Sylvia Plath: The Bell Jar [Die Glasglocke]

Nachdem er das Manuskript gelesen hatte, soll ihr englischer Verleger die Autorin gefragt haben, ob sie sich dessen bewusst sei, dass der Text jede Menge Anhaltspunkte biete für Verleumdungsklagen. Die Antwort Plaths ist nicht übermittelt; jedenfalls wurde das Buch in Großbritannien trotzdem unzensiert veröffentlicht. Allerdings erwirkte Plaths Mutter ein Gerichtsurteil, nach dem es für die nächsten zehn Jahre verboten war, das Buch in den USA zu verlegen oder auch nur zu importieren. Sie fühlte sich von der Darstellung der Mutter der Protagonistin des Romans angegriffen. (Dass sie mit ihrem juristischen Schritt genau das Bild der Mutter bestätigte, das Sylvia Plath im Roman gezeichnet hatte – das einer engherzigen und kalten Frau, die keine Ahnung hatte, was in ihrer Tochter vorging, sie aber immer auf die ausgetretenen Pfade weiblicher Schicksale in den USA der 1950er lotsen wollte – dies also ist ihr entweder entgangen, oder sie fühlte sich so im Recht, dass es sie nicht kümmerte.)

Damit haben wir schon einen der wichtigen Punkte dieses Romans angetroffen: Er wurde von Anfang an und wird bis heute autobiografisch gelesen. Tatsächlich sind die Erlebnisse der College-Absolventin Sylvia Plath und die ihrer Protagonistin Esther Greenwood in praktisch allem kongruent. Autorin und Protagonistin auseinander zu halten, ist recht schwierig. Erst recht erschwerend ist der Umstand, dass Plath vier Wochen nach Erscheinen des Buchs in Großbritannien Selbstmord beging, was die Rezeption ihres einzigen Romans für das gesamte Publikum speziell einfärbte.

Es geht im Buch um die Erlebnisse einer jungen Frau, die soeben das College beendet hat und nun ihren Weg in den USA der 1950er sucht – in einem Land also, das, befördert durch den gerade einsetzenden Kalten Krieg, konservative Werte hoch schätzte. Und zu diesen Werten gehörte es auch, dass die Frau letzten Endes nur eine Form der beruflichen Karriere einschlagen durfte: Höhere Ausbildung, eventuell Studium wurden zwar akzeptiert (vielleicht sollte man sagen: toleriert). Aber auch mit einem Studienabschluss zum Beispiel in englischer Literatur, wie ihn Esther Greenwood anstrebte, wurde von der jungen Frau erwartet, dass sie sich ihren Lebensunterhalt als Sekretärin oder Tippse verdiene. Und dass ihr erklärtes Ziel im Job es sei, sich einen der (wenn möglich: höheren) Manager der Firma zu angeln, in der sie angestellt war, um dann den Rest des Lebens als Hausfrau und Mutter zu verbringen. Esthers Mutter ist ein typisches Beispiel so einer ‚Karriere‘: Sie hat nach dem College ihren Professor geheiratet, und so lange er lebte, nur noch Kinder und Haushalt betreut. (Nach dessen Tod allerdings zwangen sie die engen finanziellen Verhältnisse der Familie, an einem College Stenografie zu unterrichten. Natürlich für junge Frauen, die Tippse werden sollten.) Dasselbe Schicksal und das Absolvieren eines Stenografie-Kurses erwartet sie nun auch von ihrer Tochter. Die allerdings ist eine schriftstellerisch hochbegabte junge Frau, Spitzenabsolventin ihres College. Das ermöglicht ihr, an einer Art Stipendium für begabte ‚Autorinnen‘ teilzunehmen. Jedes Jahr dürfen nämlich die zwölf in dieser Hinsicht besten Studentinnen eines Jahrgangs während des Monats August als eine Art Herausgeberinnen der Zeitschrift Mademoiselle in New York leben und arbeiten. Esther merkt allerdings sehr schnell, dass das vermeintliche Karriere-Sprungbrett in Tat und Wahrheit eine Sackgasse darstellt: Schreibenden Frauen standen in der öffentlichen Wahrnehmung allenfalls die Themen Mode oder Kochen offen; literarische Ambitionen hatten sie keine zu haben. Desillusioniert kehrt Esther nach Hause, nach Boston, zurück – um dort zu erfahren, dass das Sommerseminar im Schreiben, auf das sie alle Hoffnung und alle Pläne gebaut hatte, sie nicht angenommen hat. Ein Versuch, zu Hause auf eigene Faust zu schreiben, scheitert schon nach wenigen Tagen und wenigen Sätzen. Ein anderer Versuch, für das Fach Englisch einen Text über James Joyce‘ Finnegans Wake zu schreiben, scheitert, weil die junge, auf sich allein gestellte Frau schon an den ersten seltsamen Wortkonstruktionen Joyce‘ Schiffbruch erleidet.

Da alles nichts wird, beschließt Esther, ihre Tage im Bett im mütterlichen Haus zu verbringen. Eine immer schwerer werdende Depression ist im Anzug – von der die unsensible Mutter rein gar nichts bemerkt. Der zweite Teil des Buchs beschreibt dann, wie Esther zunächst immer tiefer in die Depression gezogen wird, wie sie dann behandelt wird – zuerst von einem ebenso unsensiblen Psychiater wie ihre Mutter unsensibel ist – dann (dank eines ‚Stipendiums‘ einer Gönnerin – wir erhaschen in diesem Buch auch so nebenbei einen Blick auf das völlig kranke Gesundheitswesen der USA) wird sie in einer teuren Klinik von einer verständnisvollen Psychiaterin behandelt. Diese sorgt sogar dafür, dass die junge Frau ein Verhütungsmittel (wahrscheinlich eine Spirale, so genau erfahren wir das nicht) eingesetzt erhält. Denn, das war mit ein Grund für ihre Depression, sie hat von ihrem Freund erfahren, dass der in seinen Sommerferien eine Sex-Affäre mit einer Kellnerin hatte, die im selben Café arbeitete wie er. Sie empfand es als ungerecht, dass Männer ohne großes Aufsehen solche Affären haben durften; Frauen hingegen, selbst wenn sie promiskuitiv leben, oder auch nur voreheliche sexuelle Erfahrungen sammeln wollten wie die Männer, blieb dies von der Gesellschaft verwehrt. Nicht nur moralisch-gesellschaftlicher Zwang sprach dagegen, sondern eben auch der ganz praktische Grund, dass mangelnde Verhütung die Empfängnis eines außerehelichen Kindes bedeuten konnte, und dies wiederum einen völligen gesellschaftlichen und finanziellen Ruin der Frau. Während der Schwängerer meist ungeschoren davon kam.

Das Buch endet in einer an eine Geburt, oder besser noch: mystische Wiedergeburt, erinnernden Szene, als Esther vor den versammelten Ärzten der psychiatrischen Anstalt, in der sie behandelt wurde, erscheinen soll, um ihre Entlassung zu erhalten. Zumindest für einen Moment ist die Glasglocke der Depression, unter der sie hermetisch abgeriegelt gelebt hatte, ein bisschen angehoben und sie erhält ein bisschen frische Luft.

Die ersten Rezensenten (ich glaube, es waren alles Männer) hielten den Roman für verunglückt, weil in zwei ungleiche Teile zerfallend. In der ersten Hälfte sahen sie eine Art komisch-satirischen College-Roman, im zweiten dann die düstere Schilderung einer Krankheit. Das beweist allerdings nur, wie tief der misogyne Pfahl in der Gesellschaft saß. Denn schon im ersten Teil erleben wir regelmäßig, wie Esther immer wieder von anderen Leuten (auch von Frauen!) auf den Platz zurück verwiesen wird, den die Frauen im Standard der 1950er einzunehmen und einzuhalten hatten. Das ist (zumindest aus heutiger Sicht gelesen) keineswegs so heiter und komisch, wie es die männlichen Rezensenten damals empfanden. Andererseits fehlen auch bei der Schilderung der kranken Esther keineswegs komische oder ironische Details. Vor allem die Art und Weise, wie Esther die Personen ihres Umfelds betrachtet und einstuft, gleicht einer Übung in höherem Zynismus. Das hindert sie aber nicht daran, sich trotz alledem als einzig mögliche Beziehungsform die ‚klassische‘ Paarbeziehung Mann-Frau mit gegenseitiger Treue vorzustellen – und die oben genannte Kellnerin in Gedanken ein Flittchen zu nennen.

Eine immer wieder aufscheinende Frage ist die nach dem autobiografischen Gehalt des Romans. Nicht alle Details stimmen mit Sylvia Plaths Leben überein. In solchen Fällen ist es aber auch die Frage, wie weit Plath Eigenes schildern wollte, aber durch ihre Erinnerung betrogen wurde. Eines aber scheint mir klar: Es darf keine 1:1-Gleichsetzung von Sylvia Plath und Esther Greenwood geben. Dazu sind der ironischen Spitzen zu viele, mit der die Autorin ihre Ich-Erzählerin versieht (und die nicht zu verwechseln sind mit der Ironie, die Esther gegenüber anderen Personen verwendet). Erst diese Spitzen aber machen das Buch lesenswert.

In den 1970ern, als der Roman in den USA endlich publiziert werden durfte, avancierte er sofort zum Schlager vor allem in der feministischen Bewegung, die sich in den USA endlich zu regen begann. Post mortem wurde Sylvia Plath zu einer Ikone des Feminismus. Feministisch und autobiografisch – so wird der Roman bis heute gelesen. Er ist aber auch ein Beispiel dafür, wie ein literarisches Talent zwei ernste Themen miteinander verknüpfen kann, ohne einem der beiden Themen Unrecht zu tun; ein Beispiel dafür, wie ernste Themen mit Ironie behandelt werden können, ohne dass der Ton des Romans flapsig und falsch wird. Natürlich könnte Plath keines der beiden Themen so behandelt haben, wenn sie nicht selber durchgemacht hätte, was ihre Protagonistin ebenfalls durchmacht. Authentizität gibt es nicht umsonst. Und hier schließen sich die Kreise.

Zusammenfassend kann ich nur festhalten: Lesenswert.

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