Erna Pinner: Curious Creatures – Seltsame Geschöpfe der Tierwelt

Links und rechts als grüner Streifen der Leineneinband des Buchs. In der Mitte als Schwarz-Weiß-Zeichnung auf weißem Papier eine der im Buch vorgestellten Kreaturen, nämlich als Ganzbild ein skurriler Tiefseefisch mit einer Art Antenne über dem Maul (ein Antenarius aus dem Indischen Ozean, gem. Bildbeschriftung im Buch), der von rechts nach links durch das Bild schwimmt. Illustration von Erna Pinner. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Erna Pinner (1890-1987) stammte aus dem jüdischen Großbürgertum von Frankfurt/M. Sie durfte dort, in Berlin und in Paris eine Ausbildung zur Kunstmalerin durchlaufen. Später, als sie mit Kasimir Edschmid zusammen war, begann sie auch zu schreiben und ihre und die gemeinsamen Arbeiten zu illustrieren. 1935 emigrierte sie nach London. Durch Bekannte lernte sie Julian Huxley kennen, damals u.a. Leiter des London Zoo. Der kannte ihre Publikation aus dem Jahr 1927, Tierskizzen aus dem Frankfurter Zoo, und gab ihr ähnliche Aufträge für seinen Zoo. Zwischenzeitlich studierte Pinner Biologie – wann, wo und wie, ist allerdings nicht bekannt: Zwischen einem ‚offiziellen‘ Studium an einer Universität und Selbststudium mit Fachbüchern ist alles möglich. So kam es, dass sie ihren Lebensunterhalt mehr oder weniger damit verdienen konnte, biologische Bücher zu illustrieren und selber welche zu schreiben, die sie dann zugleich illustrierte. Dabei handelte es sich dann vor allem um populärwissenschaftliche Bücher – wie dieses hier.

Sie schrieb es auf Englisch – ein Kraftakt für eine Person, die erst ab dem 45. Lebensjahr wirklich in einer englischsprachigen Umgebung lebte und vorher diese Sprache nur als Fremdsprache kannte. Dabei half ihr wohl ihre Bekanntschaft mit dem Zoologen und Kurator (ebenfalls am London Zoo) David Seth-Smith. Der hatte bereits 1936 eine Fernsehsendung mit dem Titel The Zoo Today. Seine eingängige und dem Laien leicht verständliche Sprache nutzte er auch für verschiedene Bücher zu diesem Thema. Pinner hat diese sicher gekannt und für sich als Vorbild genutzt.

Aber sie kopiert den Zoo-Man (wie man ihn in Großbritannien nannte) natürlich nicht. Das zeigt nur schon das Inhaltsverzeichnung der Curious Creatures. Sie führt eine eigene Ordnung ein und stellt die Tiere in verschiedenen Lebenssituationen vor – natürlich vor allem in außergewöhnlichen. Wir finden also seltsame Fressgewohnheiten ebenso wie väterliche Brutpflege, fliegende Vierfüßler oder Symbionten vs. Parasiten. Seltsame Körperformen oder Lebensgewohnheiten fehlen so wenig wie flugunfähige Vögel. Und als letztes Kapitel fügt sie noch ein allgemeines an mit einer Parade der Kuriositäten. Jedes Kapitel liefert dadurch eine Auswahl verschiedenster Arten aus dem gesamten Tierreich. Selbst auf die Pflanzen kommt sie einmal zu sprechen, wenn es darum geht, welch raffinierte Methoden sich einzelne Pflanzen ‚ausgedacht‘ haben, um zur Befruchtung zu kommen oder – im Fall der fleischfressenden Pflanzen – zu Nahrung. Das Buch erscheint 1951 auf Englisch und 1955 auf Deutsch – übersetzt von der Autorin selber.

Wer das Buch heute liest, hört – jedenfalls wenn man meiner Generation angehört – im Hintergrund immer jene typische gequetschte Stimme, mit der ein anderer Zoodirektor, Bernhard Grzimek aus Frankfurt, seinerseits im deutschen Fernsehen seine Tierwelt vorstellte. Tatsächlich gehört es in dieselbe, an exotischen Tieren interessierte Zeit und bedient dasselbe Publikum. Wenn wir heute wissenschaftliche Fehler darin finden, so ist daran nicht Pinner schuld sondern die Forschung, die in vielem neues Wissen angesammelt hat. Zum Beispiel wissen wir heute, dass ein Axolotl nicht die Larve des Feuersalamanders ist, wie Pinner schreibt, sondern eine eigene Art. Allerdings gibt sie hier nur das Fachwissen der 1950er wieder.

Zeitgebunden ist auch jene Aussage zur Stechmücke, wo sie die Wissenschaft dafür lobt, dass man ihrer endlich Herr werden könne, dank dem Einsatz von – DDT.

Speziell wird das Buch aber durch die – ich bin versucht zu sagen: symbiontischen – Illustrationen Pinners. Meist sind die Zeichnungen nach der Natur geschaffen, einige wenige nach Fotografien. Um aus dem Nachwort von Barbara Weidle zu zitieren:

Feine parallele Schraffuren und Linien erinnern an […] Keramik der Weimarer Republik […]. Stets verbindet sie künstlerisch eine gewisse Naturnähe mit Formstrenge und zeichnerischen Markierungen wie Punkten und Strichen. […] In ihren Illustrationen scheint aber auch die Fragilität der Natur auf, die Verletzlichkeit von Pflanzen und Tieren […].

S. 296

Und gerade vor dem hier zitierten Ausschnitt erwähnt Weidle noch einen weiteren ‚Trick‘, mit dem Pinner Unmittelbarkeit und Lebensechtheit gewinnt: Immer wird dem eigentlich porträtierten Tier noch etwas hinzugefügt: Pflanzen, Luftblasen etc. Das erinnert an die Bilder von Maria Sibylla Merian – eine Frau, die Pinner übrigens zitiert, also kennt, auch wenn sie selber nur Autorin und Illustratorin war, nicht auch noch Forscherin wie Merian.

Als Gesamtkunstwerk wie als wissenschaftsgeschichtliches Dokument sehr lesens- und betrachtenswert.


Diese moderne Ausgabe ist ursprünglich letztes Jahr (2022) im Bonner Weidle-Verlag erschienen – dem Verlag, der per Ende dieses Jahres, wohl mangels geeigneter Nachfolge, an den Wallstein-Verlag übergeht. Hoffen wir, dass der Weidle-Verlag auch als Wallstein-Imprint weitere solche Schätze zu heben in der Lage ist.

Meine Ausgabe ist allerdings nicht die des Weidle-Verlags sondern die Lizenzausgabe bei der Büchergilde. Ganzleinen, Fadenheftung, Lesebändchen … was immer das bibliophile Herz wünscht.

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