Joseph Roth: Radetzkymarsch

Stilisiertes Potraitfoto von Joseph Roth. - Ausschnitt aus Buchcover.

Joseph Roths Radetzkymarsch gehört zweifelsohne zu den besten Romanen der Weltliteratur. Mit dieser Meinung stehe ich keineswegs alleine da. Dabei, und darin besteht Roths große Kunst, ist Radetzkymarsch auf den ersten Blick formal wie inhaltlich sehr konventionell gestaltet. Dieser Roman hier ist alles andere als experimentell – und gerade deshalb großartig.

Wir finden, um nur weniges anzudeuten, keine sprachliche Experimente, wie sie James Joyce in seinem Ulysses ausprobiert hat, oder später Arno Schmidt. Wir finden keine formalen Experimente, wie zum Beispiel den Stream of Consciousness einer Virgina Woolf oder eines William Faulkner. In normaler, ja recht einfacher Sprache wird eine mehr oder weniger alltägliche Geschichte einer Familie erzählt. Man mag an Thomas Manns Buddenbrooks denken, die ebenfalls davon berichtet, wie eine Familie in zwei, drei Generationen zu Grunde geht. Doch Mann ist nicht nur sprachlich manierierter, er konzentriert sich auch ausschließlich auf die Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie, die irgendwie doch wieder seiner eigenen Familie ähnlich schaut. Bezüge zum Zeitgeschehen stellen allenfalls die Lesenden her.

Die Familie Trotta aber (oder schon sehr früh im Roman: von Trotta) geht zum Schluss zwar auch unter. Aber sowohl Aufstieg wie Untergang der Trottas sind sehr eng mit dem letzten Aufblühen Österreich-Ungarns und dem Kaiser Franz Joseph (den die Geschichtsschreibung hartnäckig den „Ersten“ nennt, obwohl es nie einen zweiten gab) verknüpft. Das fängt damit an, dass der bürgerliche Leutnant der Infanterie Joseph Trotta in der Schlacht von Solferino dem unvorsichtigen jungen Kaiser unter Einsatz seines eigenen das Leben rettet. (Die Schlacht von Solferino – Roth geht mit keinem Wort darauf ein – hat Österreich-Ungarn übrigens verloren; schon das ist ein schlechtes Omen für diesen Staat und die Familie des Helden, der dem Kaiser das Leben rettete. Roth verallgemeinert das Resultat der Schlacht von Solferino nur dahingehend, dass er einmal bemerkt, dass für die k. u. k. Armee Schlachten prinzipiell dafür da seien, verloren zu werden.) Joseph Trotta aber, Sohn eines Rechnungs-Unteroffiziers und späteren Gendarmerie-Wachtmeisters mit bäuerlich-slowenischen Wurzeln, wird in den Adelsstand erhoben und zum Hauptmann befördert. In der Folge wird der Kaiser (wie man sich im Roman meist auf Franz Joseph I. bezieht) immer wieder einmal in das Leben derer von Trotta eingreifen (müssen). Dem Sohn des Helden von Solferino, Franz Freiherrn von Trotta und Sipolje, wird vom Vater eine militärische Karriere verboten; er wird ziviler Beamter und durch die Gunst des Kaisers Bezirkshauptmann in W. Der Roman dreht sich dann hauptsächlich um seinen Sohn, Carl Joseph Trotta von Sipolje, den Enkel des Helden von Solferino, der wiederum beim Militär landet (auf Wunsch des Vaters!), aber im Grunde genommen bereits viel zu schwach ist für diese Laufbahn – zu schwach eigentlich für jede Form von Leben. Er verschuldet sich in einer Garnison an der ukrainisch-russischen Grenze hoch und wird zum Alkoholiker. Zum Schluss verlässt er die Armee dann doch – nur, um wenige Tage später zurück zu kehren. Unterdessen hat nämlich der Erste Weltkrieg begonnen. Schon fast in Zeitraffer erzählt Roth, wie kurz hintereinander zuerst der Enkel des Helden von Solferino in einem Hinterhalt stirbt, danach der Kaiser selber und nur vierzehn Tage später Franz von Trotta, der Bezirkshauptmann.

Was den Roman auszeichnet ist der Umstand, dass bei aller Problematik des österreichisch-ungarischen Staatswesen, die Roth keineswegs verschweigt, dennoch ein heiter-melancholischer Ton über der ganzen Erzählung schwebt. Die Figuren entwickeln sich, aber man ist versucht zu sagen, dass sie sich nicht ’nach vorne‘ entwickeln, sondern sozusagen quer: Sie werden anders, aber nicht besser oder auch nur gewitzter. Sie behalten ihre Fehler, wenden sie nur anders an. Und dasselbe, lässt Roth durchblicken, tut auch Österreich-Ungarn. Alles aber wird ohne moralisch drohenden Zeigefinger erzählt.

Ich glaube, Radetzkymarsch braucht keine spezielle Leseempfehlung …

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