Alan M. Turing: Computing Machinery and Intelligence / Können Maschinen denken?

Turings Aufsatz ist 1950 in der renommierten Zeitschrift Mind (N° 59) erschienen. Der deutsche Titel stützt sich dabei auf dessen ersten Satz. In diesem Aufsatz erweist sich Turing einmal mehr als Verfechter der These, dass Maschinen (eines Tages) denken können. Er geht dabei von so genannten Turingmaschinen aus, bei denen es sich – anders, als es der Name vermute lässt – eben gerade nicht um physische Maschinen handelt, sondern um mathematische Objekte, die sich dementsprechend auch mit mathematischen Methoden fassen und untersuchen lassen. Eine Turingmaschine soll, in einem bestimmten Anwendungsbereich, alle Fragen beantworten können. Für die Mathematiker unter uns: Es ist dies das so genannte „Halteproblem“: Gibt es einen Punkt in der Ausführung eines Algorithmus, wo dieser zu einem Ende (einem Halt) gelangt? Für einen einzelnen Algorithmus ist das unter Umständen einfach und rasch geklärt. Aber wie steht es, wenn wir alle möglichen Algorithmen und alle möglichen Eingaben betrachten? Um das tun zu können, braucht es wiederum eine übergeordnete, allgemeine Turingmaschine, die alle möglichen Turingmaschinen emulieren und dabei feststellen können soll, ob diese Maschinen alle Fragen beantworten können. Turing stellt fest, dass diese Frage nicht entscheidbar ist, jedenfalls nicht algorithmisch.

Das ist der eine Punkt in diesem Aufsatz. Der andere dreht sich, wie es der deutsche Titel ja andeutet, darum, ob es möglich ist, dass eine Maschine selbständig denken kann. Turing entwickelte zur Beantwortung die Grundlagen eines Tests, den man heute den Turing-Test nennt, den er selber imitation game nannte und den er der Psychologie entlehnt hatte. Im Original-Test geht es darum, dass ein Schiedsrichter C zu entscheiden hat, ob die ihm gegenüber gestellten Personen A und B (die er weder sieht noch hört – die Kommunikation geschieht maschinenschriftlich) Mann oder Frau sind. Dabei ist A ein Mann und B ist eine Frau. Der Haken an der Sache ist, dass zwar B mit allen Mitteln versuchen soll, C davon zu überzeugen, dass sie eine Frau ist – A aber ebenso (nämlich, dass er eine Frau ist). Turings Abwandlung setzt an die Stelle von A eine Maschine; B bleibt ein Mensch, und die Aufgabe von C ist es nun, die Maschine als solche zu identifizieren, die ihrerseits sich so ‚verhalten‘ soll, dass sie für einen Menschen gehalten wird. Turing bringt hierbei auch den Begriff einer Maschine (bzw. eines Programms) ins Spiel, die sich wie ein Kind erzogen werden kann. (Turings pädagogische Methoden sind finsterste 1950er Jahre, aber das Prinzip ist klar: Es gibt nach Turings Ansicht Maschinen, die ‚lernen‘ können. Selbstlernende Programme gibt es unterdessen zu Hauf.)

Turing selber war felsenfest davon überzeugt, dass Maschinen eines Tages denken können würden – sprich: dass sie seinen Test bestehen würden. Bis heute diskutieren allerdings Philosophen darüber, ob quasi rein mechanisches Beantworten von Fragen genügt, um von Denken reden zu können, oder ob es so etwas wie ein Bewusstsein, dass ‚ich‘ nun Fragen beantworte, vorhanden sein müsse, und wenn ja: wie dieses Bewusstsein genau aussehen müsste. Searle z.B. vertrat eine solche Ansicht, ohne selber sagen zu können, wie das ‚Bewusstsein‘ aussehen könnte. Letzten Endes wird, vermute ich, eine ‚Imitation‘ menschlichen Denkens, die gelingt, weil das Programm auf eine quasi unendliche Menge an Sätzen zurückgreifen kann, nicht mehr von ‚echtem‘ menschlichen Denken unterscheidbar sein – zumal gerade jenes menschliche Sprechen, das man „Small Talk“ nennt, nicht viel anderes ist, als mechanisches Aneinanderfügen von Sprachbausteinen, ohne Bewusstsein.


Vor mir liegt folgendes Büchlein:

Alan M. Turing: Computing Machinery and Intelligence / Können Maschinen denken?. Englisch / Deutsch. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Achim Stephan und Sven Walter unter Mitarbeit der Mitglieder des Turing-Studienprojekts. Ditzingen: Reclam, 2021. (Erschienen in der Reihe Great Papers Philosophie, und = RUB 19647)

Es enthält neben der von Turing gelieferten Bibliografie weitere Anmerkungen und Literaturhinweise (darin implizit auch den von scheichsbeutel hier schon früher ausgesprochenen Verdacht bestätigend, dass es außer dem Werk von Andrew Hodges keine vernünftige Biografie Turings auf dem Markt gab oder gibt – auch drei Jahre nach scheichbeutels Aperçu nicht), sowie ein Nachwort, das einen kurzen Abriss von Turings Leben liefert, aber auch und vor allem Kapitel um Kapitel zu dessen Aufsatz weitere Erläuterungen philosophie- und wissenschaftsgeschichtlicher Art. Von den ersten Ideen zu einer allgemeinen Theorie der Entscheidungsfindung bei Llull und Leibniz, über Babbage noch rein mechanische Maschine, Ada Lovelace‘ Gedanken, die Babbage weiterführen, bis hin zur Science-Fiction-Literatur – hier natürlich unumgänglich: Philip K. Dicks Do Androids Dream of Electric Sheep?, der einen ganz offensichtlich an den Turing-Test angelehnten Test kannte, mit dem versucht werden sollte, die allzu menschenähnlich und deshalb ‚böse‘ gewordenen Androiden von echten Menschen zu unterscheiden. (Allerdings untersucht Dicks Voigt-Kampff-Test, ob die Probanden Empathie empfinden können – etwas das außerhalb von Turings Gedankenkreisen war. Er sah kein ethisch-moralisches Problem in denkenden Maschinen. (Ob er überhaupt in irgendeinem Zusammenhang moralische Probleme sah, wird bezweifelt.)

Eine dankenswerte Idee des Reclam-Verlags, diesen Aufsatz Turings in einer guten deutschen Übersetzung auch dem schmaleren Geldbeutel zugänglich zu machen. Das Zielpublikum der Reihe Great Papers Philosophie sind offenbar SchülerInnen und Studierende; aber auch sonst wird, wer sich nur ein bisschen für Mathematik, Informatik, künstliche Intelligenz und Philosophie bzw. deren Geschichte interessiert, dieses Büchlein mit Gewinn und Genuss lesen.

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