John Buchan: The Thirty-Nine Steps [Die neununddreißig Stufen]

Zeichnung auf grauem Hintergrund eines Mannes, der einen Abhang hoch klettert und sich dabei nach seinen Verfolgern weiter unten im Tal umschaut. Man sieht im Ausschnitt nur die Berghänge links und rechts und den Kopf des Mannes. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

James Bond, bevor da ein James Bond existierte. Er heißt denn auch nicht James Bond sondern Richard Hannay. Auch kämpft er nicht im Kalten Krieg gegen die „Commies“ sondern am Vorabend (und während) des Ersten Weltkriegs gegen die Deutschen. Schließlich ist er – zumindest in diesem Roman hier, am Anfang seiner fünf Romane umfassenden Karriere – kein Mitglied des Secret Service sondern ein einfacher Bergwerksingenieur, der nach einem anstrengenden Job in Rhodesien nach London zurückgekehrt ist und sich dort plötzlich in eine internationale Affäre verwickelt sieht. Last but not least: Hannay hat keine Frauengeschichten und sein Autor keine masochistische Ader.

Von The Thirty-Nine Steps gibt es mindestens drei Verfilmungen und eine TV-Serie. Am bekanntesten ist der Film, den Alfred Hitchcock 1935 unter diesem Namen gedreht hat. Wenn nun welche denken, dass sie dieses Buch nicht mehr lesen müssen / können, weil sie ja den Film gesehen haben, kann ich sie beruhigen. Außer dem Plot Bunny einer groß angelegten Verschwörung und der daraus resultierenden Flucht des Helden hat Hitchcock eigentlich nur noch dessen Namen übernommen. (Nebenbei: „The Man on the Run“, der Mann auf der Flucht, war eines der Lieblingsmotive Hitchcocks. Mehrere seiner Filme benutzen dieses Motiv.)

John Buchan nannte seine Romane um Richard Hannay shocker und meinte damit, dass er sich beim Plot stark an die US-amerikanischen „Dime Novels“ anlehnte – jene Geschichten, die in billigen Heften an ein meist männliches Publikum verkauft wurden, das beim Lesen ganz einfach nur ein bisschen Spannung und eine Handlung verlangte, die jenseits dessen war, was es im Alltag erlebte. Buchan selber sagte, dass er in diesem Roman zwar Unwahrscheinliches erzähle, aber nicht Unmögliches. (Dass eine derartige Häufung von Unwahrscheinlichem wie in diesem Roman irgendwann in den Lesenden das Gefühl einer Unmöglichkeit hervorrufen könnte, hat er wohl nicht bedacht.)

Ich will hier gar nicht erst die Story zusammenfassen. Hannays Flucht vor den Bösewichten und der Polizei gleichzeitig, die Art und Weise, wie er die Bösewichte praktisch im Alleingang unschädlich macht, wird von Buchan recht zügig erzählt. Seine Sprache ist glatt und fließend, einfach, aber ohne deshalb simpel zu sein. Ja, manchmal – vor allem, wenn er seinen Helden die Gerüche schildern lässt, die er auf dem Land in Schottland einatmet – wird Buchan nachgerade poetisch, für zwei oder drei Sätze, dann geht die Flucht weiter. Dabei verkleiden sich sowohl Hannay wie seine Gegner auf immer neue Art – und sind auch jedes Mal in der Lage, den jeweils anderen zu täuschen.

Ein Wort noch zur Geisteshaltung Buchans. Man hat ihm schon Antisemitismus vorgeworfen, zum Beispiel auch in diesem Roman. Aber gerade hier kann ich das nicht bestätigen. Ja, es gibt am Anfang der Geschichte jenen Nachbarn vom Appartement über demjenigen Hannays, der eines Abends vor der Tür steht und dann Hannay von einer weltweiten Verschwörung erzählt, die gebildet wurde, um den griechischen Premierminister umzubringen, der als einiger durch seinen großen Einfluss auf dem Balkan noch den kommenden Krieg verhindern könne. Die Verschwörer seien ein weltweit tätiges Netz von Anarchisten. Die wiederum werden von Leuten aus der Hochfinanz gesponsort – genauer, wie der Nachbar ausführt, sei es so, dass der britische Name des Verwaltungsratspräsidenten einer jeden Bank, meist der Name eines Mitglieds des Oberhauses, nur einen Strohmann vorstelle. Wenn man weiter in die Geheimnisse der Bank eindringe, werde man feststellen, dass hinter diesem Strohmann ein unscheinbarer Buchhalter stecke, der die Geschäfte führe. Und wenn man dann ganz tief in die Innereien der Bank vordringe, werde man in einem dunklen, schmuddeligen Hinterzimmer der Bank einen schmierigen Juden finden, der tatsächlich das Ganze manage. Und dieser Jude sei am Chaos interessiert, das aus der Tätigkeit der Anarchisten entstehe, weil er da viel, viel Geld verdienen könne.

Da steckt tatsächlich sehr viel und sehr kruder Antisemitismus drin. Aber: Wir haben hier Figurenrede vor uns. Wie sich herausstellen wird: ein ad hoc erfundenes Märchen, das der US-amerikanische Nachbar Hannay erzählt hatte, um ein Interesse zu wecken, ohne die tatsächliche Verschwörung zu enthüllen. Hannay wird später mit höchsten Regierungsmitgliedern in Kontakt kommen und erfahren, dass der mittlerweile ermordete US-Amerikaner eine Art englischer Spion im Free Lance Verhältnis war – zu unstet, zu eigensinnig, um eine Festanstellung zu kriegen und vor allem mit der fixen Idee gesegnet, dass hinter allem letztendlich die Juden ständen, die die Welt zu beherrschen trachteten.

Tatsächlich ist Hannay, ist Buchan, über solche primitiven antisemitischen Züge erhaben. Was nicht heißt, dass nicht beide aus heutiger Sicht problematische Züge hätten. Das Buch erschien 1915 und zeigt viele (britische) Ansichten der Zeit. Hannay vor allem ist der typische „Brit“ – immer „stiff upper lip“, nie um einen Ausweg verlegen (und mit einer nachgerade kindlichen Freude am Versteckspiel, das er gerade treibt). Er und Buchan sind Patrioten vom Scheitel bis zu Sohle, was auch bedeutet, dass sie in keiner Sekunde die Rolle Großbritanniens als Weltmacht anzweifeln, die das Recht hat, überall auf der Welt über Kolonien zu verfügen. Weshalb ich denn auch oben von ‚Rhodesien‘ gesprochen habe, das ist der Name, den Buchan 1915 ganz selbstverständlich wählt. (Während James Bond, um auf ihn zurück zu kommen, im Grunde genommen nur noch daran arbeitet, den Untergang des britischen Weltreichs zu bremsen.) Und da 1915 auch eine Zeit war, als im ganzen Königreich eine nachgerade hysterische Angst vor deutschen Spionen herrschte, dürfen wir uns nicht verwundern, wenn die Anarchisten in Tat und Wahrheit Deutsche sind. Und der Romann sofort zu einem großen Erfolg wurde. (Aber, ja: Er läßt sich noch heute als spannendes Märchen lesen.)

Der Roman ist eine Lektüre für Momente, in denen man nichts wirklich Ernsthaftes anfassen mag, aber doch nicht in allzu Seichtem ertrinken möchte. (Ja: Richard Hannay war eines der Vorbilder von James Bond – bzw. John Buchan von Ian Fleming.)

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