Dass Arthur Schopenhauer ausgerechnet das Handorakel des beinahe 200 Jahre älteren spanischen Jesuiten Baltasar Gracián y Morales ins Deutsche übersetzte, ist durchaus nachvollziehbar. Da ist einmal die elegante Sprache des Spaniers: Kurze Sätze und parataktische Reihungen machen den Text eingänglich und leicht verständlich, ohne es an stilistischen Feinheiten mangeln zu lassen. Beide teilen sich eine große Skepsis gegen den Menschen an sich, eine Skepsis, die nachgerade in Zynismus umschlagen kann. Gegenüber der Welt als solcher verhalten sich beide ausgesprochen pessimistisch. Last but not least will Gracián ebenso wenig Theorie für Theoretiker verfassen wie Schopenhauer in seinen ethisch-moralischen Schriften.
Das Handorakel zeigt Gracián grundsätzlich als Stoiker und Rationalisten, angesiedelt irgendwo zwischen Renaissance und Barock. Selten genug führt er Beispiele berühmter Philosophen oder Fürsten an; wo er es tut, sind es meist Seneca und Sokrates als Philosophen, Alexander der Große und Caesar bei den weltlichen Herrschern, die ihm exemplarisch sind. Nicht erwähnt, aber im Hintergrund äußerst präsent ist Aristoteles, dessen Theorie des Mittelwegs für den Spanier immer wieder Leitbild ist.
Baltasar Gracián y Morales versucht, eine Art Verhaltensratgeber zu liefern für Leute, die in der Politik, genauer: in einem (vor-)absolutistischen Staat Karriere machen wollen. So kommt es, dass auch des öfteren für heutiges Verständnis recht zynische Ratschläge vorkommen, so, wenn es darum geht, bis zu welchem Maß dieser Karrieremann einem Vorgesetzten schmeicheln soll oder in welchem Maß er Vorgesetzten oder Untergebenen Vertrauen schenken soll. Gedacht ist das Büchlein – der Ausdruck Handorakel weist darauf hin – als bequem mitzutragendes Handbuch, das man auch schon mal unterwegs konsultieren kann.
Alles in allem sind Graciáns Aphorismen auch heute noch interessant und erlauben auch heute noch eine Nutzanwendung auf unser tägliches Leben. In der von mir gelesenen Übersetzung Schopenhauers sind sie zusätzlich noch ein ästhetischer Genuss.