Stanisław Lem: Die Astronauten

Lems erstes Buch. (Es gibt zwar einen noch früher geschriebenen Roman, der aber erst als Buch veröffentlicht wurde, als Lem seinen Ruf gefestigt hatte. Sein erster veröffentlichter Text war eine Serialisierung in einem polnischen Magazin.) Gleich mit diesem Roman gelang 1951 dem polnischen Arzt der Durchbruch als Verfasser von Science-Fiction-Romanen. Die Astronauten erlaubte ihm, schon früh als freischaffender Autor zu leben. In der DDR war eine Übersetzung bereits 1958 greifbar; in der BRD erst 20 Jahre später. Die Astronauten sind aber bis heute bei Suhrkamp erhältlich.

Der Inhalt der Geschichte ist im Grunde genommen rasch erzählt. 1903 schlägt in der sibirischen Taiga ein Meteorit ein – oder das, was man damals dafür hielt. (Diesen Metoriten-Einschlag gab es wirklich – er hat so manchen Science-Fiction-Autor inspiriert.) 100 Jahre nach dem Einschlag wird bei wissenschaftlichen Nachforschungen vor Ort ein rätselhafter Gegenstand gefunden. Er stellt sich als Artefakt heraus, als Teil eines außerirdischen Raumschiffs. Der Einschlag war also kein Meteorit, sondern die Havarie eines Raumschiffs. Man findet heraus, dass es sich beim Inhalt dieses Artefakts um, wie wir heute sagen würden, eine elektronische Datensicherung oder einen Flugschreiber handelt, und es gelingt sogar, die Daten auszulesen. Dadurch lässt sich bestimmen, dass es sich beim fremden Schiff um eine Spionagesonde gehandelt hatte, die unbemannt zum Sammeln von Informationen unterwegs war. Ihr Ursprungsort war der Planet Venus. Warum die Bewohner dieses Planeten Daten über die Erde sammelten (sie suchten offenbar etwas oder jemand Bestimmtes, den Herren dieser Welt, wie die versammelten Wissenschaftler vermuten), bleibt aber unklar. Es wird beschlossen, ein irdisches Raumschiff, das gerade für die Reise zum Mars bereit gestellt wurde, umzuleiten zur Venus. Dieser erste Teil der Geschichte wird von einem auktorialen Erzähler vorgebracht.

Die Reise nun, und die Erlebnisse der Crew auf der Venus werden in der Ich-Form vom Piloten des irdischen Raumschiffs erzählt. Zusammen mit einer Handvoll speziell ausgesuchter Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten (aber alles Naturwissenschaftler) soll er die Venus erkunden. Auf dem Flug dorthin erzählen die Protagonisten einander aus ihrem Leben. Nachdem das Schiff, genannt der Kosmokrator, die Venus erreicht hat und dort gelandet ist, beginnen die Expeditionen auf dem fremden Planeten. Die Venus scheint ausgestorben zu sein – keine Spur von irgendeiner Form von Leben kann ausgemacht werden. Andererseits stolpern die Forscher am laufenden Band über Gebilde, die eindeutig künstlich hergestellt sind. Einige davon sind ziemlich seltsam und bergen für die Menschen der Erde todbringende Fallen. Andere sind eher nur bizarr in ihrer Gestalt, und noch andere wiederum weisen eindeutige Spuren gewaltsamer Zerstörung durch riesige Kräfte auf.

Nach einigen, nicht ungefährlichen Abenteuern gelingt es der Crew, einen Raum mit Aufzeichnungen der Venus-Bewohner zu finden – eine offenbar ebenfalls zerstörte Art von Bibliothek, in denen diese ihre Annalen aufbewahrten. Die Menschen können nicht alles sichten; einige Aufzeichnungen sind auch unrettbar verloren – zerstört jenseits jeder Möglichkeit der Rekonstruktion. Doch mit Hilfe des Supercomputers an Bord der Kosmokrator gelingt es den Wissenschaftlern, zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit herauszufinden, was geschehen ist. Ihre Forschungsresultate weisen darauf hin, dass die Bewohner der Venus die benachbarte Erde aus kaltblütigem Kalkül annektieren wollten. Die Menschen waren ihnen dabei im Weg und sollten mit einer speziellen Waffe getötet werden – einer Waffe, die nur die Lebewesen umbringen würde, aber die von ihnen errichtete Infrastruktur intakt lassen sollte. (Der Grund für den Annexionsgedanken wird nicht klar; vielleicht war Venus überbevölkert, vielleicht deren Bewohner auch einfach nur bösartig.) Die verunglückte Sonde sollte offenbar herausfinden, ob es Teile der Infrastruktur gab, die einen Angriff nicht überstanden hätten. Doch die Venus-Bewohner suchten nicht nur Streit mit den Erdmenschen, sie standen auch untereinander immer wieder im Krieg. Als dann eine Partei offenbar endgültig zu unterliegen drohte (und ihr Schicksal in diesem Fall wäre wohl, wenn wir an das der Erdbevölkerung zugedachte denken, kein schönes gewesen sein), drehte sie die für die Erde bestimmte und bereits fertig gestellte Waffe gegen ihre venusianischen Feinde – es war ihr offenbar lieber, dass alle Bewohner der Venus untergingen, als dass es nur sie beträfe. Die Erdmenschen reisen in Gedanken verloren nach Hause.

So weit, kurz zusammengefasst, die Geschichte. Die Astronauten war Lems erster Roman und die Schwächen des Buchs liegen nur allzu offen zu Tage. Lem selber nennt einige, in seinem 25 Jahre später für die 8. polnische Auflage geschriebenen Vorwort:

[…] über den Bau von Raketen und sogar über die technische Seite der Astronautik hätte ich mich schon vor einem Vierteljahrhundert besser informieren können, als ich das getan habe. Und schließlich das Jahr zweitausend … Aus der Perspektive der fünfziger Jahre schien es mir eine so weit entlegene Zukunft, daß man in ihr optimistische Träumereien von einer friedlich geeinten Welt unterbringen könne. Jetzt aber, da es von Heeren gelehrter Futurologen aufs Korn genommen wird, gebietet es dem Optimismus Zurückhaltung und Dämpfung früherer, allzu naiver Hoffnungen. […] Heute ist diese fantastische Geschichte nicht nur voll technischer Irrtümer und voller Vorhersagen, die von der Zeit umgestoßen worden sind, sondern sie ist auch sehr – in geradezu märchenhafter Weise – naiv.

Lem meint damit einerseits den technischen Umstand, dass die Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Großrechners bereits Mitte der 1970er die von ihm fürs Jahr 2003 erträumte bei weitem übertraf, oder dass seine Rechner noch immer mit Vakuumröhren liefen. Andererseits ideell den – vielleicht auch nur vorgetäuschten – Glauben an einen sich weltweit durchsetzenden Sozialismus, der eine Einteilung der Menschheit in Nationen überflüssig gemacht hätte. Mit der Darstellung des Schicksals der Venus-Bewohner wird Die Astronauten auch zu einem allegorischen Buch – zu einem riesigen Wink mit einem riesigen Zaunpfahl, denn tatsächlich war die Angst vor einem dritten Weltkrieg, der mit der Atombombe die Menschheit völlig auslöschen wurde, im sich gerade aufbauenden Kalten Krieg links wie rechts in der Bevölkerung sehr groß. Und gerade hierin – in seinem Glauben an die Wirksamkeit einer Allegorie – ist es mindestens so naiv, wie in seiner ganzen Technologie und Ideologie zusammen betrachtet.

Daneben sind auch Schwächen kompositorischer Art anzuzeigen: Die Erzählungen der Crewmitglieder, bevor der Kosmokrator auf der Venus eintrifft, sind im Grunde genommen überflüssig. Sie dienen nur bedingt einer näheren Charakterisierung der Protagonisten – dafür sind sich diese dann doch allzu ähnlich. Sie können auch nicht als retardierendes Moment fungieren, da zum Zeitpunkt der Erzählungen das Schiff noch nicht auf der Venus steht, und noch gar keine Spannung aufgebaut worden ist, die zu halten wäre. Alles in allem braucht der Roman also, bis alle vorbereitenden Berichte und Abklärungen in Teil 1 getroffen sind, und bis das Schiff in Teil 2 dann endlich auf der Venus aufsetzt, eine*n Leser*in mit Geduld, hat man doch bis zu diesem Moment bereits das halbe Buch gelesen.

Doch das Buch hat nicht nur Schwächen. Auf der reinen Ebene der Figurenführung schätze ich, dass Lem, wie auch Arthur C. Clarke in seinem Märchen der Erkundung eines fremden Artefakts, Rendezvous with Rama*), die Crew seines Forschungsschiffs Gefahren durchlaufen lässt, es aber letzten Endes keine Toten gibt (zwar, anders als bei Clarke Verletzte), schätze ich vor allem, dass Lem ebenso wenig wie Clarke zum billigen Mittel greift, Zwiespalt unter den Crewmitgliedern zu säen: Lems Forscher sind alles gesetzte Stoiker, die sich auf ihre Wissenschaft konzentrieren, zwar ihre Menschlichkeit nicht verleugnen, aber stets kooperieren. Hier ziehen alle an einem Strick (bei einem der Abenteuer sogar wortwörtlich!).

Vor allem aber schätze ich, dass wir schon in diesem frühen Roman ein später immer wieder auftauchendes Thema Lem’scher Science Fiction finden: Es ist den Erdbewohnern in letzter Konsequenz nicht möglich, die Gedankengänge der Venus-Bewohner nachzuvollziehen. Was die Leute der Venus zu ihrem Tun antrieb, bleibt den Astronauten der Kosmokrator ein Geheimnis. (Ähnlich wiederum ja auch bei Clarke; ich weiß nicht, ob er Lems Astronauten kannte – meines Wissens gibt es bis heute keine englische Übersetzung des Romans.)

Last but not least: Ich mag Romane, bei denen zum Schluss nicht alles aufgeklärt wird. Und so mag ich – bei allen Schwächen, die schon Lem erkannte, und sogar bei denen, die er nicht erkannte – auch Die Astronauten.


*) Auf die Ähnlichkeit der Story in vieler Hinsicht habe ich dort nicht hingewiesen – sie ist aber frappant. Ich bin versucht zu sagen, dass der ganz große Unterschied der beiden Roman der ist, dass Clarkes Protagonisten Taucher sind, Lems Pilot hingegen (wie auch andere seiner Protagonisten!) ist – Bergsteiger.

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