Heiko Strech: Kartini, Nico und Rossini

Um es gleich zu sagen: Ich bin kein Katzenmensch. Wenn ich nun doch einen Katzenroman gelesen habe und ihn hier bespreche, liegt das nur daran, dass auch ein Blogger von Zeit zu Zeit über seinen Schatten springen und auch Dinge vorstellen muss, die ihm nicht liegen. (Im Ernst: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die der in diesem Roman vorgestellten sehr ähnlich sieht – Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Dazu ein paar Katzen. Allerdings hatten wir auch noch einen Hund, was bei der Familie im vorliegenden Roman nicht der Fall ist. Dennoch waltet hier bei mir ein gewisser Nostalgie-Faktor ob.)

Wir lernen die Familie Frisch kennen, als Vater und Mutter nach dem Abendessen noch zusammensitzen. Die Katze Kartini führt eine Trapeznummer auf, die darin endet, dass sie sich vor den Kühlschrank setzt und ihre Menschen so lange hypnotisiert, bis Herr Frisch aufsteht, den Rahmbläser aus dem Kühlschrank nimmt und Kartini eine große Portion Rahm in ihr Futtergeschirr bläst. Der Kater Nico hört unterdessen mit Kopfhörern eine DC mit Cello-Sonaten, gespielt von einem gewissen Katzals, während er zwischendurch selber auf seinem Kindercello übt. Spätestens hier wird das Publikum merken, dass wir nicht einfach einen Bericht Strechs über seine eigene Familie und seine eigenen Katzen vor uns haben. (Denn im Übrigen gleicht die Familie Frisch der Familie Strech. Beide Familien leben in Zürich, haben aber ihre Wurzeln in Berlin. Dort sind am Anfang des Romans übrigens auch die beiden Kinder zu Besuch bei Verwandten.)

Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es keinen durchgehenden Handlungs- oder gar Spannungsbogen aufweist. Vielmehr schildert Strech in kleinen Episoden pro Kapitel Szenen aus dem Leben von Katzenhalter:innen. Manchmal gehen die Katzen darin realistischer, manchmal weniger realistisch zu Gange. Rossini, der zweite Kater, stößt erst im Lauf des Romans zur Familie Frisch. Er läuft ihnen zu, wie es im wirklichen Leben so oft geschieht. Seinen Namen hat er in zweiter Linie vom Komponisten (denn die Eltern Frisch sind offenbar beide als das tätig, was wir hierzulande „Kulturschaffende“ nennen: er inszeniert Stücke, sie arbeitet bei einer Zeitung als Journalistin). In erster Linie aber stammt Rossinis Name ganz einfach daher, dass er ein rot getigertes Fell aufweist.

Die einzelnen Episoden sind kurz, meist heiter und in einem dazu passenden lockeren Stil erzählt. Manche betreffen auch Katzen, die die Frischs im Urlaub getroffen haben, die meisten aber schon die eigenen Tiere. So reist zum Beispiel die Familie nach Frankreich, ohne die Katzen. Die aber – nicht dumm – „leihen“ sich bei einem Nachbarn mit einer riesigen Modellflugzeug-Sammlung eines aus und fliegen den Frischs nach. Da die beiden Eltern kulturell tätig und interessiert sind, kann es auch nicht fehlen, dass die beiden bekanntesten Katzen der (deutschen) Literatur am Tisch mit Mensch und Tier diskutiert werden: der gestiefelte Kater und Kater Murr. (Wobei dann die emanzipierte Kartini moniert, dass sie sich auch eine gestiefelte Katze wünschen würde – denn natürlich können in diesem Buch, wie es sich für einen anständigen Katzenroman gehört, die Katzen nicht nur miteinander sondern auch mit den Menschen überaus verständlich reden und vernünftig diskutieren.) Je weiter wir im Roman fortschreiten, desto schneller lässt der Autor die Zeit vergehen. Auch traurige Erlebnisse mit Katzen werden nicht ganz ausgespart: Nico verletzt sich schwer am Fuss (und kann auch nach der Heilung nicht mehr alleine vierhändig Klavier spielen), dann sterben nacheinander die Katzen. Rossini muss eingeschläfert werden, weil sich ein Loch in seiner Herzklappe so sehr vergrößert, dass die Sauerstoffzufuhr im Körper nicht mehr gewährleistet ist – er stimmt der Euthanasie sogar selber fröhlich zu. Später wird Kartini tot im Bücherregal auf ein paar Nachschlagewerken gefunden, nachdem sie schon ein paar Tage vermisst wurde. Zuletzt stirbt auch Nico – er schläft über dem Üben einer Sonate von Bach auf seinem Cello für immer ein.

Immer schneller vergeht die Zeit. Wir treffen das Ehepaar Frisch nun alleine in ihrem Haus in Zürich. Die Kinder haben vor langer Zeit schon geheiratet und sind ausgezogen. Neue Katzen gab es keine mehr; statt dessen erfüllten sich die beiden Eltern ihren andern Herzenswunsch und sind in der ganzen Welt herumgereist. Nun, da dieser Wunsch gestillt ist, und man ja auch etwas älter und weniger agil geworden ist, sind sie wieder zu Hause. Einerseits finden sie es schon schön, vermehrt Zeit für einander zu haben; andererseits ist es aber auch sehr still im Haus ohne Kinder und Katzen. Doch bisher konnten sie sich nicht dazu durchringen, nach Kartini, Nico und Rossini neue Katzen anzuschaffen. Jetzt aber träumen sie einen Traum vom Katzenhimmel, in dem sich ihre drei Katzen befinden – auf diese Weise können sie sich von ihnen definitiv verabschieden und lösen. Am nächsten Tag kommen zwei neue Katzen ins Haus: Leonce und Lena – benannt nach Büchners Stück, das Herr Frisch gerade inszeniert.

Weder vom Umfang noch vom Inhalt her also ‘schwere Kost’. Ich wage gar zu behaupten, dass man es ohne Problem schon Kindern ab etwa 8 oder 10 Jahren in die Hände geben kann. Denn natürlich sind alle drei Katzen der Familie Frisch kastriert, und deren Liebesgeschichten bleiben absolut keusch. Selbst der Tod der Katzen ist ein leichter – ich habe als Kind andere Dramen bei unseren Katzen miterleben müssen. Man darf das Buch sicher nicht als Ratgeber für Katzenhaltung verwenden: Katzen mit Schlagrahm*) aus der Sprühdose zu füttern, ist alles andere als gesund für diese. Und wenn Herr Frisch behauptet, dass „Kastration“ die Unfruchtbarmachung der männlichen Katzen, „Sterilisation“ die der weiblichen genannt werde, so ist er zwar dem gleichen Irrtum aufgesessen, dem auch ich lange aufgesessen bin; das macht seine Aussage aber von der Sache her nicht weniger falsch.

Zum Schluss eine kurze Anleitung für Buchhändler: Das Buch kann in der Auslage für „Sommerlektüre“ angepriesen werden, in der für Katzenromane oder Tierbücher, oder auch in der Kinderbuch-Abteilung. Leichte Kost, die durch ihre surrealen Partien vermeidet, kitschig zu werden.


*) Heiko Strech, von Berlin nach Zürich ausgewandert, schreibt konsequent Schlagsahne. So ganz assimiliert haben ihn die Borg vom Zürichberg offenbar doch noch nicht … 🙂


Heiko Strech: Kartini, Nico und Rossini. Ein real-surrealer Katzenroman. Hohenems et al: Bucher Verlag, 2021.

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