Friederike Mayröcker: lämmchens biscuit

Vorliegendes schmales Büchlein wurde 2021 / 2022 speziell für die Büchergilde zusammengestellt. Es enthält Gedichte / Texte aus folgenden Veröffentlichungen von Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete (2020), études (2013), cahier (2014), fleurs (2016) – in der Reihenfolge, wie sie hier abgedruckt wurden. Sie stammen also alle aus den letzten Lebensjahren der Autorin. Auswahl und Zusammenstellung wurden noch mit Mayröcker besprochen; sie verstarb aber im Frühsommer 2021, ungefähr ein halbes Jahr vor Fertigstellung dieses Buchs, das dann dieses Jahr (2022) bei der Büchergilde erschien.

Ich zögere, die hier zusammengestellten Texte „Gedichte“ zu nennen. Es fehlt jede formale Kennzeichnung – kein Reim, kein spezieller Zeilenumbruch. Der Satzspiegel weist auf ganz normale Prosa hin. Allerdings ist die Sprache alles andere als prosaisch. Musikalisch und leichtfüßig fließen die Worte. Die verwendeten Bilder, die Wörter, die vielen Wiederholungen, die vielen Diminutive – all dies weist auf Lyrik. Diese Mischung von Lyrik und Prosa war von Mayröcker durchaus gewollt – sie nannte diese Textart denn auch Proeme – Prosa-Poeme.

Inhaltlich finden wir uns in einer Art fließendem Denkprozess, eine Mischung aus Sich-Erinnern einer alten Person und Aufmerksamkeit auf die Gegenwart und das Leben. Das lyrische Ich erinnert sich an Menschen (allen voran natürlich Ernst Jandl, der zwar nie genannt wird, aber immer präsent ist), an Lektüre, an Kindheitsmomente. Diese Erinnerungen werden aber immer wieder unterbrochen von der Gegenwart. Man spürt, dass Vergangenheit und Gegenwart für die Autorin gleichberechtigt sind. Man spürt, dass Mayröcker auch im hohen Alter noch gerne lebte und das Leben genoss. Bei allen einfließenden Erinnerungen ist sie sich selber durchaus nicht historisch geworden wie jener Geheimrat in Weimar; sie nimmt sie selber nirgends so ernst, wie es jener im Alter tat. Auch in den späten Proemen sitzt ihr noch der Schalk im Nacken und die Freude am Leben spricht aus jeder Zeile.

(Mich persönlich hat Friederike Mayröcker in den vielen Namensnennungen, die in den Proemen auftauchen – ein unvollständige Liste findet sich als Schlagwortwolke am Schluss dieses Aperçu –, insofern sogar persönlich angesprochen als sie mich an einen ehemaligen Berufskollegen erinnert hat, den Literaturkritiker (und einer ihrer Förderer) Heinz [Mayröcker unterschlägt hier das von ihm geliebte F. für Friedrich] Schafroth, mit dem ich – lang ist’s her – für kurze Zeit zusammengearbeitet habe und dessen Tochter eine Zeitlang bei mir zur Schule ging. Somit kann ich mich sogar einer beinahe direkten Bekanntschaft mit Mayröcker rühmen.)

Fazit: Wer Lyrik mag, muss diese Proeme Mayröckers lieben. Ich mag Lyrik.

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