Caroline Fourest: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei

Caroline Fourest ist eine französische Publizistin und Filmemacherin, die sich u. a. einsetzt für Gleichberechtigung der Geschlechter und Lebensformen. Sie selber ist bekennende Lesbe (so im Text). Im vorliegenden Essay (der, anders als das kürzlich besprochene Buch von Helmut Ortner, einen einzigen zusammenhängenden Text darstellt) spricht sie ziemlich genau das gleiche Thema an, das ich seinerzeit in meinem Aperçu Ist das Kunst oder kann das weg? berührt habe: Den Umstand, dass eine (gut meinende?) Minderheit den Respekt vor anderen Kulturen und Lebensformen so weit treibt, dass sie (zum Beispiel) einem weißen Künstler nachgerade verbietet, ein Gemälde zu erstellen, in dem Thomas Jefferson im Kreise seiner Sklaven und Sklavinnen gezeigt wird, weil das a) die Gefühle der heutigen Afro-Amerikaner verletze und b) kulturelle Aneignung sei – will sagen: der unangemessene Versuch, sich mit Versatzstücken anderer Kulturen zu schmücken und damit diese Kulturen zu Lieferanten von Spielzeug zu erniedrigen.

Fourest, die sich selber zu einer universalistisch gesinnten Linken zählt, die noch die Ideale der alten (französischen) Aufklärung bewahrt und verficht, bekämpft in ihrem Essay vor allem eine so genannte identitäre Linke, weil diese mit dem Schlagwort der Aneignung genau das verhindern wolle, wofür die universalistisch gesinnte Linke einstehe und kämpfe: eine Gleichberechtigung aller Kulturen in dem Sinne, dass alle einer gleichen Beurteilung unterworfen sein dürfen und müssen, und dass es möglich sein soll, dass das Kunstwerk eines Weißen andere Weiße (aber vielleicht sogar Nicht-Weiße) nicht durch Verniedlichung, aber durch einfühlendes Verstehen dazu bringt, eben dieser so dargestellten Kultur gegenüber mehr Verständnis aufbringen zu können oder Verfehlungen der eigenen Kultur jener anderen gegenüber einzusehen hilft. Die identitäre Linke aber will, so Fourest, dass jede Kultur nur einer Beurteilung durch sich selber unterworfen sein darf. Das führt nach ihr zu einer Gesellschaft, die sich nicht mehr als Einheit verstehen kann, sondern nur noch als Gemengelage verschiedener Partikularinteressen, wo jeweils das eigene Interesse Vorrang vor allen anderen Partikularinteressen zu haben hat. Diese Partikularkulturen werden dabei immer zersplitterter, so, dass zum Beispiel nicht-weiße Lesben nicht mehr in gemeinsamen Aktionen mit weißen auftreten können, weil ihrer Meinung nach ihre nicht-weißen Partikularinteressen derart mit den Partikularinteressen der Weißen kollidieren, dass sogar dort keine Zusammenarbeit möglich ist, wo die Partikularinteressen die gleichen wären. Fourest bringt einige Beispiele absurder Konsequenzen aus einer solchen Einstellung – so, wenn ein afroamerikanischer Filmemacher einen Film über afroamerikanische Ghettos in Chicago macht und ihm dann vorgeworfen wird, dass er hierzu gar nicht befugt sei, weil er – in New York aufgewachsen sei.

Einige ihrer Beispiele sind nicht nur absurd, sondern erschreckend. Vor allem aber warnt Fourest davor, dass diese Zersplitterung in Partikularinteressen von Minderheiten, die gegeneinander ausgespielt werden, letzten Endes einer identitären Rechten in die Hände spielt, der es nicht um eine irgendwie geartete Gleichberechtigung der Kulturen geht, sondern um ein Weiterführen der patriarchalen Suprematie der weißen („christlich-abendländischen) Kultur. Bereits reklamieren konservative christliche Splittergruppen mit solchen faschistischen Grundideen dieselbe Rücksicht auf ihr Denken, das die identitäre Linke für andere Minderheiten reklamiert. Und wenn solche Linke die Vollverschleierung von Frauen gegen die sie bekämpfenden Feministinnen verteidigen als Ausdruck der Selbstbestimmung von deren Kultur, sind es wohl weniger die verschleierten Frauen, die das gut finden, als vielmehr jene fundamentalistisch und islamistisch gesinnten Männer, die die Verschleierung von ihnen verlangen. Aber die identitäre Linke fährt nicht diesen Islamisten und Fundamentalisten über das Maul, sondern jenen, die dies anprangern. Wenn Fourest dafür die Wörter Inquisition und Zensur verwendet, tut sie dies zwar nicht im korrekten historischen Sinn – aber die dahinter stehende Mentalität der Gedankenkontrolle und deren Durchsetzung auch mit Gewalt ist eine ganz ähnliche. Hier muss übrigens noch dringend die deutsche Übersetzung des Titels korrigiert werden: Auf Französisch – und auch im deutschen Text dann! – spricht Fourest nicht von einer Sprachpolizei (dieser Ausdruck verniedlicht tatsächlich, was sie sagen will), sondern von einer umfassenderen Kulturpolizei, die sie in ihrem Essay an den Pranger stellt, und die sie (noch) vor allem an ehemals links-liberalen Universitäten, und vor allem in den USA (und in Kanada) am Werk sieht, während Frankreich bisher Versuchen der identitären Linken mit lautstarken Demonstrationen zu verhindern, dass universalistisch gesinnte Kunst gezeigt bzw. aufgeführt wird, einigermaßen widerstanden hat, auch wenn in ihren Augen der Widerstand in Frankreich zu bröckeln beginnt. (Deutschland oder England spielen in ihren Überlegungen keine Rolle.)

Lesens- und bedenkenswert.


Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Caroline Fourest über die Generation Beleidigt. Edition Zeitkritik 4. Herausgegeben von Karin Hutflötz. Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon und Christoph Hesse. Deutsche Erstveröffentlichung: Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2020. Gelesen in der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M, Wien, Zürich, 2021.

Französische Originalausgabe: Génération offensée. De la police de la culture à la police de la pensée. Paris: Grasset & Fasquelle, 2020

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