Marc Aurel: Wege zu sich selbst

Schwarzes Muster auf blauem Hintergrund, an ein Mäander-Fries erinnernd, nur dass hier viele Friese übereinander gestellt sind - im vorliegenden Ausschnitt aus dem Buchcover sieht man aber nur deren zwei.

Marc Aurel – der Philosoph auf dem Kaiserthron … Ich bin überzeugt, dass man heute, wäre er nur eines von beidem gewesen, nur Kaiser oder nur Philosoph, bedeutend weniger von ihm hören würde. Die Kombination von Autokraten eines Weltreichs und tiefsinnigem Denker war (und ist wohl bis heute) einmalig. Diese – ich bin versucht zu sagen – Doppelbegabung hatte aber auch seine Nachteile.

Der Imperator Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus Germanicus Sarmaticus, wie er als Kaiser mit voller Titulatur hieß, war weder ein schlechter Kaiser noch ein schlechter Philosoph. Aber in beiden Funktionen konnte er nicht ganz zu der Größe auflaufen, die einige Vorgänger oder Nachfolger erreicht haben. In seiner Funktion als Kaiser liegt das wohl auch daran, dass er viel Zeit und Energie aufwenden musste, um die Grenzen des Römischen Reichs vor allem im Osten zu stabilisieren. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte er im Feldlager und er starb denn auch weitab von der Stadt Rom. In der christlichen Welt wurde ihm lange Zeit ein gutes Andenken verwehrt, fanden doch unter seiner Herrschaft (ob nun mit oder ohne sein Wissen) nach wie vor Christenverfolgungen statt. Vielleicht hätte der Kaiser Marc Aurel mehr erreichen können, hätte nicht der Feldherr Marc Aurel so viel Arbeit zu erledigen gehabt.

Vom Philosophen Marc Aurel wissen wir, dass er sich relativ früh schon der Stoa zugewandt hatte. Die Entbehrungen des Feldlagers, und wohl auch die zunehmenden Beschwerden durch Krankheit und Alter, führten ihn dazu, Bemerkungen und Ermahnungen zur eigenen Erbauung niederzuschreiben. (Den Titel Τὰ εἰς ἑαυτόν haben erst spätere Bearbeiter eingeführt. Er wurde dennoch stilbildend für viele andere solche persönlichen Werke oder Tagebücher, man vergleiche zum Beispiel Oswald Spenglers Tagebuchaufzeichnungen.) Obwohl Marc Aurel in seinem Text selber angibt, alle drei „Disziplinen“ der späten Stoa gelernt und geübt zu haben, nämlich neben der Ethik auch die Physik oder Kosmologie und die Logik, beschränkt er sich in seinen Aufzeichnungen auf ethisch-moralische Fragen. Ich bin versucht zu sagen, dass wir hier einen „Knigge“, ein Benimm-Buch, für Kaiser und Hochadel vor uns haben, einen Text also, der auf mich manchmal – auch wenn sich Marc Aurel diesbezüglich immer wieder selber ermahnt – recht hochmütig und von oben herab geschrieben wirkt. Philosophisch bringen die Aufzeichnungen nichts Neues, das war ja auch nicht deren Sinn und Zweck; oft genug hat Marc Aurel einfach nur Sentenzen exzerpiert, die er bei anderen Autoren fand.

Zusammen mit dem Handbüchlein der Morals des Epiktet (den Marc Aurel einige Male zitiert) hat der vorliegende Text unser Bild der Stoa als einer ethisch-moralischen Lehre der Selbstoptimierung entscheidend geprägt. Allerdings: Jenseits seines Rufs, von einem Philosophen auf dem Kaiserthron geschrieben zu sein, finde ich, offen gesagt, wenig, das den bis heute andauernden Nachruhm der Wege zu sich selbst (oder auch Selbstbetrachtungen, was aber nicht ganz dem Inhalt entspricht) rechtfertigen würde.


Gelesen in folgender Version:

Marc Aurel: Wege zu sich selbst. Herausgegeben und übertragen von Willy Theiler. Zürich: Artemis, 1984.

1 Reply to “Marc Aurel: Wege zu sich selbst”

  1. Gewiss, viel edelmütige Gesinnung, um so beachtlicher bei einem Herrscher, aber noch mehr die übliche stoische Litanei, wonach so ziemlich alles, was einem an Misslichem geschehen kann, „kein Übel“ wäre, wie üblich mit durchsichtigen Sophismen nicht begründet, sondern nur behauptet. Übrigens hätte der Kaiser, wie einige andere zu einem vagen Monotheismus tendierende Paganen, sich irgendwann entschließen sollen, ob er „die Götter“ oder „Gott“ für die weise Weltordnung loben wollte. Dieses unentschiedene Hin und Her nervt.

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