Karl May: Und Friede auf Erden!

Für einmal muss ich zugeben, dass dieses Buch (ich zögere, es einen Roman zu nennen) nicht ohne historische Kenntnisse und vor allem biografische Einzelheiten des Autors verstanden werden kann. Das ist in meinen Augen fast immer ein Zeichen eines schlechten Buchs – so auch hier.

Zum Autor: Karl May ist den jüngeren unter meinen Leser*innen wahrscheinlich sowieso unbekannt; bis in die 1960er war er im deutschen Sprachraum (und nur da! – eine internationale Karriere blieb Mays Büchern ebenso verwehrt wie den Filmen nach deren Motiven) ein Haushaltsname. Geboren 1842 in ärmlichsten Verhältnissen, in jungen Jahren straffällig geworden, arbeitete er sich mit seinen Reiseerzählungen empor zum Star am Himmel der deutschen Trivialliteratur – Erzählungen, die vor allem im Nahen Osten und im Wilden Westen angesiedelt waren. Obwohl er jahrelang das Gegenteil behauptete, beruhten diese Erzählungen keineswegs auf echten Abenteuern. May war erst 1899 im Orient, 1908 in den USA. Beide Male reiste er komfortabel als Massentourist, von den Abenteuern und Entbehrungen seiner Erzählungen konnte keine Rede sein. Erst spät und auch auf Grund der Erfahrungen seiner echten Reisen, gab May die Behauptung auf, alle Länder, die er beschrieben hatte, auch tatsächlich besucht zu haben. Dennoch galt er noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Spezialist für – China. (Wohl, weil er 1888 ein Jugendbuch mit Abenteuern eines alten Studenten veröffentlicht hatte, das in China spielte.) Als im Jahre 1900 in China der von den Kolonialmächten so genannte ‚Boxeraufstand‘ gegen den Imperialismus Japans, der USA und einiger europäischer Länder (vor allem Frankreich, England und Deutschland – ja, auch Deutschland hatte zu jener Zeit Kolonien in China!) stattfand und niedergeschlagen wurde, schrieb sich das Deutsche Reich eine wichtige Rolle dabei zu. Der deutsche Nationalismus kannte darauf kein Halten mehr. Um diesen vermeintlich großen Erfolg zu feiern und zu verewigen, beschloss der Verleger Kürschner (der ansonsten bekannt war für seinen Literaturkalender, eine Auflistung deutscher Schriftstellerinnen der Zeit), einen Sammelband mit historischen wie literarischen Arbeiten zum Thema ‚China‘ zu veröffentlichen. Selbstverständlich sollte dabei die Rolle Deutschlands als Kolonialmacht verherrlicht werden – was auch in den nicht-fiktiven Texten zur Genüge geschah. Den literarischen Teil der Anthologie sollte der China-‚Spezialist‘ Karl May übernehmen.

Was Kürschner offenbar nicht wusste: Nach seiner Orientreise hatte May nicht nur dem Schreiben von Abenteuerliteratur Valet gesagt, sondern stellte nun auch seine (ihm zu Ehren sei’s gesagt: schon immer vorhandene) pazifistische Weltanschauung mehr und mehr in der Vordergrund seines Schaffens – diese und seine gegen jede Form von Rassismus gerichteten Ideen. Kürschners Wahl hätte also schlechter nicht ausfallen können. May – diesbezüglich wohl wirklich naiv – machte sich über Kürschners Vorstellungen offenbar auch keine Gedanken, nahm den Auftrag an und machte sich daran, eine Geschichte zu erzählen, in der eine Annäherung der Rassen, Nationen und Religionen als Ziel der Menschheit und der Menschlichkeit propagiert wurde.

Diese Geschichte auch nur ansatzweise zusammenzufassen, ist unmöglich. Sie fängt in Kairo an, wo der Ich-Erzähler (der offenbar mit Karl May identisch sein soll, denn er hat dessen Gedichte – die 1900 erschienenen Himmelsgedanken – geschrieben) gerade angekommen ist und in seinem üblichen Hotel, schreibt er, sein übliches Zimmer, schreibt er, bezogen hat. In diesem Hotel trifft er auf praktisch alle im Laufe der Geschichte wichtig werdenden Personen: den US-amerikanischen Missionar Waller mit seiner deutschsprechenden Tochter (ihre verstorbene Mutter war Deutsche und damit – bei allem Anti-Nationalismus, der aus dem Text spricht – per se eine gute Frau), zwei vornehme Chinesen (Vater und Sohn), sowie einen eingeborenen Eseltreiber, einen Muslim, den er zu seinem Leibdiener macht. Schon in Kairo rettet der Ich-Erzähler den fanatischen Christen Wallner aus den Händen ebenso fanatischer Muslime. (Der einzige Unterschied zu den bisherigen Abenteuerromanen Mays ist bis hier nur, dass er dies ohne Waffen und sogar ohne Fäuste zu Stande bringt. Tatsächlich nimmt der Protagonist während des ganzen Buchs kein einziges Mal eine Waffe in die Hand.) Mary Waller, die Tochter, schwärmt dem Ich-Erzähler unbekannterweise (denn May reist selbstverständlich inkognito) von einem Gedichtband namens Himmelsgedanken vor und von dessen Autor Karl May, den sie gerne kennen lernen würde. Diese Gedichte, nebenbei (eins oder zwei werden zitiert), sind religiös-empfindsamer Kitsch par excellence – und das gilt für den ganzen Band der Gedichte. Ich habe ihn vor Jahren durchgeackert. Im Anschluss an die ägyptischen Abenteuer reisen wir mit May nach Colombo auf der damals ‚Ceylon‘ genannten Insel. Dort eskaliert ein Konflikt mit selbst ernannten Zivilisatoren, die denken, in jeder Hinsicht bessere Menschen zu sein, als die Heiden der Insel. Dort stößt der letzte wichtige Protagonist zur Truppe, Raffley, ein englischer Lord und Multimillionär (oder gar Multimilliardär?). Der Fanatiker Waller muss einmal mehr vor Einheimischen gerettet werden, deren Tempel er abgefackelt hat. Es gelingt, weil sich herausstellt, dass sowohl der Oberpriester des Tempels, wie der englische Lord und die beiden Chinesen Mitglieder einer Geheimgesellschaft sind, der Shen, die sich zum Ziel gesetzt hat, alle Menschen in Frieden und (religiöser) Toleranz zu vereinigen. Damit hat May, so nebenbei und nicht unelegant, das Thema des wilden und blutrünstigen Eingeborenen ad absurdum geführt.

(Eine Zwischenbemerkung: Ganz zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere finden wir bei Karl May durchaus positive Bemerkungen zur Freimaurerei. Auf dem Höhepunkt seines eigenen christlichen Missionierens in Büchern waren hierarchisch gegliederte Geheimgesellschaften mit geheimen Erkennungszeichen und -worten dann immer Merkmal des Bösen: Die Schurken gehörten solchen Gesellschaften an; die Guten – das war eine kleine Truppe Einzelner, die sich ad hoc gebildet hatte und nun, punktuell, diese bösen Gesellschaften bekämpfte.)

Der Text, wie er in Kürschners Anthologie publiziert wurde, endet auf der Überfahrt von Malaysia nach China. Auch das ist irgendwie typisch für May: Er soll über China schreiben, kommt aber in seiner Geschichte nicht einmal dorthin! Zugegeben: Daran waren auch die immer größer werdenden Differenzen schuld zwischen dem Autor und Kürschner, der nun doch langsam merkte, dass, was er geliefert erhielt, nicht das war, was er von einem patriotischen Schriftsteller erwartet hatte – der Roman wurde vorzeitig beendet (der Text war sowieso schon zu lang geraten) und erhielt eine Art Notdach.

Der Autor hängte für seine eigene Ausgabe vor allem noch ein weiteres, fünftes Kapitel an. Und selbst jetzt bringt uns das fünfte Kapitel auch nur nominell nach China. Das Schiff, mit dem May und seine Freunde reisen, landet nämlich in der fiktiven Bucht Ocama des Gelben Meers, an einem Küstenstreifen, der den Shen gehört. Raffley hat hier eine exakte Kopie seines Stammschlosses in England bauen lassen, in dem sich der Rest der Geschichte abspielt.

Spätestens seit die Kolonisatoren auf Malaysia abgefertigt wurden und Wallner aus den Händen der so gar nicht blutdürstigen Einheimischen gerettet wurde, geschieht in diesem Roman eigentlich gar nichts mehr. May versucht sich in der Schilderung innerer Erlebnisse – was dann letzten Endes darauf hinausläuft, dass er zur Rettung Wallers eine Art freischwebender Seelen postuliert, die bei Bedarf vom Körper eines Menschen Besitz nehmen können. Einige dieser Seelen sind gute, andere sind böse. Tertium non datur – wir haben eine manichäistisch gefärbte Seelenwanderungstheorie vor uns. Zumindest dürfen wir sagen, dass Mays Lösung des Leib-Seele-Problems originell ist.

Zusammengefasst: Das Buch trieft von Kitsch und seltsamen theologischen Ansichten. Eine Story existiert kaum, und wenn, ist sie schwer nachzuvollziehen. Selbst Karl-May-Aficionados verschweigen diesen Roman meist schamhaft. Es braucht eine gewisse Liebe zum (theologisch) Ausgefallenen, wenn man diesen Roman zu Ende lesen will. Und selbst dann wird man wohl so manche Stelle einfach seufzend querlesen.

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