Keine andere Reise, die je gemacht worden ist, hat eine so große Auswirkung auf unser heutiges Weltbild gehabt wie die Weltumsegelung, die ein gewisser Charles Darwin mit der HMS Beagle vom 27. Dezember 1831 bis zum 2. Oktober 1836 mitmachte. Denn es war diese Reise, auf der Darwin jene Finken auf den Galapagosinseln sah und untersuchte, die ihn auf die Spur der Evolutionstheorie brachte – einer Theorie, die, mit kleinen Änderungen selbstverständlich, bis heute gültig ist und als ein Grundgesetz der Biologie gilt. Die Reisen von James Cook waren wohl spektakulärer gewesen, aber ihre wissenschaftlichen Resultate beschränkten sich letzten Endes auf die Entdeckung von neuen Arten von Pflanzen und Tieren (was Darwin so nebenbei natürlich auch geleistet hatte). Noch spektakulärer war sicher die erste Reise eines Menschen auf die Mondoberfläche – aber die stellte kaum mehr als einen technischen PR-Stunt dar; neue wissenschaftliche Erkenntnisse brachte sie wenige.
Dabei hätte man das nicht unbedingt erwarten können, war doch Darwin, Sohn eines Arztes und Enkel des Naturforschers Erasmus Darwin (heute am bekanntesten ob seiner Erwähnung in Mary Shelleys Frankenstein) einerseits und des Keramikfabrikanten Josiah Wedgwood andererseits, zu Beginn der 1830er drauf und dran als doppelter Studienabbrecher in die Reihe der völlig nutzlosen Personen Großbritanniens aufgenommen zu werden. Ein Medizinstudium musste er beenden, weil der die Leiden der Patienten nicht mit ansehen konnte. (Es wurde damals noch ohne Narkose operiert. Humphry Davy hatte zwar die psychoaktive Wirkung von Lachgas bereits um 1800 erkannt; aber er suchte für dieses N2O einen direkten Einsatz als Medikament; eine Anwendung als Betäubungsmittel kam ihm nicht in den Sinn. Und die englischen Romantiker suchten in diesem Gas zunächst einfach eine mögliche neue Droge für den Eigengebrauch.) Darwins Vater, der ihn schon zunächst für die Medizin bestimmt hatte, sattelte den Sohn deshalb um: Charles sollte nun Theologie studieren. In seinem Reisebericht gibt Darwin allerdings zu, dass er eher Bummelant denn Student war – einer der vielen prospektiven Theologen an der University of Cambridge, die im Kneipen, Singen und in der Jagd den Sinn ihres Studiums sahen. Er las allerdings daneben ganz privat in naturwissenschaftlichen Schriften, z.B. von John Herschel oder Alexander von Humboldt. Dessen Reisebericht über seine Südamerika-Expedition brachte ihn sogar dazu, selber eine Reise in jene Gegenden zu planen. Daneben hörte er schon in Cambridge das eine oder andere naturwissenschaftliche Kolleg, darunter auch welche zur Geologie. Als dann der Kapitän der HMS Beagle einen standesgemäßen und naturwissenschaftlich gebildeten Begleiter (Artikel Charles Darwin in der Wikipedia) für seine Expedition suchte, meldete sich Charles Darwin. Standesgemäßer Begleiter, das wird in dem Wikipedia-Artikel nicht erklärt, deshalb, weil zu jener Zeit (wie auch noch zur Zeit, als Arthur Conan Doyle, der Medizinstudent, als Schiffsarzt auf Wal- und Robbenjagd in die Arktis fuhr), der Kapitän eines britischen Schiffs keinen privaten Kontakt mit den Mitgliedern seiner Crew pflegen durfte – nicht einmal mit seinen Offizieren. Er schlief und aß allein. Einzig mit Männern, die nicht der Hierarchie des Schiffs unterstanden, wie eben den Schiffsärzten oder wissenschaftlichen Begleitern, konnte er sich zusammentun. (Bei einer Reise, die dann beinahe fünf Jahre dauern sollte, sicherlich kein zu unterschätzender Punkt. Zum Glück für die Wissenschaft waren sich FitzRoy, der Kapitän, und Darwin offenbar sofort sympathisch und so stand nichts dem im Weg, dass der abgebrochene Medizin- und Theologiestudent die Reise als bezahlender Gast mitmachen konnte, in der offiziellen Rolle eines – Geologen.)
Der Reisebericht liest sich, wenn man ihn vergleicht mit Darwins späteren, naturwissenschaftlichen Schriften, sehr frisch, sehr lebendig. Immerhin schrieb hier noch ein junger Mann. Er lässt auch seinen Gefühlen freien Lauf. Nicht gegenüber Frauen (darüber erfahren wir nichts), aber gegenüber den Mitmenschen – so sein immer wieder durchbrechendes Mitleid mit den übelst behandelten Sklaven, vor allem in Brasilien, oder den nominell freien, faktisch wie Sklaven behandelten Indios im westlichen Südamerika. Über die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Expedition erfahren wir hingegen kaum etwas. Die HMS Beagle war beauftragt, die Küste der Südspitze Südamerikas neu zu vermessen; aber Darwin war da offenbar meist auf Ausflügen ins Innere des Landes. Seine wissenschaftlichen Notizen erinnern an die eines Cook, eines Chamisso etc. Selbst auf den Galapagosinseln fällt ihm zwar die Diversität der Finken auf den einzelnen Inseln sofort auf und beschäftigt ihn offenbar schon bei seinem Aufenthalt dort (ohne dass die Evolutionstheorie schon in ihm keimen würde), aber den zwei Seiten über die Finken stehen deren Dutzende über Knochen aus dem Tertiär gegenüber, die er auf dem südamerikanischen Festland gefunden hat, oder auch nur schon den mehr als zehn Seiten über Korallenriffe.
Darwin war zwar in Bezug auf Sklaverei genau so Abolitionist wie sein Großvater Wedgwood – dennoch aber war er in anderem den Anschauungen seiner Zeit ebenso verhaftet wie jeder Engländer. Nämlich, wenn es darum ging, die Heilsrolle der Briten als Zivilisationsbringer und Missionare in fernen Ländern zu preisen. Vor allem in Australien kann er sich diesbezüglich nicht zurückhalten und erzählt zum Beispiel von einer Landzunge daselbst:
Sämtliche Ureinwohner sind nach einer Insel in der Bass-Straße entfernt worden, so daß Van-Diemens-Land den großen Vorteil genießt, frei von einer eingeborenen Bevölkerung zu sein. Dieser äußerst grausame Schritt scheint völlig unvermeidlich gewesen zu sein, und das einzige Mittel, einer fürchterlichen Kette von Räubereien, Brandstiftungen und Ermordungen, welche die Schwarzen begingen, ein Ziel zu setzen.
Er gibt dann zwar im Weiteren zu, dass offenbar ein Fehlverhalten seiner Landsleute der Ursprung zum Verhalten der Aborigines gewesen sein muss – aber die Rechtmäßigkeit überhaupt einer Kolonialisierung dieser Länder stellt er nicht in Frage. Nun ja – kein Mensch ist vollkommen, auch ein Darwin nicht.
Alles in allem aber ein Leckerbissen für Liebhaber:innen älterer Berichte über Reisen mit naturwissenschaftlichem Zweck. Erhältlich in jeder gut ausgestatteten Leihbibliothek.