Patrick Leigh Fermor: Drei Briefe aus den Anden

Ausschnitt aus einer um 90° im Gegenuhrzeigersinn gedrehten Postkarte mit dem Gipfel des Machu Picchu im Hintergrund und ein paar Ruinen im Vordergrund. Ausschnitt aus Buchcover.

Von Patrick Leigh Fermor haben wir hier schon vier Bücher vorgestellt – allesamt Reiseberichte. Vier Bücher, aber nur zwei Reisen, denn je zwei Bücher betreffen jeweils dieselbe Reise. Da ist zum einen der (Jahrzehnte später erstellte) Bericht über seine allererste Reise, die als 18-Jähriger begann und auf der er (meistens) zu Fuß von Hoek van Holland nach Konstantinopel marschierte. Die zweite war eine Rundreise auf der griechischen Halbinsel. Beide Reisen hat Fermor aber nicht zu Ende beschrieben; in beiden Fällen war ein dritter Band vorgesehen, der in beiden Fällen nicht mehr geliefert wurde. Während von seiner Fußreise eine Art Notizen oder Vorstufe existiert, die manchmal als Teil 3 angepriesen wird, existiert zur Griechenland-Reise kein Schlussteil. Dass in beiden Fällen Teile fehlen, liegt vor allem daran, dass Fermor ungeheuer langsam in seinem Schreiben war. Und dies liegt wiederum daran, dass er unterm Schreiben den eigentlichen Reisebericht zu ergänzen pflegte mit weitergehenden Anekdoten zu den Leuten, die er unterwegs antraf, und er sie auch mit historischen oder literarischen Bezügen anreicherte. Das alles wollte aber natürlich nicht nur geschrieben, sondern recherchiert sein.

Ganz anders nun diese Drei Briefe aus den Anden hier. Nicht, weil dieses Buch, wie ja schon der Titel andeutet, eine Reise außerhalb Europas schildert – tatsächlich wurde Fermor als Reiseschriftsteller bekannt durch sein Buch The Traveller’s Tree, in dem er von seiner Reise in die Südsee erzählte. Aber, obwohl er auch hier eine Dreiteilung beibehält, ist dieser Reisebericht aus den Anden vollständig: Hinflug nach Lima, Aufenthalt in Quito und an andern Orten im Gebirge, Rückflug nach London.

Dass ihm dies gelang, liegt wohl vor allem am Umstand, dass er hier für einmal praktisch vollständig auf seine sonst üblichen historischen und literarischen Exkurse verzichtet, ebenso aufs Erzählen von Anekdoten. Die drei Briefe waren auch wirklich drei Briefe, die er von unterwegs an seine Frau schickte, die in Griechenland, der Wahlheimat des Ehepaars, geblieben war. (Allerdings – und hier zeigt sich doch so etwas wie der Fluch des dritten Teils bei Fermor – wurde der dritte Brief nicht mehr abgeschickt. Fermor beendete ihn im Flugzeug auf dem Rückflug nach England.) Den Grund für diese praktisch komplette Absenz seiner sonst üblichen Mäander kann ich nur vermuten. Interessierte ihn die Welt der Inka wenig oder gar nicht? (Immerhin: Die riesigen Quadersteine der Inka-Architektur faszinierten und beeindruckten ihn. Ebenso die Aufführung einiger alten Rituale, die vielleicht aus der Zeit der Inka-Herrschaft stammten, vielleicht sogar älter waren, vielleicht aber auch jünger.) Auch die Kolonialherrschaft der Spanier interessierte ihn vor allem in Beziehung auf die imposanten Barock-Bauten in Lima und in Quito. Die Inquisition wird ein paar Mal erwähnt, aber wir erfahren weiter nichts über sie. Wir erfahren vom schlechten peruanischen Wein und vom guten (aber geschmuggelten!) chilenischen. Vom meist nicht gerade guten Essen in den peruanischen Hotels und Gaststätten und davon, wie sie sich rasch an die aufgewärmten Büchsen-Ravioli im Lager gewöhnten. (Es kocht natürlich die einzige Frau im Team – wir sind im Jahr 1971 – und Fermor vergleicht sie einmal mit Wendy.)

Tatsächlich schildert Fermor hier vor allem Land und Leute – also die Landschaft um ihn herum und die Einheimischen, mit denen er näher zu tun hat. Er tut dies sehr geschickt, mit wenigen Pinselstrichen steht ein Berg vor uns oder der Direktor eines Hotels in Quito. Veranlassung der Reise war eine Klettertour, die einige Freunde von Fermor in den Anden unternehmen wollten. Mit der Ausnahme von zwei Teilnehmern, nämlich Lord Kinross und Fermor, waren die übrigen männlichen Teilnehmer, und auch die einzige Frau, die mit einem der Teilnehmer verheiratet war, erfahrene Bergsteiger bzw. Bergsteigerinnen. Die beiden Ungeübten blieben denn auch im „Basislager“ (das nirgends so genannt wird – der Nicht-Bergsteiger Fermor hütet sich, mit Fachbegriffen zu protzen), als der Rest aufsteigt. Das Ganze liest sich sehr vergnüglich und kann einem einen trüben Herbst- oder Winternachmittag durchaus versüßen.

Im Vorwort zu meiner Ausgabe äußert sich Julia Finkernagel, die Herausgeberin der Reihe BÜCHERGILDE unterwegs, verblüfft darüber, dass Fermor von keinerlei Streit in der Reisegruppe berichtet, von keinem Lagerkoller. Selbst als einer der beiden Einheimischen, die als Maultier-Treiber und Träger mitgekommen sind, das vier Monate alte Füllen tragen muss, weil es sich weigert, weiter zu marschieren, sei dieser höchst „vergnügt“. (Sie vergisst hinzuzufügen, dass auch das Füllen bei Fermor „höchst vergnügt“ von der Schulter seines Träger herabschaut.) Tentativ schreibt Finkernagel diese Tatsache dem Umstand zu, dass die Sieben abends im Lager und vor dem Einschlafen je zwei doppelte Whisky trinken. (Die Gruppe hat insgesamt 14 Liter davon zollfrei eingeführt!)

Nun, der Whisky mag eine Rolle gespielt haben. Nicht unwichtig wird aber auch gewesen sein, dass wir zwar einige unerfahrene Bergsteiger vor uns haben, aber allesamt durchaus erfahren waren in Sachen ‚Reisen jenseits der gelenkten Touristen-Ströme‘ und temporärem Leben mit eingeschränktem Komfort. Last but not least finden wir eine interessante Übereinstimmung in Fragen des Geschmacks. Nicht nur Whisky schleppen die Sieben (bzw. ihre Maultiere) nämlich hinauf in die Anden, sondern auch Lektüre. Und hier sprechen wir nicht von E-Books, die gab es noch gar nicht, sondern von Büchern. Mag sein, es waren Taschenbücher, sehr wahrscheinlich sogar – aber wir sprechen hier davon, dass diverse Romane von Balzac, Henry James, Aldous Huxley, Charles Dickens und Rudyard Kipling mitgenommen wurden. Jeder nahm seine eigenen Bücher mit, aber der Sinn war durchaus, dass man abends die Lektüre auch tauschte, wenn jemand sein Buch ausgelesen hatte. Es waren nicht alle Engländer in der Gruppe, aber hier erscheint der typisch englische Gentleman. Und sieben Gentlemen und – women werden nicht ausflippen und streiten. Niemals.

Wie schon gesagt: eine vergnügliche Lektüre, die ich in diesem Sinn nur empfehlen kann.


Patrick Leigh Fermor: Drei Briefe aus den Anden. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Lizenzausgabe 2022 der Büchergilde Gutenberg der Ausgabe des Dörlemann Verlags von 2007.

(Ob der Text auf dem hinteren Schmutzblatt von der Büchergilde stammt oder aus dem Original von Dörlemann, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber da steht tatsächlich: Im Text finden sich vereinzelt Begriffe und Formulierungen, die heute zu Recht als abwertend betrachtet werden. In ihrer historischen Dimension sind sie Teil der Werke von Patrick Leigh Fermor und des damaligen Zeitgeschehens. Sie spiegeln jedoch keineswegs die Haltung des Verlags. Ich finde es ja gut, dass man den Text von Fermor nicht kastriert hat. Allerdings habe ich auch keine Begriffe und Formulierungen gefunden, die in irgendeiner Form extrem waren. Er macht sich manchmal über Land und Leute lustig, ja – dies aber bedeutend sanfter und nachsichtiger als der durchschnittliche Massentourist von 2022, der in ganz anderen Worten über Land und Leute herzieht, wenn er auf 4000 Metern Höhe sein geliebtes Paulaner nicht mehr kriegt. Auch die Mitglieder seiner Gruppe, und allen voran er selber, werden von dieser freundlich-ironischen Betrachtungsweise nicht ausgenommen. Bedenklich finde ich an diesem Satz des Verlags nicht nur den vorauseilenden Gehorsam, mit dem sich dieser auch immer für etwas entschuldigt und von seinem Autor distanziert – den Erlös des Verkaufs seiner Bücher nimmt man ja trotzdem gern. Bedenklich ist meiner Meinung nach vor allem die Tatsache, dass Dinge, die eigentlich für ein erwachsenes und halbwegs intelligentes Publikum selbstverständlich sein sollten, überhaupt gesagt werden müssen. Für wie dumm hält mich der Verlag?, frage ich mich da. Es handelt sich hier ja um kein Kinder- und kein Jugendbuch, bei dem so eine Bemerkung noch verständlich wäre. Wobei es selbst dann meiner Meinung nach Sache der Eltern ist, ihre Kinder zu intelligenten Leser:innen zu erziehen. Denn ja: Dieses Buch kann problemlos ab 10 oder 12 Jahren gelesen werden. – Genug.)

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