Christian Dietrich Grabbe: Don Juan und Faust

Auf den ersten Blick sieht es aus, wie eine sehr gute oder zumindest ziemlich interessante Idee für ein Drama: die Gegenüberstellung der beiden großen männlichen Mythen der Neuzeit: Don Juan und Faust. Hie Don Juan, der schon fast dämonische Frauenverführer, der die Frauen und die Liebe aus dem gesellschaftlich-moralischen Kontext des mittelalterlichen Denkens herausgelöst hat und sich den beiden als beinahe abstraktem Denksport mit sinnlicher Grundlage widmet. Dort Doktor Faust, der die mittelalterlich-scholastischen Grenzen des menschlichen Wissens, Wissen-Könnens, überschreiten will – auch er im Sinne eines intellektuellen Denksports, aber ohne sinnliche Grundlage.

Oder, wie es Grabbe in einer Selbstrezension formuliert hat:

Unter den Namen Don Juan und Faust kennt man zwei tragische Sagen, von denen die eine den Untergang der zu sinnlichen, die andere den der zu übersinnlichen Natur im Menschen bezeichnet. In Tragödien, Tragi-Comödien und Opern ist dieser Stoff, der etwas Weltbedeutendes an sich hat, vielfach behandelt, und selbst Shakespeares Hamlet ist nichts anderes als ein englischer Faust. Mozarts Don Juan und Goethes Faust – welche Kunstwerke! Und wie kühn, nach diesen Meistern in beiden Stoffen wieder aufzutreten. … Die Composition, die Verschmelzung beider Sagen ist höchst genial, – wir haben in den beiden Hauptpersonen die Extreme der Menschheit vor uns, und auch äußerlich, in der dramatischen Handlung, hat der Dichter sie trefflich aneinander zu bringen gewußt.

Brief vom 16. Januar 1819

Halten wir es Grabbe zu Gute, dass er bei der einzigen (und auch nur einmaligen!) Aufführung, die überhaupt eines seiner Dramen zu seinen Lebzeiten sah, etwas exaltiert reagierte. Er hätte so gern weitere und viele weitere Aufführungen erlebt …

Grabbe schildert in seiner Kurzrezension nämlich mehr die Intentionen, die ihn beim Verfassen des Stücks leiteten, als das erhaltene Ergebnis.

Don Juan, um mit ihm zu beginnen, ist in diesem Drama nämlich keineswegs sinnlich. Im Gegenteil, und anders, als man es erwarten würde, ist es gerade Don Juan, der sich an seinen eigenen Worten nachgerade besäuft – er baut sich seine Welt aus seinen Worten zusammen. Als ihn der Bräutigam Donna Annas, Don Octavio, beim Gespräch mit eben dieser Donna Anna unterbricht, stört Don Juan nicht die Trübung der Zweisamkeit, der Abbruch der soeben in Gang gekommenen Verführung, sondern, dass seiner Rede Einhalt geboten wird, an der er sich gerade zu berauschen begann:

Verflucht, ich war // Im besten Zuge. Meinem Munde entströmten // Die Bilder dutzendweise. –

II,1

Faust hingegen fühlt sich durch die Sprache eingeengt. Er ist auch sprachlich ein Rüpel, der ungehobelte deutsche Klotz in der feinen lateinischen Welt Roms bzw. der spanischen Granden um Don Juan, Donna Anna, Don Octavio und Don Gusman. Er hat kaum Manieren, selbst Donna Anna versucht er nur mit brachialer bzw. magischer Gewalt zu verführen. (Die Frau aber ist unterdessen der Wortgewalt Don Juans erlegen und liebt nun den spanischen Granden.)

Die beiden, Don Juan und Faust, sind bei Grabbe auch kein ebenbürtiges Paar. Selbst wenn der Teufel sie zum Schluss beide holt, und dabei meint:

Ich weiß, ihr strebet nach // Demselben Ziel und karrt doch auf zwei Wagen!

IV,4

sind sie sich nur insofern ähnlich, als beide die Grenzen menschlichen Anstands und Wesens zu überschreiten suchen. Deshalb ist vor allem die direkte Konfrontation der beiden auf dem Mont Blanc misslungen: Don Juan, der sich auf seine zwar ausgezeichneten, aber doch nur menschlichen Künste im Fechten verlässt, hat gegen den magische Gewalten einsetzenden Faust keine Chance. Und einen Kampf mit Worten verweigert Faust, wohl wissend, dass da hinwiederum er keine Chance hätte.

Und der Teufel? Wir haben ja schon gesehen, dass er auch in Grabbes Stück vorkommt. Wie bei Goethe, allerdings in einer bedeutend schwächer geschriebenen Szene, wird er von Faust beschworen und steht ihm in seinen Taten und Untaten zur Seite. Er tritt hier als bleicher Ritter auf (wie das ganze Stück ja im 16. Jahrhundert spielt). Faust behandelt ihn weder freundschaftlich noch respektvoll, nennt ihn gar einige Male Knecht. Einmal, als er sich über ihn ärgert, lässt er ihn sogar zurück in die Hölle führen und dort ein bisschen quälen. Dass der – im Übrigen namenlos bleibende – Teufel zum Schluss dennoch triumphiert und zuerst Faust, dann Don Juan in die Hölle holt, Don Juans Schloss abbrennen lässt (wobei auch Don Juans Diener Leporello verbrennt), wirkt dann auch mehr wie eine persönliche Rache eines armen gequälten Teufels, denn wie die dramaturgisch notwendige Konsequenz der Handlungen der beiden Protagonisten. Wirkliches Profil gewinnt der bleiche Ritter nicht; er bleibt – blass.

Dennoch: Auch wenn der Aufbau des ganzen Stücks und vor allem die Konfrontation der beiden Protagonisten ein wenig windschief geraten sind, hat Don Juan und Faust durchaus seine Meriten. Im Umstand, dass kein wirklich oder auch nur halbwegs positiv dargestellter Held zu finden ist, weist Grabbe voraus auf den Realismus – ja, sogar noch weiter, zum Beispiel auf einen Autor wie Brecht. Dieses Seiner-Zeit-voraus-Sein spürte offenbar schon der (auf seine Weise ja ebenfalls aus seiner eigenen Zeit gefallene) Søren Kierkegaard, der in Entweder – Oder feststellte, das Stück sei in außergewöhnlicher Weise auf das Böse gegründet [meine Hervorhebung].

Fazit: Trotz aller Schwächen (oder gerade deswegen?) durchaus wert, auf der Bühne oder auch nur auf dem Papier zur Kenntnis genommen zu werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert