Hermann von Pückler-Muskau: Südöstlicher Bildersaal. Griechische Leiden

Griechische Leiden: Der Untertitel ist wichtig hier. Zum einen, weil ich tatsächlich nur den Teil des vierbändigen Bildersaals gelesen habe, in dem Pückler-Muskau von seinem Aufenthalt in Griechenland berichtet. Er war zuvor in Nordafrika und auf Malta gewesen und reiste nachher noch nach Ägypten. Diese Teile lasse ich hier aber weg.

Die Leiden sind aber auf für den Text selber wichtig. Da sind zum einen Pückler-Muskaus Leiden. Er leidet bei jeder Schiffs- oder Bootsfahrt in den griechischen Gewässern, weil entweder zu wenig oder zu viel Wind herrscht. In letzterem Fall, wenn die Wellen hoch gehen, kann er nichts essen, weil zum einen das Geschirr nicht auf dem Tisch bleibt und weil er zum andern bei hohem Wellengang seekrank wird. Zu wenig Wind aber bedeutet, dass er irgendwo auf der Passage von X nach Y mitten im Meer liegen bleibt und für eine Überfahrt statt der versprochenen drei Stunden deren vierundzwanzig benötigt. (Wofür ihm dann natürlich der Proviant fehlt!) Pückler-Muskau leidet aber auch an Land, wenn wieder einmal eine Übernachtungsgelegenheit nur ganz primitiv ausgerüstet ist – keine Möbel, keine Betten, kein Essen. Oder wenn beim Überqueren von Furten die Strömung sein Pferd umreißt oder einer der Esel, die als Tragtiere mitgeführt werden, seine kostbaren Waffen verliert bzw. sein Bettzeug in den Fluss wirft. (Denn Pückler-Muskau reist prinzipiell bis an die Zähne bewaffnet mit wunderschönen Pistolen, Säbeln und Gewehren, sowie mit eigenen Decken und Kissen. Dazu kommt eine grössere Menagerie (seine eigenen Worte!) – ich habe bei der Lektüre der Griechischen Leiden nicht feststellen können, nur schon wie viele Hunde genau dabei waren. Man findet eine wunderhübsche Karikatur des reisenden Fürsten in Immermanns Roman Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken.) Pückler leidet so sehr, dass er sich sogar mit dem ewigen (und ewig wandernden) Juden Ahasver vergleicht … Das klingt alles recht seltsam und war es wohl auch für seine Zeitgenossen schon.

Ja, Pückler-Muskau ist ein reisender Geck. Das hindert ihn aber nicht daran, durchaus seriös die klassischen Stätten der antiken griechischen Geschichte wie Marathon, Sparta etc. aufzusuchen, egal welches Wetter herrscht. (Er reist im Winter. Und er weiss auch, dass gerade der Süden im Winter immer kalt und regnerisch ist.) Ebenso besucht er natürlich die klassischen Denkmäler (mit seinem Pausanias in der Hand!). Er macht sich Gedanken, wie ein Tempel vor seiner Zerstörung ausgesehen haben könnte und geriert sich als theoretischer Amateur-Archäologe. ‚Theoretisch‘ deshalb, weil er selbstverständlich nirgends persönlich gräbt. Aber seine Gedanken darüber zum Beispiel, wo in Ithaka genau sich des alten Odysseus Burg befunden haben könnte (inkl. Vergleich mit dem Text Homers), sind wohl gleich viel oder gleich wenig wert, wie die diesbezüglichen Gedanken der professionellen Archäologen seiner Zeit – Archäologie eine Wissenschaft, die ihre Methoden erst zu finden begann.

Ja, Pückler-Muskau ist ein reisender Geck. Er verkehrt mit den Häuptlingen der griechischen Clans und auch mit dem gerade eben als griechischer König installierten Wittelsbacher Otto I. Er liebt bequeme Übernachtungsmöglichkeiten und gutes Essen, und nichts beklagt er jeweils mehr als die Abwesenheit des einen oder des anderen. Das hindert ihn aber nicht daran, zu sehen und sehr sachlich zu notieren, wie auch die Bevölkerung Griechenlands noch immer unter den Nachwehen des Befreiungskriegs von den Türken leidet. (Pückler ist kein Philhellene im üblichen Sinn; er lässt auch den Türken ihr Recht und ihre guten Seiten.) Noch 40 Jahre später sind so die Geschichten um Lord Byron und seine Begleiter, um Kapodistrias etc. in aller Munde. Viele Kulturdenkmäler wurden in diesen Auseinandersetzungen unrettbar zerstört. Schlimmer: Das Land ist ökonomisch am Ende. Es fehlen brauchbare Verkehrswege im Inneren, es fehlt an einer Agrikultur, die den schlimmsten Hunger der Bevölkerung stillen könnte und selbstverständlich fehlt es an Geld, um Ware und Wissen aus dem Ausland importieren zu können. Pückler notiert nicht ohne Grimm, dass mit der Schließung und Vernichtung von Klöstern die Regierung Ottos I. ein wichtiges Stück informeller Infrastruktur (Übernachtungsmöglichkeiten für die ärmere Bevölkerung, wenn sie reisen musste ebenso, wie Pflege von ein paar Äckern, die nicht nur die Mönche, sondern auch die umliegende Bevölkerung ernähren halfen) zerstört hatte – vielleicht nicht einmal aus bösem Willen, sondern aus Unwissenheit, weil man einfach aus der Zentrale Befehle gab und die aufrührerischen Mönche fürchtete.

Neben all diesem wimmelt es im Text von äußerst gelungenen Landschaftsbeschreibungen. Pückler, der mit seinem Hobby, der Landschaftsgärtnerei, sein Auge für die ihn umgebende Natur geschärft hatte, ist hier in seinem Element. Während er Personen kaum beschreiben kann, Gespräche auch nicht, sind seine Landschaften so geschildert, dass sie sich ohne weiteres vor dem geistigen Auge des Publikums aufbauen.

Ein Autor des Vormärz, der vom Stand her der alten Ordnung angehörte und deren Privilegien auch liebte und nutzte, aber vom Verstand her einsah, dass die alte Ordnung ihre Länder und Völker ausbluten ließ. Er war sich wohl dieses Zwiespalts selber nicht bewusst – aber genau der macht ihn noch heute interessant. Jedenfalls in homöopathischen Dosen.

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