Jonas Jonasson: Die Analphabetin, die rechnen konnte

Lila auf gelbem Hintergrund ein Zebra, von dem man im Ausschnitt aus dem Buchcover aber nur einen Teil des linken hinteren Beines sieht und des Bauchs. Darüber gelegt, das Zebra teilweise verdeckend, ein brauner Briefumschlag. Über diesem, ihn größtenteils verdeckend, ein weißes Rechteck, sozusagen der Brief. Darauf der Name des Autors und der Titel des Buchs, im von mir gewählten Ausschnitt zum Teil angeschnitten. Von oben nach unten zieht sich, etwas links von der Mitte, eine Paketschnur, da das Cover auch noch als Paket ausgelegt ist.

2009 erschien in Stockholm der (nicht ganz erste) Roman des schwedischen Journalisten Jonas Jonasson, Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann (2011 auf Deutsch als Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand). Bereits im Folgejahr war es das meistverkaufte Buch in Schweden und rasch eroberte es die Bestsellerlisten auf der ganzen Welt. 2013 erschien das vorliegende Buch, Analfabeten som kunde räkna. Auch dieses Buch war ein Erfolg. 2018 folgte Hundraettåringen – som tänkte att han tänkte för mycket (im selben Jahr auf Deutsch als Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten). Die immer gleiche Struktur des Titels (Substantiv + Artikel, Relativpronomen, dann ein rätselhafter Halbsatz) weist auf einen Serientäter hin. Im Grunde genommen ist zwar nur Hundraettåringen – som tänkte att han tänkte för mycket eine Fortsetzung seines ersten Bestsellers, und dafür, dass 2020 auf Deutsch noch einmal einer seiner Romane unter einem Titel mit einer solchen Struktur erschien (Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte) kann er nichts (das Buch hat im Original den Titel Hämnden är ljuv, was eigentlich mit „Rache ist süß“ übersetzt werden müsste) – da haben wohl die Marketing-Fuzzis des Verlags eingegriffen, die ja immer der Meinung sind, dass ein erfolgreiches Konzept so lange verwendet werden sollte, bis es tot geritten ist, worauf die Firma (oder hier der Autor) in Konkurs gehen kann, während die Marketing-Fuzzis bereits bei einer neuen Firma angeheuert haben, die sie mit ihren Ideen zu Grunde richten können. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nun ist zwar em>Die Analphabetin, die rechnen konnte keine direkte Fortsetzung des Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand, aber ich habe Kritiken gelesen, die monieren, dass er hier im Grunde genommen die gleiche Geschichte noch einmal erzählt. Ich habe den Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand nicht gelesen, will es aber gerne glauben. Ich habe Die Analphabetin, die rechnen konnte auch schon als „absurd“ qualifiziert gesehen. Dagegen möchte ich aber Einspruch erheben: Aus literaturwissenschaftlicher Sicht, wo „absurd“ zwar oft auch komische, aber immer mit Tiefgrunde versehene Werke bezeichnet – die Dramen von Beckett und Ionesco zum Beispiel oder auch die Romane von Camus – ist die Geschichte, die Jonasson erzählt, nicht absurd, denn der Tiefgang fehlt, sondern einfach abstrus. Jonassons Roman ist ein Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn die Techniken des magischen Realismus der Magie entkleidet und ins Triviale abgeglitten sind.

Das kann immer noch komisch sein, und tatsächlich hat das Buch auch viele witzige Momente aufzuweisen. Sein (oder der Übersetzerin?) liebstes Stilmittel ist dabei die Syllepse – ein Verb wird mit zwei Objekten verbunden, die in sich nicht zusammen passen, weil das Verb dabei eine verschiedene Bedeutung annimmt (Paradebeispiel ist der Slogan „Nimm dir Zeit und nicht das Leben!“). Das kann sehr witzig sein und gehört auch zum Standardrepertoire jedes/r Standup-Comedians. Auf die Dauer kann es freilich auch nerven.

Eine Zusammenfassung des Inhalts will ich hier nicht liefern. Wer das sucht, wird bei Wikipedia fündig. Besser kann ich es auch nicht. Nur so viel: Es geht in diesem Buch um den Kampf von ‚Gut‘ gegen ‚Böse‘ (wobei auf der Seite der ‚Bösen‘ nur Männer stehen!) bzw. ‚Intelligent‘ gegen … nun ja … ‚Weniger Intelligent‘ (wobei hier die Geschlechter paritätisch verteilt sind). Insofern hat das Buch fast etwas von einem (etwas lang geratenen) Märchen. Und wie im Märchen gewinnen zum Schluss die ‚Guten‘. Trotzdem gelingt es Jonasson, seine Geschichte gerade noch oberhalb des Banalen, des Kitschigen zu halten – dafür gebührt ihm Lob.

Kann ich das Buch empfehlen? Schwierige Frage. Ich möchte für dieses Buch eigentlich den Begriff des ‚Popcorn-Films‘ abändern und von einem ‚Popcorn-Roman‘ sprechen. Was nicht per se negativ ist. Ich zum Beispiel kann mir im Kino nichts anderes ansehen als ‚Popcorn-Filme‘. Wer also für einmal intelligente, aber nicht allzu tiefschürfende Unterhaltung sucht, ist mit diesem Buch sicher gut bedient.


Jonas Jonasson: Die Analphabetin, die rechnen konnte. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. München: carl’s books, 2013. [carl’s books gehört zu Random House. Das Buch wurde also noch im Jahr der schwedischen Ersterscheinung auf Deutsch publiziert, was darauf hinweist, dass man sich einen weiteren finanziellen Erfolg erhoffte – womit man ja so Unrecht nicht hatte …]

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