Iwan A. Gontscharow: Die Fregatte Pallas

Nicht ganz freiwillig und deshalb auch wenig begeistert hat Gontscharow diese Reise mit der Fregatte Pallas unternommen. Der Schriftsteller, der als erste Wahl Admiral Putjatin hätte begleiten sollen, hatte dankend abgelehnt und an seiner Stelle Gontscharow vorgeschlagen als literarischen Sekretär und Übersetzer für die Pallas. Ob das ein Freundschaftsdienst sein sollte, oder ob er aus irgendeinem Grund Gontscharow eins auswischen wollte, kann ich nicht sagen. Dieser jedenfalls, da er als Beamter für das Russische Reich arbeitete, konnte schlecht nein sagen, als des Zaren offizieller Befehl zur Reise eintraf. Gontscharows Enthusiasmus hielt sich denn auch die ganze Fahrt hindurch in ziemlich engen Grenzen: Er, der mit der Natur nichts anfangen konnte, der die Zivilisation und die Städte über alles liebte, konnte mit Naturschauspielen wie Stürmen oder Gewittern auf hoher See wenig anfangen. Statt sich nach draußen zu begeben und nass zu werden, zog er es vor, in er Kajüte zu bleiben und seinen Sitzplatz zu verteidigen, da er der bequemste und einzig trockene war. Nichts störte sein Wohlbefinden mehr als nasse Schuhe zu tragen.

Der offizielle Zweck der Reise war es, die amerikanischen Besitzungen des Russischen Reichs (Alaska!) näher an dieses anzubinden. In Tat und Wahrheit hatte die Expedition aber die geheime Mission, einen Handelsvertrag mit Japan abzuschließen. 1852, als die Pallas von einem Hafen in der Nähe von Sankt Petersburg losfuhr, war dieses fernöstliche Inselreich noch vom Rest der Welt abgeschottet. Einzig die Holländer hatten das Recht, an der Küste bei Nagasaki eine kleine Faktorei zu betreiben. Aber auch sie durften den engen Bezirk dieser Handelsniederlassung nicht verlassen. Japan hatte sich ungefähr 200 Jahre früher für Fremde geschlossen, weil man mit ihnen – vor allem den christlichen Missionaren aus Spanien und Portugal – schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Außer ein paar Jesuiten war dies dem Rest der Welt lange Zeit relativ egal gewesen; jetzt aber, im Zeitalter des sich entwickelnden Welthandels, gab es Bestrebungen, auch Japan einzubinden. Einerseits war der Welthandel, wie jede kapitalistische Unternehmung, auf ständige Expansion angewiesen; andererseits war im Zeitalter der Segelschiffe das Meer zwischen China (das die Europäer, allen vor an die Briten, bereits für den Welthandel geöffnet hatten) und Japan berüchtigt, weil immer wieder Wettersituationen eintraten, die für Schiffsunfälle sorgten. Zwar hatte Japan mit einigen Staaten (z.B. China) bereits bilaterale Abkommen getroffen, nach denen Schiffbrüchige, die an seine Küsten angeschwemmt wurden, repatriiert werden konnten, aber vor allem Europäer riskierten immer noch, beim Betreten japanischen Bodens einfach hingerichtet zu werden. Im Rennen nun um japanische Handelsrechte wollte auch Russland nicht zurückstehen.

Dummerweise war es so, dass das Russische Reich zwar über Häfen im Stillen Ozean verfügte, aber die lagen zu weit im Norden, in Sibirien, und waren während der dort herrschenden langen und kalten Winter zugefroren. Außerdem wurde das Reich nicht nur aus dem Westen regiert – es befanden sich auch alle wichtigen Gelehrten, Ingenieure und Handwerker dort. Schiffsbau, Werften, gab es nur im Westen, an der Ostsee. So kam es, dass die Fregatte Pallas (ob sie nach dem lange Zeit in russischem Dienst stehenden preußischen Entdeckungsreisenden Peter Simon Pallas (1741-1811) benannt worden ist, habe ich auf die Schnelle nicht herausfinden können) in Kronstadt in der Ostsee startete. Eilig schien man es aber nicht gehabt zu haben (mit einem Segelschiff mussten auch die Windbedingungen berücksichtigt werden, die je nach Jahreszeit herrschten). Jedenfalls machte die Fregatte, nachdem sie Dänemark und Schweden passiert hatte, für runde drei Monate in der Nähe von London Halt, bevor sie über Madeira und die Kapverdischen Inseln die Südspitze Afrikas umrundete. (Den Suezkanal gab es noch nicht.) In Kapstadt legte man wieder für längere Zeit einen Stopp ein. Über Singapur (das Gontscharow hartnäckig indisch nennt) und Hongkong (wo bereits erste Signale einer Verschlechterung der britisch-russischen Beziehungen zu spüren waren) ging es nach Nagasaki. Die zähen und praktisch ergebnislosen Verhandlungen wurden von russischer Seite einige Male unterbrochen. In dieser Zeit ging es einmal nach Shanghai, das man fluchtartig verlassen musste, weil die britischen Kolonialherren dort das russische Kriegsschiff wohl konfisziert hätten (unterdessen war der Krimkrieg ausgebrochen!). Das zweite Mal reiste man in den Süden nach Manila, weil die sibirisch-russischen Häfen im Norden noch zugefroren waren. Am meisten faszinierte Gontscharow auf den Philippinen eine dortige Zigarren-Manufaktur … Auch ein dritter Versuch der Russen in Nagasaki brachte wenig Erfolg. Dieses Mal verließ das Schiff Japan in Richtung Norden. Gontscharow, vom Heimweh geplagt, durfte seinen Abschied nehmen und reiste über Land quer durch Sibirien nach Sankt Petersburg zurück. Er entkam dadurch dem großen Unglück, das das Nachfolgeschiff der Pallas traf, als es – erneut vor Japan – nach einem Erdbeben in eine Flutwelle kam, die wir heute als ‚Tsunami‘ bezeichnen würden. Aber nicht nur das Schiff als solches war gescheitert, sondern auch die Mission als Ganzes: Das Wenige, das die Russen in ihren Verhandlungen erreichten, konnten sie nicht (mehr) nutzen, weil sie unterdessen durch den Krimkrieg absorbiert waren. Und bereits 1854 enterte US-Kommodore Matthew Perry den Hafen von Tokio und erzwang vom Tokugawa-Shogunat die Öffnung Japans für den Welthandel. Im vorliegenden Buch redet Gontscharow diesen Erfolg Perrys klein – ich weiß nicht, ob selber ungenügend informiert, oder ob aus patriotischen Gründen.

Gontscharow begleitete die Reise also eher widerwillig. Das hinderte ihn nicht, ein genauer Beobachter und Erzähler zu sein. Die wenigen Porträts von Menschen, die wir finden, zeigen eine große Begabung im Zeichnen von Charakteren – sein Bediensteter Fedejew, ohne nennenswerte Schulbildung, aber schlau, geschickt und ein Organisationstalent; oder dann die japanischen Dolmetscher, deren Auftrag es war, die Russen mit allen Mitteln hinzuhalten, und die Gontscharow in ihrer Verschiedenheit und dann (auf Grund des selben Auftrags dann doch) Gleichheit grandios schildert. Auch seine eigene Person, die in seinen Schilderungen manche Züge der nur wenig später entstandenen Figur des Oblomow trägt, mit ihrer Trägheit und ihrem Unwillen, sich der Natur auszusetzen, ist großartig geschildert. Und manchmal wird er wohl auch wider Willen zum Verräter an sich und seiner Zeit – so, wenn er erzählt, wie an der sibirischen Küste die Indigenen von den Matrosen und den Offizieren der Pallas behandelt werden (nämlich mit dem genau gleichen scheinbar egalitären Wohlwollen, das aber letztlich von oben herab kommt und Gleichheit aller Menschen im Orwell’schen Sinn definiert, dass nämlich zwar alle Menschen gleich sind, die Weißen aber ein bisschen gleicher und diese deshalb dann eben doch mehr Rechte haben als die farbigen Indigenen – mit dieser Art Wohlwollen also, die wir bereits in den Erzählungen von Cook und Forster finden).

Der Bericht ist in Briefen an einen ungenannten Empfänger verfasst. Es war so, das zunächst einige solche Briefe (wohl vom Autor an einen oder mehrere Freunde in Russland gerichtet) ihren Weg in Zeitschriften fanden – ohne chronologische Ordnung allerdings. Gontscharow hat die Briefe dann chronologisch geordnet und zu einem Buch zusammengestellt.

Mehr als eine Fingerübung des Realisten und Romanciers Gontscharow und ein interessante Lektüre, die einen oft auch schmunzeln lässt; dies vor allem, wenn man liest, mit welchem Geschick die Japaner ihre russischen Verhandlungspartner immer wieder ausmanövrieren. Selbst Gontscharow scheint sich darüber amüsiert zu haben …

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