Lukian: Rhetorische Schriften

Ausschnitt aus einer alten Handschrift eines Textes von Lukian, der als Coverbild verwendet wurde.

Eigentlich hatte ich die Sammlung Tusculum bereits im vergangenen Jahrhundert endgültig abgeschrieben. Zu viele Verlagswechsel hatte sie in kürzester Zeit hinter sich, nachdem der Heimeran-Verlag, ihre ursprüngliche Heimat, eingestellt wurde. Unnötige Änderungen im Design trugen das ihre dazu bei, mich in Bezug auf ihr Schicksal pessimistisch zu stimmen. Um so größer war meine Freude, als ich kürzlich feststellen konnte, dass sie (seit längerem sogar) unterdessen im Verlag de Gruyter untergekommen ist – einem Verlag, der für mich nach wir vor ein Garant für hohe Qualität und hohen (geistes-)wissenschaftlichen Anspruch ist.

Festgestellt habe ich das, als ich rein zufällig darüber gestolpert bin, dass in der Sammlung Tusculum nach und nach eine Ausgabe der Werke des spätantiken Hans-Dampf-in-allen-Gassen Lukian veröffentlicht werden sollte – in einer neuen Übersetzung sogar. Die vorliegenden Rhetorischen Schriften stellen den bereits erschienenen ersten Band davon dar.

Ganz am Anfang dieses Buchs finden wir eine Einleitung des Übersetzers Peter von Möllendorff, der sich für sein Unterfangen, nach Christoph Martin Wieland und August Friedrich Pauly (sowie dem mir bis anhin unbekannten Carl Fischer) noch eine Lukian-Übersetzung auf den Markt zu werfen. Er entschuldigt sich gerade mit Wieland, der gesagt hatte, dass Bücher alle 40 Jahre neu übersetzt werden müssten, um sie in der neuesten Version der Zielsprache der neuesten Generation von LeserInnen zugänglich zu erhalten. (Wieland hat es natürlich anders – und eleganter – formuliert.) Und seit der letzten Übersetzung in eine der europäischen Kultursprachen (das Englisch inklusive) seien, so Möllendorff, unterdessen sogar mehr als 40 Jahre in den Kontinent gegangen.

Ich kann Möllendorffs Übersetzung nur loben. Ohne in den manchmal tatsächlich schon altertümelnden Klang der Wieland’schen Übertragung zu verfallen, gelingt es ihm, dessen elegante Sprache wunderhübsch zu emulieren. Das liegt natürlich auch daran, dass Lukian selber ein großer Stilist vor dem Herrn war, dem nicht zu folgen wohl für eine Übersetzung fast unmöglich ist. (Und ja, sicher: Das Altertümelnde bei Wieland macht gerade einen Teil des Charmes aus, den seine Sprache ausströmt.)

Inhaltlich sind in diesem ersten Band keine der ganz bekannten Werke Lukians vorzufinden. Statt dessen haben wir Vorreden zu andern Werken vor uns, Deklamationen, Lobreden und so genannte Diatriben (was wir heute wohl moralphilosophische oder gesellschaftskritische Essays nennen würden.) Doch im Detail sind auch hier immer wieder interessante Dinge zu bemerken. Möllendorff in seiner Einleitung weist darauf hin, dass schon Tucholsky den Syrer gelobt hat, weil er ihn ihm einen Gesinnungsgenossen gefunden hatte, der wie er in seinen Schriften vor keinem Tabu zurück schreckte. Tatsächlich entpuppen sich auch die vermeintlich harmlosen Aufsätze in diesem Band bei genauer Lektüre immer wieder als subversiv. Ein Beispiel, dass er zur Illustration seiner Aussagen beizieht, konterkariert seine vermeintlich lobende Aussage, weil es (wenn man die nebenbei eingestreute Anspielung identifizieren kann) im Grunde genommen gerade das Gegenteil dessen aussagt, was Lukian mit großem rhetorischem Pomp auszusagen scheint. Es hat sicher auch ein paar völlig ‘normale’ Schulreden darunter, aber die meisten der hier versammelten Texte weisen irgendwo eine solche kleine Spitze auf. (Und der, alles in allem angenehm zurückhaltende Kommentar des Übersetzers sorgt dafür, dass einem auch solche Anspielungen nicht entgehen.)

Und ja: Jenes Bild des Dionysos mit seinem Haufen, der ein indisches Heer besiegt und so den Wein in Indien einführen kann – es wird auch in einem der hier versammelten Texte vorgestellt, so Lukians eigene Theorie konterkarierend, dass eine Rede niemals an einem Ort mit schönen Bildern oder in einem schönen Saal (bzw. über diese Themen) gehalten werden sollte, weil die visuell wahrgenommene Schönheit jede sprachlich-rhetorische in der Aufmerksamkeit des Publikums verdrängt. Höchst vergnüglich zu lesende Kunsttheorie und Poetologie.


Lukian: Band I: Rhetorische Schriften. Griechisch – deutsch. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Peter von Möllendorff. Unter Mitwirkung von Jens Gerlach. Berlin, Boston: Walter de Gruyter, 2021. (Erschienen in der Sammlung Tusculum)

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