Washington Irving gehört zu jenen Schriftstellern, die mich nie wirklich zu interessieren vermochten. Vor Jahrzehnten habe ich in einer Anthologie einmal Rip van Winkle gelesen. Die Kurzgeschichte hat mir nicht schlecht gefallen; allerdings verspürte ich auch nicht den Wunsch, mehr von diesem Autor zu lesen. Tatsächlich war mein Interesse an Washington Irvin so gering, dass ich bis vor kurzem nicht einmal realisiert habe, dass The Legend of Sleepy Hollow, das mir als Name für einen Film bzw. eine TV-Serie so nebenbei ein paar Mal über den Weg gelaufen ist (ich habe weder den einen noch die andere gesehen, nur die Titel gelesen), ebenfalls von Irving stammt – ja, im selben Buch wie Rip van Winkle (nämlich The Sketch Book of Geoffrey Crayon, Gent.) das Licht der Welt erblickt hatte. Vielleicht habe ich den Titel auch einfach nur verdrängt, nachdem ich einmal herausgefunden hatte, dass darin ein Reiter ohne Kopf auftaucht – eine Figur, die mir in den Rübezahl-Erzählungen, die ich mit ungefähr 10 Jahren gelesen habe, doch recht viel Angst eingejagt hat. (Ich könnte das jetzt auch rationalisieren, indem ich behaupte, dass ich Plagiate nicht so gern lese – und The Legend of Sleepy Hollow ist in seinen Motiven offenbar schamlos von eben diesem Rübezahl des Deutschen Musäus und der Lenore Gottfried August Bürgers abgekupfert.) Viel später habe ich dann The Lady with the Velvet Collar, ebenfalls eine Kurzgeschichte in einer anderen Anthologie gelesen. Auch diese war so weit nicht übel, wenn auch völlig unlogisch aufgebaut; auch diese verlockte mich nicht dazu, mehr von Irving zu lesen.
An dieser Unlust ist nicht zuletzt seine Romanbiografie zu Christoph Kolumbus schuld, die ich vor rund einem Dutzend Jahren in Angriff genommen haben muss, und die ich ungefähr in der Mitte abgebrochen habe. Irvings Darstellung des Kolumbus als eines großen, edlen Mannes, der alles richtig macht, empfand ich als störend und kindisch. Wenn Fehler unterliefen, waren es bei Irving immer Machenschaften böser oder dummer Untergebener oder geradezu von Feinden. (Dass dieser Roman an dem weit verbreiteten Irrglauben schuld ist, das Mittelalter hätte die Erde als eine Scheibe aufgefasst, habe ich wiederum erst kürzlich gelesen. Tatsächlich lässt Irving seinen Kolumbus – ich glaube, vor Mitgliedern der Universität Padua – seine Reisepläne vorstellen. Die Paduaner lachen ihn aus, weil doch – so bei Irving – jedermann wisse, dass die Erde eine Scheibe sei. Kolumbus ist bei Irving denn auch der, der beweisen will, dass die Erde eine Kugel sei. Dieser wissenschaftsgeschichtliche Blödsinn hat zum Teil sogar in Schulbücher Eingang gefunden. Tatsächlich weigerte sich Padua, die Reise des Kolumbus zu bezahlen – nämlich, weil die Prüfungskommission zum Schluss kam, dass Kolumbus den Erdumfang um ca. ⅓ zu klein angenommen hatte. Hätte sich ihm nicht – was weder er noch die Prüfungskommission wissen konnten – Amerika vor die Schiffe geworfen, wäre Kolumbus mit Mann und Maus auf hoher See elendiglich verhungert und verdurstet, und sein Name würde heute bestenfalls in Fußnoten zur Geschichte der Nautik figurieren.)
Doch kommen wir endlich zum heutigen Buch: Die Alhambra. Irving lebte und reiste jahrelang in Europa, unter anderem auch in Spanien. Bei seinem ersten Aufenthalt dort besuchte er auch Granada und die Alhambra, wo er dann sogar rund vier Monate wohnte. Über diese Zeit in der Alhambra berichtet er im vorliegenden Buch. Irving kann, wo er seine Reise, Land und Leute beschreibt, gut erzählen und man begreift, dass es Kritiker gab und gibt, die ihn gern der aufkeimenden Literaturströmung des Realismus zuordnen würden. Allerdings zerstört er diesen Eindruck selber wieder, wenn er immer wieder Legenden und Sagen in die Reisebeschreibung einflicht – romantische Erzählungen um irgendwelche alten Helden, die in irgendwelchen Höhlen darauf warten, dass sie wieder hervorbrechen und ihre Niederlagen rächen können. Das mag ein, zwei Mal interessant sein, aber Irving übertreibt es schamlos. Irgendwann kommt der Moment, wo man solche Erzählungen überblättert und den Punkt sucht, wo der Autor wieder aus seiner Gegenwart in der Alhambra erzählt. Denn die Schilderungen von Land und Leuten, vom Bau selber, sind durchaus lesenswert: sein Diener und Leibwächter (den er mit Sancho Pansa vergleicht), die Bettler in der Alhambra, ja sogar den immer noch schwelenden Konflikt zwischen Christen und Muslimen in jener Gegend. (Allerdings ist auch Irving, wie später Mark Twain in Italien, offenbar der Meinung, dass er sich mit ein paar billigen Zigarren, die er großzügig verteilt, das Wohlwollen der indigenen Bevölkerung einholen könne. Vielleicht war das ja eine US-amerikanische Kultur-Krankheit des 19. Jahrhunderts? Der Beginn des US-amerikanischen Imperialismus?)
Fazit: Ich habe in meinen Leben schon Schlimmeres gelesen. Aber zu interessieren vermag mich der Autor Washington Irving immer noch nicht. Er plappert zu viel.