Cormac McCarthy: Die Straße

Asche allüberall, totes Gras, kein Leben. Ein Vater und sein Sohn ziehen Richtung Süden, halb verhungert, krank und immer in Gefahr, von anderen Überlebenden überfallen, getötet zu werden. In dieser postapokalyptischen Welt wirkt jede Moral deplatziert, lächerlich, Anthropophagie ist an der Tagesordnung. Aber McCarthy versieht sein Endzeitdrama mit sedierender Medikation: Ein Junge, geboren am Tag des Untergangs, als reines, unschuldiges Lebewesen – der nicht nur die grausame Wanderung zu einem unbestimmten Ziel überlebt, sondern in einem versöhnlichen Schluss von anderen gefunden wird, den in Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn oftmals als „die Guten“ Bezeichneten.

So wird der Untergang zum Neuanfang, wird der sonnenlose, trübe Tag, die pechschwarze Nacht mit einem Silberstreif versehen. Dem Buch gereicht dies nicht zur Ehre, diese hoffnungsvolle Konzeption wirkt inkonsequent, verleiht ihm einen metaphysischen Anstrich. Wie durch den gesamten Roman immer wieder anthropozentrische Töne angeschlagen werden, der Tod des letzten Menschen mit dem Untergang der Welt gleichgesetzt wird. Und genau das mutet wie eine typisch religiöse Überheblichkeit an, die Erde, das Universum als Bühne für die Menschheit, ohne deren Anwesenheit alles seinen Sinn verliert, der atomare Vernichtungsschlag, der alles Leben auf dem Planeten zu vernichten imstande ist.

Solche Szenarien überschätzen sowohl Macht als Wichtigkeit des homo sapiens. Das Leben, viel zu zäh und kreativ in der Ausnützung ökologischer Nischen, schert sich nicht um menschliche Apokalypsen; wir können uns und vielen verwandten Arten den Garaus machen, eine grundlegende Neugestaltung einleiten, nicht aber die Entstehung des Lebens an sich verhindern. Analysen, die nach Änderung weniger Parameter die Unmöglichkeit des Lebens in der derzeitigen Form verneinen, mögen richtig sein. Sie vergessen aber völlig, dass sie einem teleologischen Grundirrtum auf den Leim gehen, der in der Ausbildung genau jener, die Erde derzeit bevölkernder Arten die einzige Möglichkeit einer solcher Entwicklung sieht. Welche Selbstüberhebung, welche Lächerlichkeit zu glauben, dass die Natur keinen anderen Weg gefunden hätte, dass der Mensch Sinn und Zweck der Existenz dieser Erde sei.

All das wird bei McCarthy implizit spürbar – und macht aus diesem Roman ein Werk mit seltsam-metaphysischem Unterton. Auch die über weite Strecken beeindruckenden Beschreibungen einer toten, verfallenen Welt vermögen diesen Nachteil nicht wettzumachen, der selbstlose Vater, das reine, unbefleckte Kind, tief moralisch bis in den Tod, das tröstliche Ende, verleihen dem Buch einen Geruch von Weihrauch und Myrrhe, schmecken nach Auferstehung und Parusie. Wie viel eindrucksvoller wäre das Leseerlebnis ausgefallen, wenn auf dergleichen Wunderbares, auf die zu stark idealisierten Hauptdarsteller verzichtet, der bloße Untergang gezeichnet worden wäre. Dürrenmatt hat ein Werk mit einem Ende für Leihbibliotheken versehen, McCarthy seinen ganzen Roman mit derlei versöhnlichen Etiketten beklebt. Schade drum.


Cormac McCarthy: Die Straße. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Verlag 2007.

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