Star Trek vs. Raumpatrouille
Am 17. September 1966 wurde die erste Folge der deutsch-französischen Science Fiction-Serie Raumpatrouille ausgestrahlt. Kurz zuvor, am 8. September des gleichen Jahres, war in den USA die erste Folge der Science Fiction-Serie Star Trek gelaufen. Seither werden die beiden Serien immer wieder miteinander verglichen, obwohl ihr Schicksal nicht gegenläufiger hätte sein können.
Star Trek, im US-amerikanischen Privatfernsehen und von Anfang an in Farbe produziert, war zu Beginn nur mäßig erfolgreich und wurde nach drei Staffeln mangels genügender Zuschauerquote erst einmal eingestellt. Erst die ‚Syndication‘, das heißt die Wiederholungen in untergeordneten Senderketten, ließ eine Basis an Fans entstehen, die zum Schluss groß genug war, eine Fortsetzung der Serie zu erlangen. Heute haben wir mit Star Trek das wohl größte Science Fiction-Universum der Film- und Fernsehgeschichte vor uns, mit Ablegern und Fortsetzungen, die immer unübersichtlicher werden.
Raumpatrouille, von öffentlich-rechtlichen Anstalten produziert, war auf der anderen Seite des Atlantiks (zumindest in Deutschland) von Anfang an ein Erfolg, obwohl nur in schwarz-weiß gedreht. Dennoch war nach einer Staffel und nur sieben Folgen endgültig Schluss. Warum?
Zugespitzt formuliert, könnte man sagen, dass bei Star Trek Plutokraten entschieden, die sahen, dass mit der Serie Geld zu holen war; bei Raumpatrouille entschieden hingegen Bürokraten, die sahen, dass die Serie nur einen Haufen Geld kosten würde.
Es gibt natürlich noch andere Gründe für diese unterschiedlichen Entscheide. So war Star Trek (die Original-Serie) episodisch aufgebaut – man konnte auch einmal eine Episode verpassen, ohne den Zusammenhang zu verlieren. In Raumpatrouille war hingegen ein Spannungsbogen von der ersten zur letzten Staffel vorhanden. Zwar bezog sich dieser Bogen nicht unbedingt auf den Hauptplot, die Bekämpfung der eindringenden Aliens, sondern auf die Beziehung zwischen dem Kommandanten des Raumschiffs Orion und der ihm aufgezwungenen Sicherheitsbeauftragten. Einen Spannungsbogen über mehrere Staffeln hinweg aufzubauen, kam in den USA erst mit der außerhalb des Star Trek-Universums stehenden Science Fiction-Serie Babylon 5 in Gebrauch, gleichzeitig mit der zum Star Trek-Universum gehörenden Serie Deep Space 9. Solche Spannungsbögen haben es an sich, dass, wenn sie einmal aufgelöst sind, die Serie eigentlich zu Ende ist. Deep Space 9 fand nie eine Fortsetzung; die Fortsetzung von Babylon 5 floppte. Insofern war es eine kluge Entscheidung der deutschen Verantwortlichen, nachdem der Spannungsbogen zwischen McLane und Jagellowsk in der letzten Folge aufgelöst war, auf jeden Versuch einer Fortsetzung zu verzichten. (Bezeichnenderweise ist in den Fortsetzungen, die als billige Taschenbücher und als Heftromane erschienen sind, zunächst Jagellowsk wieder aus der Serie geschrieben worden und später sogar die ganze Orion in eine noch fernere Zukunft versetzt worden, weil ganz einfach die im Grunde genommen simple Grundhandlung praktisch jeder TV-Folge, die Bekämpfung der Frogs, irgendeinmal nicht mehr zu tragen vermochte.)
Militarismus
Erst nachträglich, nach den ersten Studentenrevolten der 1968er, wenn ich das richtig sehe, tauchte ein weiterer Grund auf dafür, dass die Serie „abgesetzt“ wurde: der darin vorgeblich enthaltene Militarismus. Ich schreibe hier mit Absicht „vorgeblich“, weil die Sache etwas kompliziert ist. Das stellt sich heraus, wenn man zum Beispiel die Definition von „Militarismus“ im Politlexikon von Schubert / Klein anschaut – ich zitiere nach Wikipedia, Artikel „Militarismus“:
die Dominanz militärischer Wertvorstellungen und Interessen in der Politik und im gesellschaftlichen Leben […], wie sie etwa durch die einseitige Betonung des Rechts des Stärkeren und die Vorstellung, Kriege seien notwendig oder unvermeidbar, zum Ausdruck kommen oder durch ein strikt hierarchisches, auf Befehl und Gehorsam beruhendes Denken vermittelt werden.
In Raumpatrouille handeln tatsächlich fast nur Militärs. Alle Hauptrollen stellen Offiziere einer nicht näher bezeichneten Raumflotte dar. Wir treffen nur wenige Zivilisten an, meist als Gastrollen in Form von Spezialisten (Wissenschaftlern) oder Vertretern der Weltregierung. (Einmal darf ein Science Fiction-Autor als Gast auf der Orion mitreisen!) Insofern dominiert das Militär. Auch scheinen im All nur militärische Schiffe zu verkehren. Selbst der Transport von Gütern wie Eisenerz von einer Außenstation wird vom Militär erledigt. Allerdings ist die Versammlung aller höchsten Offiziere dieser Flotte ganz eindeutig der zivilen Weltregierung untergeordnet. Wie genau diese Weltregierung ernannt wird und wie in etwa das Leben der Zivilbevölkerung organisiert ist, erfahren wir aber nicht, weil die Serie sich immer im Rahmen militärischen Lebens bewegt – selbst in ihrer Freizeit scheinen die Mitglieder der Flotte unter sich zu bleiben und frequentieren das so genannte Star Light Casino. (Im Übrigen hören wir immer nur von der Raumflotte. Bodentruppen (Infanterie) scheinen keine zu existieren. Auch sind an Bord der Orion nur Offiziere im Grad eines Leutnants oder höher; selbst Ordonnanzen und Vorzimmerdamen scheinen mindestens den Rang eines Fähnrichs zu haben.)
Dass Kriege […] notwendig sind, zeigt sich ebenfalls in der Serie, nämlich daran, dass die Aliens, die Frogs, ohne Vorwarnung gleich in der ersten Folge die Erde angreifen, um sie zu zerstören. Hierin zeigt sich meiner Meinung nach ein gutes Stück der Ängste, die im Kalten Krieg geschürt wurden. Da stand im Osten der unberechenbare, fremdartig und beängstigend wirkende Feind, mit dem jedwede Form der Kommunikation unmöglich war und der jederzeit den Westen überfallen und vernichten konnte. Die der BRD überlegenen (Atom-)Waffen der UdSSR spiegeln sich in der weit überlegenen Waffentechnik der Frogs, der nur begegnet werden kann, indem man selber aufrüstet. Was denn in der Serie auch geschieht – und vielleicht ein Wunsch der Drehbuchautoren für die BRD war.
Andererseits sind dem Militarismus in der Serie auch Grenzen gesetzt. Gleich in der allerersten Folge, ganz zu Beginn, stoßen wir auf Commander McLane, wie er mit seinem Raumschiff auf einem offenbar ziemlich wertlosen Stück Gestein landet, während ihm aus den Bordlautsprechern allerhand offizielle Stimmen die sofortige Rückkehr auf die Erde befehlen. Das Stück Gestein spielt nie mehr eine Rolle, aber da ist Commander McLane und da ist nichts mit Befehl und Gehorsam, sondern eklatante Befehlsverweigerung. Das zieht sich durch die ganze Serie: McLane wird immer wieder sein eigenes Ding durchziehen, egal, was seine offiziellen Befehle sind. Die Konsequenzen sind minimal. Gleich zu Beginn wird man ja McLane weder degradieren noch ihn gar unehrenhaft aus der Armee entlassen; er wird nur von den schnellen Raumverbänden zur Raumpatrouille versetzt und man gibt ihm eine Aufpasserin in der Form von Leutnant Tamara Jagellovsk mit. Das bedeutet allenfalls für ein paar Jahre etwas langweiligere Aufträge. Jedenfalls in der Theorie – in der Praxis kann McLane nun erst recht und in diversen Folgen die Erde retten.
Das Verhalten der Offiziere, sei es an Bord der Orion, sei es in der irdischen Kommandozentrale, scheint mir ebenfalls sehr wenig militärisch zu sein. Praktisch in jeder Gefahrensituation schreit man sich an und beschuldigt sich gegenseitig, wenn irgendetwas nicht so läuft, wie es vorgesehen war. Das gibt zwar der Serie einen schönen Teil ihrer Spannung und Dynamik – aber ordentliches Militär agiert meiner Meinung nach anders.
Dass daneben im Casino ziemlich heftig dem Alkohol (meist in Form von Whisky) zugesprochen wird, mag einer Glorifizierung des alten Casinos aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entsprungen sein. Dass Leutnant de Monti trotz der Tatsache, dass dies offiziell verboten ist, an Bord der Orion einen Vorrat an Whisky hält, dem dann auch unterwegs schon mal zugesprochen wird (trotz eines offiziellen Verbots, im Dienst Alkohol zu trinken!), wovon selbst die Admiralität weiß und nicht einschreitet – das ist sehr naiv. Aber „Militarismus“ kann ich diese Präsentation einer Flotte nicht nennen.
Wir sehen: Es ist kompliziert.
Die ‚Science‘ in der ‚Fiction‘
Dass es mit dem Militarismus in dieser Serie so kompliziert ist, mag auch daran liegen, dass man sich offenbar generell nicht allzu viele Gedanken über jedwede allfällige Stringenz gemacht hat. Selbst Wissenschaft ist in dieser Serie sehr vage gehalten. Manchmal scheint den Autoren nicht einmal klar gewesen zu sein, ob wir uns nun nur innerhalb unseres Sonnensystems bewegen oder wirklich in den Weiten des Alls. Es wird ein Hyperraum erwähnt, aber wozu er gut sein soll, erfahren wir nicht. Es werden Lichtsprüche versendet, aber was ist der Unterschied zu einem Funkspruch? Über den genauen Antrieb der Raumschiffe erfahren wir nichts. Oder dann wird da in einer Folge von einem Planeten namens Chroma aus die Sonne künstlich angeheizt, weil die eigene Sonne der Chroma am Erlöschen ist. Dass es absolut sinnlos ist, die irdische Sonne anzuheizen, weil auf interstellarer Ebene selbst eine Supernova keine nennenswerte Wärme selbst zu einem erdnahen Exoplaneten senden kann, scheint die Autoren nicht gekümmert zu haben. Die Lösung des Problems ist hier, dass auf einem Planetoiden Sonnenmaterie gefunden wurde, die die Leute von Chroma zum Heizen brauchen können. Das ist Science Fiction aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, bestenfalls der 1940er. Dasselbe gilt für die Wellen, die angeblich das Hirn ausstrahlt – Wellen, die von den Frogs technisch imitiert und in die Computer der irdischen Raumschiffe übertragen werden können, um so die Gedanken und Handlungen der Besatzung zu beeinflussen.
Nein, was in Raumpatrouille die ‚Science Fiction‘ wirklich ausmacht, ist die Dekoration. Man mag über an eine Hängedecke geklebte Plastikbecher heute lächeln, über Rowenta-Bügeleisen als (nicht bedienbare) Bestandteile der Schaltzentren, Bananenstecker und Bleistiftspitzer zum Ausrichten der Waffensysteme: Raumpatrouille hat aus der Not eine eigene Designsprache entwickelt, die in meinen Augen bis heute bedeutend futuristischer wirkt als das Design, das bei Star Trek in allen Ablegern und zum Teil auch in Kopien verwendet wurde. Die kreisrunde Astroscheibe, auf der in der Orion die Außenwelt dargestellt wurde, wirkt viel fremder und deshalb futuristischer als die Anlage in Star Trek, die daraus besteht, dass zwei große, bequeme Sessel vor einem riesigen Bildschirm platziert sind – damit die typische Situation in einem US-Wohnzimmer reproduzierend, wo Mama und Papa mitten vor dem Fernseher sitzen, und der Rest der Familie sich darum herum gruppiert.
Fazit
Raumpatrouille wirkt heute in vielem, auch in der geistigen Grundhaltung, recht verstaubt. Der Grund, dass die Serie bis heute zu faszinieren vermag, ist deren Design – und der Umstand, dass (anders als für Star Trek, wo in den USA zu jener Zeit die wirklich guten Schauspieler im Film oder auf dem Theater agierten und fürs Fernsehen nur die dritte Garde blieb) bei der deutschen Serie erstklassige Schauspieler angestellt wurden. (Auch wenn diese dann manchmal ein bisschen arg chargieren mussten.)
Tamara Jagellowsk wurde von Eva Pflug gespielt. Ich musste bei „Eva Jagellowsk“ liebevoll grinsen. Ansonsten ein sehr schöner, guter Artikel!
Danke für den Hinweis. Ich hab’s korrigiert.
Was mir auch immer wieder auffällt bei Raumpatrouille. Die Episoden sind viel dialoglastiger als heutzutage.
Guter Text
Es waren keine Plastikbecher (zu groß) sondern 1m x 2m große Tiefzieh-Segmente