Richard Wrangham: Bruder Affe

„Bruder Affe“ ist das erste der auf Deutsch erschienenen Bücher von Richard Wrangham (ich habe sie offenbar in verkehrter Reihenfolge gelesen) und es wirkt ein wenig wie eine Vorstudie zu dem 20 Jahre später erschienen Buch über Gewalt. Vieles, was später über Gewalt (etwa von Pinker) oder Empathie (von de Waal) geschrieben wurde, wird in diesem Buch vorweggenommen: Die latente Gewaltbereitschaft des Menschen – und der Primaten (insbesondere wird auf die „Schimpansenkriege“ Bezug genommen, die als Beispiel für menschliche Territorialkonflikte dienen), ihre Reduktion durch die sozialen Verflechtungen in einer Gruppe und die daraus resultierende Hilfsbereitschaft, die sich zumeist (leider) nur auf die eigene Gruppe beschränkt.

Neben vielen bekannten Aspekten analysiert Wrangham auch das zumeist gewalttätige Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Wobei er dabei – glücklicherweise – nicht politisch korrekt zu sein versucht, sondern eine auf plausible Annahmen sich stützende Theorie vorträgt: Abgesehen von der schlichten Tatsache, dass im Tierreich zumeist Männchen physisch überlegen sind und schon dadurch auf Weibchen Macht auszuüben imstande sind (eine Ausnahme sind die Tüpfelhyänen, die Wrangham ausführlich und mit spürbarem Vergnügen beschreibt), entwickelt er für die Menschen eine Hypothese, die – ausgehend von der physischen Unterlegenheit der Weibchen, die sie stärker – auch durch den Nachwuchs – an das Lager bindet, die Ursache für das Machtgefälle in der Nahrungszubereitung sieht. Die Frau am Herd bedarf eines Beschützers, um nicht der Früchte dieser Arbeit verlustig zu gehen – und je stärker und gewalttätiger ein Männchen ist, desto eher kann es einen solchen Schutz gewährleisten. Dies sei ein Grund dafür, dass „starke“ oder auch gewalttätige Männer immer noch faszinieren – ob es sich nun dabei um „kämpferische“ Sportstars handelt oder um muskelbepackte Superhelden wie Arnold Schwarzenegger.

Wie kann man diesem aggressiven Machismus entfliehen? Auch dafür findet Wrangham ein Beispiel aus der Tierwelt. Während Schimpansen tatsächlich Kriege führen, ist das bei den eng verwandten Bonobos noch nie beobachtet worden. Und es gibt eine weitere Eigenheit: Obschon die Männchen auch bei ihnen physisch überlegen sind, hat sich eine Art Matriarchat ausgebildet, denn Weibchen haben es (im Gegensatz zu den Männchen) geschafft, stabile Allianzen zu bilden. Kann ein Schimpansenmännchen ungestraft ein Weibchen verprügeln, sollte sich ein Bonobomännchen dergleichen gut überlegen: Alsbald bekommt er es nämlich mit einer Gruppe von Weibchen zu tun, deren Zusammenhalt aus Verwandtschaften und sexuellen Beziehungen resultiert (und häufig ein Leben lang Bestand hat). Der Rat Wranghams an die Frauen ist also klar: Verbündet euch und ihr könnt am ehesten den sich brutal gebärdenden Macho in die Schranken weisen. Demokratische Wahlen wären hiefür wunderbar geeignet. Allerdings scheint die Faszination von brutalen Rüpeln noch nicht bei allen weiblichen Primaten verloren gegangen zu sein: Wäre dem so, könnte Trump seine Wiederwahl vergessen.

Im übrigen ist das gerade ausführlicher abgehandelte Kapitel über die Geschlechterbeziehungen jenes, das am meisten Spekulatives beinhaltet. Ansonsten ist dies ein faktenbasiertes, hervorragendes Buch, das mit so manchen Vorurteilen aufräumt (etwa den „Südseeparadiesen“, deren Realität den Träumen westlicher Reisender nicht standhalten können) oder einer idealisierten Tierwelt, die so etwas wie „sinnloses“ Töten oder Vergewaltigung nicht kennen würde (bei Pavianen sind fast 30 % aller Sexualkontakte Vergewaltigungen). Empfehlenswert wie alle anderen Bücher des Autors.


Richard Wrangham: Bruder Affe. Menschenaffen und die Ursprünge menschlicher Gewalt. München: Hugendubel 2001.

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