Man ist sich heute in der Fachwelt so ziemlich einig, dass Petronius, der Verfasser des Satyricon, identisch ist mit Petronius, dem arbiter elegantiae am Hof des römischen Kaisers Nero. Das wirkt nur auf den ersten Blick seltsam, wenn wir überlegen, dass das Satyricon das vielleicht zynischste Werk der antiken römischen Literatur darstellt – und bis heute eines der zynischsten der Weltliteratur. Selbst Rabelais kommt nicht an Petronius heran.
Der Roman ist nur als Fragment überliefert, was immer wieder nach Ergänzungen rief oder auch Fälschungen auf den Plan rief. In meiner Ausgabe figurieren neben den als sicherlich echt anerkannten Teilen noch die Ergänzungen, die Pierre Lignage de Vaucienne (um 1610 bis ca. 1681) unter dem Namen seines Herausgebers Nodot (Rotterdam 1692) veröffentlichte, und die sofort große Aufmerksamkeit erlangten, weil Nodot sie als „echte Petroniusfragmente“ verkaufte. Der „Nodot-Text“ wird noch heute gern verwendet, um eine flüssig lesbare Handlung zu erzeugen. So auch in meiner Ausgabe. Hier wurden die echten Texte von Carl Fischer übersetzt, die Ergänzungen sind kursiv abgesetzt und stehen in der Übersetzung von Wilhelm Heinse – Originalorthographie aus der Zeit des Übersetzers inklusive. Tatsächlich muss man zugeben, dass der „Nodot-Text“ auf eine nachgerade kongeniale Art Zusammenhänge herstellt und die Handlung logisch fort- bzw. zusammenführt.
Die Geschichte wird in der Ich-Form vom fahrenden Schüler Encolpius erzählt. Der Anfang setzt ein mitten in einer Diskussion über den Verfall der Rhetorik, den dieser mit seinem Lehrer Agamemnon führt. Das ist aber die einzige Anspielung auf den eigentlichen Stand des Erzählers. Danach reist er mit seinem Freund Askyltos und dem geliebten Knaben Giton in der Welt herum. Die drei betrügen, rauben, morden offenbar wahllos – Hauptsache, sie müssen keiner ernsthaften Beschäftigung nachgehen. Wir finden jede Menge Eifersuchtsszenen zwischen den drei Protagonisten: Jeder möchte mit jedem, jeder möchte aber auch außerhalb dieses Dreiecks – mit anderen Männlein wie mit anderen Weiblein. Das führt schließlich dazu, dass sich Askyltos von den beiden anderen trennt; dafür tritt ein älterer Dichter namens Eumolp hinzu. In der zweiten Hälfte des Romans wird die Parodie auf Homers Odyssee immer deutlicher: Die drei erleiden Schiffbruch und es stellt sich heraus, dass auch Encolpius von einem rächenden Gott verfolgt wird. Nur ist es in seinem Fall nicht der Meeresgott Poseidon sondern – Priapos. Mit anderen Worten: Er ist impotent geworden, woran sämtliche (drastisch geschilderten!) Behandlungsmethoden verschiedener Magier und Magierinnen nichts ändern.
Der Roman ist episodisch aufgebaut, weshalb wir auch heute noch den Text lesen können, obwohl ganz offensichtlich gewichtige Episoden verloren gegangen sind. Neben vielen Gedichten sind auch längere und kürzere Erzählungen eingeschoben – unter anderem die bekannte Witwe von Ephesos, der einzige Teil des Romans, mit dem auch Goethe etwas anfangen konnte, der ansonsten nicht prüde war, aber Zynismus so gar nicht mochte.
Und dann ist da natürlich das berühmte Gastmahl des Trimalchio. Der ist ein reich gewordener Freigelassener und wenn er auch protzt mit Zutaten, Zubereitungsarten und seltenen Speisen: Es wird selbst dem hartgesottenen Encolpius immer wieder mal zu viel. Außerdem sind die Gespräche, die er mithören muss, von einer Banalität, die ihresgleichen sucht. (Als Mensch des 21. Jahrhunderts staunt man auch, was die alten Römer überhaupt möglicherweise als Delikatesse auffassten …)
Alles in allem, wie mein Lieblings-Alien sagen würde: Faszinierend. Und herrlich zynisch.
Wer Ist der Autor des Petron-Beitrags P.H.
Kennen Sie den Petron Roman von Tom F. Lange: Petronica. Die ganze welt treibt Schauspiel, Hollitzer Wien 2021
Nein. Gegenfrage: Wer ist der Autor Tom F. Lange?
Zur Zeit als ich bei Schopenhauerianern hospitierte, habe ich einmal einen von denen wohl etwas schockiert, indem ich gesagt habe, dass meinetwegen der ganze Seneca verloren sein könnte, wenn wir dafür das vollständige Satyricon hätten. Dass man damit die schulische Originallektüre beginnen sollte anstatt des ewigen De bello Gallico habe ich zu verfechten erwogen, aber wenn schon nicht damit, dann doch wenigstens mit dem auch scnon weit beschwingteren De coniuratione Catilinae.
Übrigens, wenn Sie Zynismus mögen, warum hat Ihnen Fear and Loathing in Las Vegas nicht gefallen? So viele amüsante Dialoge und Szenen, am besten zweifellos die, in der Dr. Gonzo verlangt, dass sein Kumpan ihm den laufenden Kassettenrekorder auf dem Höhepunkt von White Rabbit in die Badewanne wirft: köstlich.
Eine junge Frau hat mir anderswo gesagt, dass sie zu ihrer Schulzeit (die rund ein Vierteljahrhundert nach der meinen gewesen sein muss) tatsächlich das Gastmahl des Trimalchion in der Schule gelesen hätten. Hat sich unser Lateinlehrer damals auch nicht getraut (obwohl wir in der Klasse Catull gelesen haben).
Falls meine Besprechung damals den Eindruck erweckt hat, ich hätte „Fear and Loathing in Las Vegas“ nicht gemocht, wäre das schade. Ich habe das Buch explizit „einem wichtigen Text nicht nur der US-amerikanischen Literatur“ genannt und möchte ihn auf keinen Fall in der Literaturgeschichte missen.