Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Die Veröffentlichung dieser kurzen Geschichte im Jahre 1814 katapultierte ihren Autor mit einem Schlag an die Spitze der romantischen deutschen Prosa-Autoren. Selbst ins Französische und ins Englische wurde das Büchlein übersetzt (und in den USA erschien ein Raubdruck der englischen Ausgabe), wobei allerdings der Name des Autors vergessen ging, bzw. durch den Fouqués ersetzt wurde. Bei aller Berühmtheit ist diese kurze Geschichte Chamissos bis heute einigermaßen rätselhaft geblieben.

Kurz zusammengefasst geht es darin um den jungen Peter Schlemihl, der nach einer anstrengenden Seereise in Flensburg auf Umwegen den reichen Kaufmann Thomas John kennen lernt. In seiner Gesellschaft, in seinem Garten, trifft er auf einen seltsamen, elegant in grau gekleideten Mann, der den anwesenden jungen Leuten jeden Wunsch zu erfüllen in der Lage ist, indem er nicht nur ein riesiges Teleskop aus seiner Umhängetasche zieht, sondern auch ein ganzes Zelt, ja Pferde mit Wagen. Aber Peter Schlemihl scheint der einzige zu sein, der den grauen Mann seltsam findet – ja, der einzige, der ihn überhaupt bemerkt. Unser Held ist ein armer Schlucker, und als der Graue ihm anbietet, an Fortunats Glückssäckel zu kommen, das ihn mit Goldmünzen in unbegrenzter Menge versehen kann, willigt er ein, dem Teufel – denn um niemand anderes handelt es sich bei jenem grauen Mann seinen – Schatten zu verkaufen.

Schlemihl ist alles andere als eine faustische Gestalt1). Nicht die aufklärerische Lust nach Wissen und immer mehr Wissen macht, dass er sich dem Teufel verschreibt; er rutscht im Grunde genommen mehr oder weniger passiv in die Geschichte hinein. Und es ist ja eigentlich auch kein Pakt, den er mit dem Grauen schließt; als der dann nämlich wirklich in einem Blut zu besiegelnden Vertrag Schlemihls Seele will (im Austausch gegen den Schatten, den er ihm zurück gäbe), schreckt Schlemihl davor zurück. Dies, obwohl er nun ein von der Gesellschaft Verstoßener ist, da sich praktisch jeder und jede von ihm zurückziehen, wenn sie bemerken, dass er keinen Schatten wirft.

Die Erzählung führt dann verschiedene Versuche des Teufels an, Schlemihl doch noch zu verführen, seine Seele zu verkaufen. Der aber bleibt auch im Elend standhaft. Schließlich wirft er Fortunats Glückssäckel in einen Abgrund – womit auch der Teufel (zumindest was ihn, Peter Schlemihl, betrifft) gebannt ist. (Dies trotz des Umstands, dass, wie der Teufel ein paar Seiten früher ausgeführt hatte, es den verkauften Schatten immer wieder zu seinem eigentlichen Herren zurück ziehe. Das scheint ab diesem Moment irrelevant geworden zu sein. Wahrscheinlich hat der Teufel einfach einmal mehr gelogen.) Mit seinem letzten Geld kauft sich Schlemihl ein Paar währschafte Stiefel, um in Zukunft als mittelloser Wanderer – dem ewigen Juden ähnlich – durch die Welt zu ziehen. Die Schuhe allerdings entpuppen sich als Siebenmeilenstiefel. Mit ihnen reist nun Schlemihl durch die Welt und nutzt deren Fähigkeiten – nicht, um reich zu werden, sondern um Wissen anzuhäufen. Die Naturkunde, genauer die Botanik, ist zu seinem Reich(tum) geworden.

Schlemihl ist also nachgerade ein Gegenbild zu Faust. Diesem wurde das (aufklärerische) naturkundliche Wissen zu wenig und er fand darin seine Erfüllung nicht. Dass er sie in praktisch allen Versionen durch alle Zeiten hindurch in mehr oder weniger vulgären Frauengeschichten findet, ist allerdings das Seltsame an dieser Aufklärungskritik. Schlemihl seinerseits aber geht den umgekehrten Weg: weg vom Wunsch, in der großen Welt eine große Rolle zu spielen – hin zum Wirken und Forschen im Verborgenen.

1814 erschien der Schlemihl. 1815 startete Chamisso als naturwissenschaftlicher Begleiter unter Otto von Kotzebue mit der russischen Rurik-Expedition.


1) Chamisso hat auch einen Faust geschrieben. Das sind zwei oder drei Seiten, in denen Faust in seinem Studierzimmer sitzt und in einem Anfall von Weltekel einen (oder den?) bösen Geist beschwört. Gleichzeitig und mit diesem und unbeschworen erscheint auch ein (der?) guter Geist, der ihn anfleht, von seinem Tun abzulassen. Faust unterschreibt den Pakt trotzdem – und realisiert in diesem Augenblick, dass er nichts gewonnen hat, da er nun der Sklave des Bösen Geists geworden ist. Er lässt sich von diesem ein Messer geben und bringt sich um. Was zunächst angefangen hat, wie Goethes Faust, endet mit Lenau’scher Weltverzweiflung und mit Lenau’schem Selbstmord des Protagonisten.

Nein, Faust war Chamissos Gestalt nicht.

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