Sybille Bedford: Am liebsten nach Süden. Unterwegs in Europa

Bevor die Büchergilde dieses Büchlein dieses Jahr in ihrer Reihe Büchergilde unterwegs veröffentlicht hat, hatte ich, offen gesagt, den Namen Sybille Bedford nie gehört. Tochter eines exzentrischen Barons (wie es in der kurzen biografischen Notiz am Ende dieses Büchleins heißt) und einer britisch-jüdischen Mutter kam sie 1911 in Berlin zur Welt. Der Vater stellte offenbar das Sammeln von Kunst über alles – auch über die Möglichkeiten seines Einkommens und Vermögens. Er starb, als Sybille noch recht jung war. Schon mit 16 war sie eine Art Weltenbummlerin, als sie von Aldous Huxley ermuntert wurde, mit Schreiben zu beginnen. Huxley war es auch, der ihr später eine Ehe mit dem homosexuellen Engländer Walter Bedford vermittelte. Dies hat ihr unter Umständen das Leben gerettet, denn als nunmehrige Britin war sie für die Nazis unantastbar, die ihr, einer deutschen Frau mit jüdischem Blut in den Adern, dazu noch einer Frau, die Frauen liebte, ansonsten wahrscheinlich den Garaus gemacht hätten. So schrieb Sybille Bedford – auf Englisch – für englische Hochglanzmagazine über das Leben und das Reisen der High Society. (Daneben verfasste sie auch ein paar Romane, von denen einige meines Wissens auch ins Deutsche übertragen wurden.) Einige dieser Reiseberichte versammelte sie 2003 in einem Büchlein, das 2008 auf Deutsch unter dem Titel Am liebsten nach Süden erschien und eben gerade – 2022 – in einer Lizenzausgabe bei der Büchergilde.

Das Büchlein enthält acht Reisevignetten:

  • Eine Heimkehr. Capri 1948
  • Die Kunst des Reisens. Frankreich und Italien 1961
  • Sommerliche Wochen zwischen Genf und Luzern. Schweiz 1953
  • Porträtskizze eines Landes. Dänemark 1962
  • Portugiesische Impressionen. 1958
  • La vie de Château. Unterwegs im Bordelais 1978
  • Eine Jugoslawienreise.1965
  • Venedig im Winter. 1967

(Weshalb sie Dänemark zum Süden zählt, ist ihr Geheimnis geblieben. Allerdings muss ich gestehen, dass ich bei meinen Aufenthalten dort auch jedes Mal ein irgendwie südliches Gefühl empfunden habe.)

Ihre ganz eigene Art zu schreiben lässt sich schon 1948 feststellen. Sie ist einer sehr subtilen Art von Angeberei verpflichtet. Die erste Erzählung berichtet vor allem davon, wie sie auf Capri Martha Gellhorn, eine bekannte Kriegsreporterin, trifft. Und sie erzählt, wie Martha erzählt:

Martha redete über Ernest, über Spanien, über den Beschuss des Hotels Astoria in Madrid durch die Nationalisten, über die größere Sicherheit einiger Zimmer im Dorchester während der deutschen Luftangriffe auf London. Ernest, sagte sie, habe ihr Ballistik beigebracht. Sie erzählte von ihrer (unerlaubten) Reise auf dem blanken Boden eines Air-Force-Bombers, vom Anstieg auf Cassino, vom Leben mit Ernest, von ihrer Ehe mit Ernest. Er kam nicht gut dabei weg. An dem, was sich zwischen zwei Menschen abspielt, sind immer beide beteiligt, aber daran dachte ich nicht in dieser Nacht.

Hier finden wir schon alles, was auch ihre späteren Texte auszeichnen wird: Den Hang zur Aufzählung, zum unauffälligen Renommieren und zu kommentierenden Gemeinplätzen. (Ich gebe zu, dass 1948 der Name „Martha Gellhorn“ noch bekannter war als heute – vor allem im englischen Sprachraum. Dennoch ist diese Art, von deren Ex-Mann, nämlich Ernest Hemingway, einfach ohne weitere Erklärung per Vorname zu schreiben, reines renommierendes Name-Dropping: „Seht her, mit wem ich alles – und sei es über ein paar Ecken – per Du bin!“ Ich gebe ebenfalls zu, dass sie damit wohl den Nerv, den Geschmack und die Vorlieben ihres Publikums getroffen hat, das sich auf diese Weise ebenfalls (beinahe zumindest) als Teil der High Society fühlen durfte. Schließlich war man als Leser*in ja nur eine Ecke weiter entfernt von Ernest als die Verfasserin des Artikels. Ähnlich lesen wir sie auch, wenn sie eine Reise auf die bekanntesten Weingüter des Bordelais berichtet und mit ihrer Bekanntschaft mit Château Lafitte und Konsorten ganz unauffällig prahlt, oder bei einer Reise durch Frankreich und Italien mit ihren Kenntnissen der guten Restaurant an der Route. Außerdem ist sie offenbar begeisterte Autofahrerin – wir erleben sie nicht in einem anderen Verkehrsmittel.

Auf ihrer Schweizer Reise erzählt sie, wie sie in Zürich ein Buch von Montaigne (eine schöne Taschenbuchausgabe) gekauft hat (Weshalb? Wozu? Welches genau? Hat sie es je gelesen? – Wir erfahren es nicht. Aber ja: „Montaigne“.) Sie liest den Spielplan des Schauspielhauses und gibt uns alle bekannten Namen weiter. Sie besucht das Kunstmuseum und fährt dann nach Luzern, um Mozart zu hören. Und so weiter ad libitum …

Sie war überall, wo ‘man’ gewesen sein muss. Sie hat alles gesehen.

Sie hat nichts gesehen.

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