Vergleiche zwischen verschiedenen Autor*innen haben immer etwas Unbefriedigendes. Meist sind es ja auch implizite Beleidigungen – selbst wenn das Rezensenten-Tier es nicht so gemeint haben sollte. Vor allem die häufig anzutreffende Form ‚XY ist die neue YZ!‘ bedeutet ja eigentlich nur, dass wir hier eine nicht weiter zu beachtende Epigonin vor uns haben. Dennoch stellt der Mensch immer wieder solche Vergleiche an, und ich denke, dass es zutiefst menschlich ist, zunächst Unbekanntem peu à peu auf die Schliche zu kommen, indem man es mit Bekanntem vergleicht. Ror Wolf, ich muss es zu meiner Schande gestehen, war mir bis dato unbekannt. Nach den ersten zwei Kurzgeschichten habe ich vorliegendes Buch erst mal niedergelegt. Ich war einigermaßen – vielleicht nicht gerade erschlagen, aber doch – überrascht von Stil und Inhalt. Es war mir auch sofort klar, dass ich hier einen völlig Eigenständigen vor mir hatte. Dennoch war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss: „Wenn es literarische Familien gäbe: Hier wäre wohl Franz Kafka der Großvater mütterlicherseits und Heinz Ehrhardt der Vater väterlicherseits gewesen.“ Wie gesagt: Das ist natürlich Unsinn, aber es war eine erste Schockbewältigung.
Ror Wolf, ich wiederhole mich, verfügt über eine ganz eigene Art zu schreiben. Das gilt jedenfalls für dieses Buch hier, in dem auf etwas über 270 Seiten etwelche Kurz- und Kürzestgeschichten versammelt sind sowie am Ende der auch dem Ganzen seinen Titel gebende Kurzroman Nachrichten aus der bewohnten Welt. (Ich habe mir sagen lassen, dass es für sein ganzes Werk gilt.) Die Kurzgeschichten wie der Roman bestehen nämlich aus einer Art Collage oder Montage von einzelnen Sätzen, die – jeder für sich – nichts Ungewöhnliches an sich haben. Die Sprache könnte aus Zitaten von einem Alltagsgespräch entstammen, einem amerikanischen Film noir oder einem billigen Abenteuerroman. Die Art und Weise aber, wie solche Sätze hintereinander gestellt werden, lässt Geschichten sich entwickeln, die nachgerade surreal sind – und oft zum Schreien komisch. Männer verschwinden darin spurlos oder sterben, nur um im nächsten Satz (meist dann dem Schlusssatz der Geschichte) wieder quietschlebendig und ohne dass der Erzähler ein weiteres Wort darüber verlöre, ein Zigarrengeschäft in XY zu führen. Wobei alle geografischen Namen tatsächlich existierende Ortschaften oder US-Bundesstaaten bezeichnen – Wolfs Geschichten sind auch darum surreal, weil sie so sehr in der Realität verankert scheinen. Daneben wird fast immer irgendwo geschossen oder es finden Naturkatastrophen verschiedenster Art statt: Regen und Überschwemmungen, Vulkanausbrüche und Erdbeben. Immer wird der ‚Held‘ der Geschichte aber ruhig durch die Menge gehen. Und manchmal geht auch die Menge ruhig weiter. Es kann sein, dass Fassaden – ja, ganze Berge! – im Regen langsam zerfließen, wie die berühmten Uhren Salvador Dalís. Wie man überhaupt des öfteren das Gefühl hat, sich in einer von dessen Landschaften zu bewegen.
Faszinierend. Mehr kann man dazu nicht sagen. Der wortgewaltige Wolf hinterlässt den Rezensenten sprachlos. Man muss ihn selber lesen.
PS. Wie viele Zigarren hier auf den rund 270 Seiten geraucht, bzw. gedampft, werden, habe ich vergessen nachzuzählen. Es sind viele.