auszug aus ihrer Erzählung über die große Europa-Reise von 1803 – der Teil nämlich, der sich mit England und Schottland befasst. Johanna bereiste die Insel zur Regierungszeit von Georg III., schrieb den Bericht aber erst 10 Jahre später und fügte dort und – wo nötig – auch noch in der Ausgabe letzter Hand von 1830 neue, aktuelle Informationen hinzu, z.B., was das weitere Schicksal des in Umnachtung verfallenen englischen Königs betraf. Johanna gehörte auch zu den ersten, die in England nicht nur London besuchten, nicht nur Theater und Oper, sondern auch über Land fuhren. Ihre Interessen waren dabei breit gefächert: Da suchte sie als Empfindsame, die sie war, umsonst in Wakefield nach dem Haus des Vikars, dessen Leben Oliver Goldsmith geschildert hatte; machte natürlich einen Abstecher nach Stratford-upon-Avon, wo sie Shakespeares Wohnstätte inspizierte; oder sah in jedem Schotten, der ein Lied zum Dudelsack sang, gleich Ossian; andererseits war sie für moderne Technik aufgeschlossen, genug jedenfalls, um interessiert die aufblühende Industrie Englands zu besichtigen, wo immer sie nur konnte. Sie zieht Edinburgh London vor, berichtet aber dennoch mehr aus und über London. Sie besucht hier und dort ein Landhaus, schildert dessen Architektur und die englischen Gärten, Bibliotheken und Landwirtschaft – da und dort besichtigt sie von Dampf oder von Wasser getriebene Maschinen in Spinnereien, Münzwerkstätten oder Schmieden. Ja, in London schaut sie sich sogar eine automatisierte Brauerei an. Mal berichtet sie von ein paar einsamen Schafen im schottischen Hochland, mal vom ungeheuer formellen Leben und Treiben in den britischen Bädern. Englisches Essen, nebenbei gesagt, findet sie ungenießbar – ebenso englische Sonntage und englische Einladungen zum Essen. Sie besucht Boarding Schools, englische Internate, für Mädchen wie für Jungs, und sie weiß nicht so recht, soll sie diese und das Produkt ihrer Erziehung nun loben oder verwerfen. Sie besucht das British Museum und bestaunt darin Original-Schriftstücke von Pope (dessen ehemaliges Landhaus sie auch von weitem gesehen hat), Cook oder Elisabeth (zu ihrer Zeit gab es erst die eine). Sie besucht alle bekannten Parks und Gärten Londons, und weiß sogar, dass über Kew Gardens Joseph Banks, der ehemalige Reisegefährte Cooks, herrscht. Ja, sie besucht William und Caroline Herschel auf ihrem Landsitz und lässt sich deren berühmte Teleskope zeigen.

Und, und, und … Johanna Schopenhauer ist vielseitig interessiert und berichtet vielseitig. Ihr Stil ist dabei eher durchschnittlich, und sie riskiert deswegen leider ein paar Male, ihre heutige Leserschaft zu langweilen. Dennoch: Als literarisches Début gelungen, als Zeugnis einer Umbruchszeit (der Industriellen Revolution) interessant, zumal Johanna Schopenhauer gerade die damals als typisch weiblich geltenden Themen wie Mode und Assembléen weitestgehend ignoriert. Dennoch hätte ich jetzt zu viel Respekt davor, mich mit einem ihrer Romane einzulassen. Empfindsamkeit ohne die Ironie und die Satire eines Sterne sind für mich, wie ich gerade erst wieder feststellen durfte, ungenießbar. Und Johanna Schopenhauer kann zwar hin und wieder bissig werden – für einen ganzen Roman reicht es aber wohl nicht.

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