Aristoteles – Einführungsschriften

Dunkelbraunes Muster auf hellbraunem Hintergrund, an ein Mäander-Fries oder Labyrinth erinnernd, nur dass hier viele Friese übereinander gestellt sind - im vorliegenden Ausschnitt aus dem Buchcover sieht man aber nur knapp deren zwei.

Eigentliche Einführungsschriften, ob in die Philosophie allgemein oder in seine eigene im Speziellen, sind von Aristoteles – vielleicht mit einer Ausnahme, dazu weiter unten – nicht überliefert. Was wir hier vor uns haben, eingeleitet, übersetzt (und wohl auch herausgegeben – auch wenn er nicht als Herausgeber angezeigt wird) von Olof Gigon, sind Texte des Aristoteles, die als Einleitung in einige Gebiete seines Denkens dienen können, sowie spätere antike Texte, die sich mit seiner Philosophie auf einer relativ allgemeinen Ebene auseinander setzen. Zunächst aber, und nicht unwichtig und ungewichtig (sie umfasst rund ein Drittel des Buchs) die Einleitung von Olof Gigon selber.

Diese Einleitung liefert uns

  • Das Leben des Aristoteles
  • Die Schriften des Aristoteles
  • Verzeichnis der überlieferten echten Schriften – sowie
  • Die Philosophie des Aristoteles

Im letzten Abschnitt liefert Gigon eine erste, kurze Zusammenfassung des aristotelischen Denkens mit dem Schwergewicht auf dem Umstand, dass Aristoteles, anders als Platon, immer auf der Suche nach einer Erklärung konstatierter Tatsachen ist, ohne auf rein metaphysische Entitäten wie die platonische Idee zurück zu greifen.

Interessant, und im vorliegenden Zusammenhang natürlich auch wichtig, ist die Überlieferung der Schriften des Aristoteles. Wie schon Platon hat auch er zu Lebzeiten Verschiedenes zu verschiedenen Themen veröffentlicht, wie Platon ebenfalls in Dialogform. Als in Athen nach dem Tod Alexanders des Großen anti-mazedonische Kräfte die Stimmung der Bevölkerung bestimmten, verließ Aristoteles die Stadt, in der ihm das Leben schwer gemacht wurde, es vielleicht sogar wirklich bedroht war – wusste man doch, dass er sich, wie schon sein Vater, längere Zeit am mazedonischen Königshof aufgehalten hatte und dort über gute Verbindungen verfügte. (Ob er wirklich eine Zeitlang Lehrer Alexanders (des späteren Grossen) gewesen war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Das erste entsprechende Zeugnis ist erst einige Jahrzehnte nach dem Tod des Aristoteles in Umlauf gekommen.) So oder so entfernte sich der Philosoph von Athen und nahm natürlich seine Schriften mit. Darunter war, neben den veröffentlichten Dialogen, auch viel Unveröffentlichtes: Notizen, Denkansätze, Entwürfe, vielleicht auch Vorlesungstexte. Als er mit 65 Jahren starb, hinterließ er ein ungeordnetes Konvolut, das von einem gewissen Neleus, dem Schüler des nach Aristoteles zum Schuloberhaupt gewählten Theophrast, aus Chalkis, dem neuen Zufluchtsort der peripatetischen Schule, mit zu sich nach Hause genommen wurde, angeblich aus Ärger darüber, dass er nicht zu Theophrasts Nachfolger gewählt wurde. Die anschließende Räuberpistole, wie diese Texte hätten versteckt werden müssen, dann vergessen gingen und erst viel später in halb verrottetem Zustand wieder gefunden wurden, können wir als solche vergessen. Tatsache ist aber, dass erst rund 150 v.u.Z. eine erste Ausgabe dieser Schriften stattfand. Wir vermuten heute, dass Andronikus, der Herausgeber, stark in den Originalbestand eingegriffen hat, die ungeordneten Fragmente nach Themen zusammengestellt, so gut er es vermochte, auch eigene Überleitungen und vielleicht gar mehr eigenes hinzugefügt hatte. Vor allem aber berücksichtigte er für diese Ausgabe ausschließlich die ‚internen‘ Schriften des Aristoteles, seine veröffentlichten Dialoge ließ er außen vor. Das war durchaus sinnvoll, in Anbetracht der Masse an Text, die er sowieso schon zu bearbeiten hatte, auch waren die exoterischen Texten zu seiner Zeit offenbar noch greifbar. Es sollte sich aber zeigen, dass im Lauf der Jahrhunderte, die Bekanntheit der Andronikus-Ausgabe den Dialogen den Rang ablief – bis heute ist sie als Corpus Aristotelicum die, was Titel und Zusammenstellung betrifft, maßgebende Ausgabe. Aristoteles’ Dialoge aber hatten wohl nicht nur das Corpus Aristotelicum zum ‚Feind‘ sondern auch die platonischen Dialoge, die, vermute ich, literarisch raffinierter und lesbarer waren als die aristotelischen.

Als einzige Ausnahme (oder zumindest halbe Ausnahme) können wir den so genannten Protreptikos des Aristoteles betrachten – einen Auszug aus verschiedenen seiner exoterischen Schriften, den der Neuplatoniker Jamblich in seiner Einführungsschrift in die Lehren der – Pythagoreer verfasst hat. Darin folgte, nach dem ersten Teil zu Leben, Werk und Lehre des Pythagoras, ein allgemeiner Aufruf zu einem philosophischen Leben, in dem neben eindeutig als Platon zugehörenden Teilen auch welche stehen, die Jamblich aus aristotelischen Schriften genommen haben muss. Inhaltlich bringt der Text wenig; wir haben – den Zwecken Jamblichs folgend – vor allem den Aufruf vor uns, der hehren Philosophie zu folgen. Allerdings können wir vermuten, dass Aristoteles in seinen exoterischen, also an ein allgemeines Publikum gerichteten Schriften, dem klassischen Bild des Philosophen bedeutend konformer agiert hat, als in seinen esoterischen, nur an seine Schüler oder gar an sich selber gerichteten Texten. Vielleicht war das mit ein Grund, warum die Dialoge des Aristoteles bald als uninteressant galten und vergessen wurden.

Daneben finden wir in unserem Buch in der Abteilung Aristotelische Einführungen in die Philosophie noch einen Auszug aus der Kategorienlehre, für die ich auf deren separate Darstellung in diesem Blog verweisen möchte.

Die Grundlegung der Metaphysik handelt von der ersten Ursache, die es für Aristoteles geben muss, denn ein unendlicher Regress der Ursachen gefällt dem methodischen Denker nicht. (Auch ein letztes Resultat muss es nach ihm geben, aber das thematisiert er weniger.) Das Problem, wie seine erste Ursache zugleich unbewegt sein kann, aber etwas in Bewegung setzen, sieht er entweder nicht, oder er verleugnet bzw. verschleiert es. Das Gleiche gilt für die ebenfalls aus der als Metaphysik bezeichneten Zusammenstellung diesbezüglicher Gedanken für den unbewegten Beweger (= Gott). Aristoteles kritisierte Platon für seine Idee, die eine ähnliche Funktion ausübt. Die am Neuplatonismus und der Stoa geschulten ersten christlichen Aristoteles-Exegeten würden natürlich wiederum hier mit ihrer Kritik ansetzen bzw. die antike Kritik fortsetzen, nach der Aristoteles implizit seinen Gott in ganz ähnlicher Weise außerhalb jeder möglichen Erfahrung für den Menschen setzt, wie es Epikur explizit mit seinen Göttern getan hatte.

Last but not least finden wir im vorliegenden Buch einen Text zur Methodik der Naturforschung, in der Aristoteles auch rechtfertigt, dass und warum er sich um so hässliche und unappetitliche Dinger wie Eingeweide, Würmer und Insekten kümmert. Zugleich ist er der erste mir bekannte Autor, der zwischen Fachwissen und Bildungswissen unterscheidet.

Es folgen in einem dritten Teil noch drei Antike Einführungsschriften zu Aristoteles. Da ist von Didymos eine zu den Ethischen Lehren des Aristoteles und der übrigen Peripatetiker. Didymos, von Haus aus Stoiker, lebte zur Zeit von Kaiser Augustus und war mit diesem und mit Maecenas befreundet. Hier versucht er, möglichst objektiv die peripatetische Ethik mit ihrem Einhalten einer Mitte zu würdigen, was ihm nicht schlecht gelingt. Der zweite Text von Attikos, Über den Gegensatz von Platon und Aristoteles, ist eine Kampfschrift eines Neuplatonikers, der aber die Schwächen des aristotelischen Systems sehr gut durchschaut hat – jedenfalls, was dessen Theologie betrifft. So haben wir denn diesen Text auch in einem Auszug des Eusebius von Caesarea vor uns, der die antike Kritik noch verstärkt mit Hinweisen auf entsprechende Partien in der Heiligen Schrift. Zuletzt noch ein relativ neutraler und als Einführung auch tatsächlich brauchbarer Text: Die zehn Hauptpunkte der Aristotelischen Philosophie von Elias, einem Professor für Philosophie aus dem 6. Jh. u.Z. Sicherlich ein Destillat von Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten philosophischen Dozierens, aber es ist nur schon interessant zu sehen, welche Anforderungen jene Zeit des Übergangs von der Antike ins byzantinische Zeitalter an Philosophiestudenten stellte.

Alles in allem also ein nicht uninteressantes Buch:

Aristoteles – Einführungsschriften. Eingeleitet und übertragen von Olof Gigon. Zürich / München: Artemis, 1961.

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