Thomas Alexander Szlezák: Platon

Szlezák legt mit diesem umfangreichen Werk eine Art Summa seiner lebenslangen Beschäftigung mit Platon vor. Das Buch richtet sich explizit nicht nur an Kollegen und Kolleginnen vom Fach, sondern auch an gebildete[…] philosophisch allgemein interessierte[…] Leserinnen und Leser[…]. Diese doppelte Ausrichtung verschmilzt nicht immer problemlos miteinander; in manchen Fällen (v.a. im biografischen Teil) steht Allgemeinbildendes stark im Vordergrund, in anderen (oft im philosophischen Teil, z.B. bei der Darstellung der Prinzipienlehre Platons) wird ein allgemein interessiertes Publikum nur schwer folgen können, weil allzu oft altphilologische Spezialitäten diskutiert werden.

Das Buch besteht aus drei Teilen, in denen jeweils Leben, Werk und Denken des antiken Philosophen geschildert werden.

In Teil I: Leben werden zuerst Umfeld und Herkunft, danach das eigentliche Leben vorgestellt. Wer sich schon mit Platon beschäftigt hat, wird hier wenig Neues erfahren. Szlezák legt großen Wert auf die wohl oft traumatischen Erlebnisse des Philosophen wie seiner Stadt Athen während und in der Zeit unmittelbar nach dem peloponnesischen Krieg, die Platons Bild von der Politik und den Regierungsformen nachhaltig geprägt haben.

Teil II beschäftigt sich, wie schon gesagt, mit dem Werk Platons. Der Altphilologe Szlezák beginnt natürlich mit einem Abschnitt zu Bestand und Echtheitsfragen, wo er wohl eher seine FachkollegInnen anspricht. Von da geht es über zur Chronologie, von deren Diskussion wohl das Gleiche gilt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit der Form ‘Dialog’ als solcher, die Platon zwar in der Philosophie populär gemacht, aber nicht erfunden hat – inklusive einem ersten Hinweis auf die Kritik der Schrift und der Sprache im 7. Brief (den Szlezák für echt hält).

Nach dem Formalen wird dann die eigentliche Philosophie Platons präsentiert, oder, wie Szlezák Teil III überschreibt: Das Denken Platons. Hier zeigt sich der kenntnisreiche Philosophiehistoriker Szlezák. Zunächst die Vorbilder und Einflüsse, wo unser Autor Wert darauf legt, dass Platon vieles von seinem ersten Lehrer Kratylos übernommen hat, einem Philosophen aus der Schule des Parmenides. Vor allem der Umstand, dass in dieser Schule eine Welt angenommen wird, in der alles im Fluss ist, führt Platon zur erkenntnistheoretischen Forderung, dass, um eine sichere Erkenntnis zu ermöglichen, etwas existieren müsse, das eben nicht im Fluss sei – der Nukleus zur Ideenlehre. Anthropologie, Seelenlehre, Ethik, Staatsphilosophie und Kosmologie werden danach vorgestellt, um dann abermals und tiefer gehend in die Ideenlehre einzutauchen. Den Abschluss bildet der Platon der Prinzipienlehre, der ungeschriebenen Lehre, die Szlezák rekonstruieren zu können glaubt, und – daraus folgend – der religiöse Platon, um nicht zu sagen der Theologe.

Zwei Anhänge, einer zum 7. Brief, einer zu Platons Ironie, schließen das Werk ab.

Es folgen natürlich noch, wie es sich gehört: Anmerkungen, Abkürzungsverzeichnis, abgekürzt zitierte Literatur, Stellenregister, Sachregister, Register der Namen und geografischen Begriffe und ein Register der Götternamen. Was allerdings fehlt – jedenfalls habe ich es nicht gefunden – ist eine Auflistung der wichtigen existierenden Übersetzungen der Dialoge wie der Briefe. Szlezák zitiert zwar, getreu dem Motto, dass das Buch auch Nicht-AltphilologInnen zugänglich sein soll, auf Deutsch, gibt auch in Klammern an, welche Übersetzung er gerade benutzt. Da er nicht immer die gleiche braucht – ich habe gesehen, dass er mindestens die Schleiermachers verwendet und die von Rufener (die ich selber habe) – wäre es für seine LeserInnen sicher interessant gewesen, zu wissen, warum er wann welche benutzt hat. Ja, es wäre fürs Laienpublikum sicher hilfreich gewesen, eine kommentierte Auflistung der Übersetzungen zu haben, die deren Vorzüge und Mängel (zumindest aus der Sicht Szlezáks) dokumentiert hätte. Ein kleiner, aber in Bezug auf den Nutzen für Nicht-AltphilologInnen leider schwerwiegender Mangel.

Zusammenfassend: Wichtig zu wissen ist, dass der Autor ein prominenter Vertreter der „Tübinger und Mailänder Schule“ ist (so genannt nach den beiden wichtigsten Universitäten, an denen ihre Vertreter lehren oder gelehrt haben), jener Schule von Altphilologen und Spezialisten der Philosophie der Antike, die auf eine Existenz einer ungeschriebenen Lehre Platons pocht. Diese Lehre nimmt denn auch in diesem Buch einen breiten Raum ein – zunächst der Nachweis, dass Platon sowohl in den Dialogen wie in seinem siebten Brief (der demnach für echt erklärt wird) auf die Existenz einer esoterischen Lehre hingewiesen habe, danach der Versuch, diese Lehre als so genannte Prinzipienlehre zu rekonstruieren. Platon nämlich soll dort gelehrt haben, dass letztlich alles, sprich: die ganze sichtbare und unsichtbare Welt, aus einem Prinzip herzuleiten sei. Dieses Prinzip muss man sich in etwa als mit der Idee des Guten gleichgesetzt vorstellen – womit einerseits diese Idee einen ontologisch anderen Status erhält als alle übrigen Ideen, andererseits Ontologie und Ethik zusammenfließen. Das ist schwierig zu beschreiben und zu verstehen; Szlezák insistiert denn auch immer wieder darauf, dass Platon deswegen solches nur mündlich gelehrt habe – sicher auch, weil bei einer eventuellen Überforderung des Schülers sofort inne gehalten werden konnte. Letzten Endes, so Szlezák, sei aber gemäß Platon das Verständnis für diese Konstruktion auch über die Schüler der Akademie in einer Art Erleuchtung gekommen.

Platon als Mystiker, könnte man das Buch (ein kleines bisschen bösartig) in drei Worten zusammenfassen. Für mich, der ich noch bei Graeser gehört habe, eine schwierige Vorstellung. Aber selbst wenn man Szlezák nicht zustimmt, lohnt sich diese umfassende Darstellung von Platons Leben und Denken, und sei es nur, weil sie von Leser und Leserin immer kritisches Mitdenken fordert.


Thomas Alexander Szlezák: Platon. Meisterdenker der Antike. München: C. H. Beck, 2021

Mit bestem Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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