Vernor Vinge: The Witling [Der Besserwisser]

Als scheichsbeutel damals diesen Roman hier vorstellte, hatte ich im Hinterkopf das Gefühl, den auch schon einmal gelesen zu haben. Unter meinen Büchern fand er sich aber nicht, und ich vertagte weitere Nachforschungen auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt. Als mich dann neulich die Lust packte, wieder ein paar Science-Fiction-Romane zu lesen, die ich noch nicht kannte, kam auch The Witling auf den Bestellzettel. Unterdessen habe ich das Buch auch gelesen und muss feststellen, dass ich mich geirrt hatte: Ich kannte es tatsächlich nicht. Auch gut.

Was den Inhalt angeht, verweise ich ruhigen Gewissens auf den Beitrag von scheichsbeutel. Ich habe dem nichts beizufügen. Auch seine Kritik an der unnötigen und zum Überfluss etwas merkwürdigen „physikalischen“ Erklärung der Teleportation auf dem Planeten Giri teile ich vollumfänglich. Im Übrigen bin ich allerdings vielleicht ein bisschen weniger enthusiastisch, was diesen Roman betrifft. (Ich habe allerdings Vinges beiden großen Romane, Ein Feuer auf der Tiefe und Eine Tiefe am Himmel, in dessen Licht scheichsbeutel diesen Roman hier besprochen hat, bisher noch nicht gelesen – etwas, das nachzuholen ich mir vorgenommen habe.)

Vinge zeigt schon in diesem Roman sein Talent im so genannten ‚World Building‘ – ein Begriff aus der Science-Fiction-Kritik, den wir im Deutschen nicht übersetzt haben, wohl, weil wir keine (oder kaum eine) spezialisierte, professionelle Science-Fiction-Kritik kennen. Gemeint ist mit ‚World Building‘ die Fähigkeit, realistisch wirkende fremde Welten darzustellen, die sich signifikant von der unsrigen, menschlichen unterscheiden. Dieses Talent wird Vinge immer wieder zugeschrieben, und, wie gesagt, er zeigt es schon hier, in einem seiner frühen Romane. Leider aber lässt er sich zu Beginn sehr viel Zeit, diese Welt vor den Augen des Publikums zu entwickeln. Bis fast in die Mitte der Geschichte ereignet sich wenig. Das könnte ich akzeptieren, wenn – wie zum Beispiel in Becky Chambers‘ The Long Way to a Small, Angry Planet – die vorgestellten Protagonist:innen auch ohne ‚Action‘ mein Interesse wecken könnten. Oder auch nur witzig wären. Leider ist aber auch das erst ab etwa der Mitte der Geschichte der Fall.

Aus Mangel an menschlichem Interesse wie an ‚Action‘ fällt dafür etwas anderes ins Auge. Unangenehm ins Auge. Über weite Strecken erzählt der Roman zwar nicht in der Ich-Form, aber doch aus der Perspektive einer der drei Hauptpersonen: Yonnine Leg-Wot (der Weltraumpilotin), Ajão Bjault (dem Archäologen) und Pelio-nge-Shozheru (dem Erbprinzen von Giri). Die männlichen Protagonisten haben dabei einen überdimensionierten Anteil, überdimensioniert selbst in Anbetracht der Tatsache, dass sie in der Überzahl sind. Schlimm genug, wird es noch schlimmer durch den Umstand, dass die beiden Männer die Frau (eine, wie wir aus Randbemerkungen erfahren, offenbar hochbegabte Pilotin und Ingenieurin) immer und immer wieder über ihren Körper definieren – negativ und herablassend beim Menschen, positiv beim Erbprinzen. Dieser kaum versteckte Machismo der männlichen Hauptfiguren ist kein Stilmittel – nirgends gibt der Erzähler zu erkennen, wie er diese Haltung beurteilt. Wir müssen also davon ausgehen, dass dieser Machismo zumindest implizit von ihm geteilt wird – etwas, das ich allenfalls akzeptieren kann in Anbetracht der Entstehungszeit des Roman. (Er wurde 1976 zum ersten Mal veröffentlicht.) Nach heutigen Maßstäben wäre das Body-Shaming und könnte bedeutend weniger selbstverständlich hingeschrieben werden.

Fazit: Ein Roman, der Geduld braucht, da man bei der Lektüre bis in die Mitte kommen muss, um nicht nur etwas Spannung und ‚Action‘ zu erhalten, sondern auch Figuren, die an Profil und Tiefe gewinnen. (Allzu viel Geduld allerdings dann auch wieder nicht: In meiner Ausgabe weist er gerade mal runde 220 Seiten auf.) Und ein Roman, den man im kulturellen Umfeld seiner Entstehungszeit lesen sollte, wenn man sich nicht allzu sehr über die Einstellung seiner Helden ärgern will.

Aber immerhin will ich mehr von Vinge lesen, so schlecht war der Roman im Großen und Ganzen also nicht.

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