Edward Brooke-Hitching: Der Atlas des Himmels

Edward Brooke-Hitching ist der Sohn eines Antiquars und Sammlers alter Landkarten. Er scheint die Vorliebe seines Vaters für Ausgefallenes – und für Landkarten jeder Art! – geerbt zu haben. Seit 2015 veröffentlicht er in regelmäßigen Abständen Bücher zu abgelegenen Themen oder dann zur Kartografie mehr oder weniger seltsamer Orte:

  • Fox Tossing, Octopus Wrestling and Other Forgotten Sports.
  • The Phantom Atlas: The Greatest Myths, Lies and Blunders on Maps.
  • The Golden Atlas: The Greatest Explorations, Quests and Discoveries on Maps.
  • The Sky Atlas: The Greatest Maps, Myths and Discoveries of the Universe.
  • The Madman’s Library: The Greatest Curiosities of Literature.
  • The Devil’s Atlas: An Explorer’s Guide to Heavens, Hells and Afterworlds.

Der Atlas des Himmels erschien auf Englisch im Jahr 2019 und ist im Grunde genommen eine sehr seriöse Publikation. Es handelt sich hier nämlich um eine Darstellung der Geschichte der Astronomie (und – zum Teil – auch der Astrologie) seit prähistorischer Zeit. Es ist nämlich nach Ansicht einiger Wissenschaftler durchaus möglich, dass die in den Höhlen von Lascaux gefundenen Bilder von überlebensgroßen Tieren nicht den Erfolg einer Jagd oder einen Jagdzauber darstellen – sondern Sternbilder. Das wäre dann die erste nachgewiesene Beschäftigung des Menschen mit dem Himmel über ihm und den darin zu sehenden Objekten.

Brooke-Hitching hält sich im Folgenden an die Zeitachse. Der (eventuellen) prähistorischen Darstellung von Sternbildern folgen – in dieser Reihe – die Babylonier, das alte China, die Ägypter und die alten Griechen. Dort macht er kurz Halt, um das Konzept der himmlischen Sphären und das lange Zeit Europa dominierende Weltbild des Ptolemäus vorzustellen. Es folgt das Mittelalter, wobei er gleich zu Beginn darauf verweist, dass es keineswegs „finster“ war – jedenfalls nicht, was die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Himmel betrifft: Sogar die Scholastiker, Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin, hielten eine zumindest hypothetisch-mathematische Auseinandersetzung mit astronomischen Theorien für einen Beitrag zur besseren Erkenntnis Gottes. Daneben sind die langsam in Europa einsickernden Erkenntnisse der islamischen Gelehrten zu erwähnen und, als Seltsamkeit, der auf dem Buch Genesis beruhende Gedanke, dass über den Himmeln wiederum Wasser sei. Mittel- und Südamerika treten ebenfalls im Abschnitt zum Mittelalter in die Geschichte der Astronomie ein. Auf das Mittelalter folgt die kopernikanische Revolution: Neben Kopernikus erwähnt Brooke-Hitching vor allem Brahe, Kepler und Galilei. Als Sonderentwicklung ohne größeren Einfluss auf die Physik und Astronomie steht die Theorie des Bilderstürmers Descartes, dass die Welt aus Wirbeln ohne Zwischenräume bestehe. Hooke, Newton und Halley von der Royal Society bilden den Abschluss dieses Kapitels. (Bei Newton ist eine – durchaus neutrale – Erwähnung von Goethes Gegnerschaft erwähnenswert, die in ihrem sachlichen Ton im englischen Sprachraum nicht unbedingt zu erwarten ist.) Unter dem Titel Der moderne Himmel folgt dann die wissenschaftliche Erforschung des Universums mit mathematisch-technischen Hilfsmitteln. William und Caroline Herschel erhalten ein eigenes Unterkapitel, ebenso die Entdeckung und Untersuchung der Asteroiden. Unter dem Titel Mondmenschen und sonstiges Wunschdenken ist ein eigenes Kapitel dem Kuriosum des Great Moon Hoax reserviert. Es folgen der Phantomplanet Vulkan und der Beginn der heutigen Astrophysik mit dem Spektroskop und den Fraunhofer’schen Linien. Die Marskanäle dürfen natürlich nicht unerwähnt bleiben, bis wir zum Schluss mit Einstein und Hubble in der modernen Astronomie und in der Weltraumfahrt enden.

Inhaltlich bringt das Buch wenig Neues. Was es bringt, ist korrekt. Aber das Buch wendet sich nicht an Astronomen von Beruf. Es ist eindeutig an Laien gerichtet. Mathematische Formeln jenseits von a2 + b2 = c2 und E = mc2 gibt es nicht, und auch die werden nur einmal erwähnt. Doch der Reiz dieses Buches liegt auch nicht in seinem Text (obwohl dieser durchaus witzig und interessant geschrieben ist). Das Gewicht der Publikation liegt eindeutig auf den Illustrationen. Es sind wohl auch ein paar Reproduktionen von Porträts der namentlich genannten WissenschaftlerInnen zu finden. Aber wirklich faszinierend sind die Welt- und Himmelskarten aus aller Herren Länder, aus allen Zeiten und Kulturen, die Brooke-Hitching zusammengestellt hat. Ein solches Bild erklärt oft mehr als tausend Worte, wie man so schön sagt. Und schön anzuschauen sind diese Illustrationen allemal

Ein wunderhübsches Geschenk für wissenschaftlich interessierte Laien ab etwa 12 Jahren und alle Bibliophilen. Man kann es auch sich selber schenken, wie ich es getan habe.


Edward Brooke-Hitching: Der Atlas des Himmels. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. München: Knesebeck, 22022.

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