Max und Moritz ist sicher das bekannteste Werk von Wilhelm Busch, aber gleich dahinter folgt Die fromme Helene. Max und Moritz wird gern als Kinderbuch betrachtet und verkauft, obwohl es eigentlich keines ist. (Nicht jedes Buch mit Kindern in den Hauptrollen ist per se ein Kinderbuch.) Max und Moritz ist zynisch und brutal – wobei Wilhelm Buschs Geschichte zugegeben die Brutalität (aber nicht den Zynismus) mit vielen Märchen der Brüder Grimm teilt, die auch als Kindergeschichten verkauft werden.
Die fromme Helene nun ist definitiv kein Kinderbuch. Die Protagonistin ist, als wir sie kennen lernen, eine pubertierende Göre, und als wir sie verlassen – tot. Man könnte so eine Geschichte problemlos als Parodie auf einen Entwicklungsroman auffassen. In verschiedenen Kapiteln schildert uns Wilhelm Busch den Lebenslauf dieser Helene. Schon die Pubertierende sieht aus, wie wenn sie kein Härchen krümmen könnte. Später gibt sich Helene einen frommen Anschein, was nur verstecken soll, dass sie seit ihrer Pubertät spitz auf den Vetter ist (der wiederum spitz aufs Küchenpersonal ist – jeder Mann, der hat nun mal …). Im Lauf der Zeit wird Helene nicht nur fromm, sondern auch Alkoholikerin. Schließlich zündet sie sich im Suff an der Öllampe an, und so sehen wir die Seele der gerade gestorbenen Frau aus dem Kamin fahren, wo schon ein Teufel auf sie wartet, um sie in die Hölle zu holen. Zwar Lenens guter Genius // Bekämpft den Geist der Finsternus, wie Busch sagt. Bewaffnet mit Schild und Schwert kupiert er dem Teufel den Schwanz, aber das hilft nicht: Mit seiner zweigezackten Gabel wirft der Böse das kleine, dickliche Putenengelchen vom Dach. O weh, o weh! Der Gute fällt! // Es siegt der Geist der Unterwelt. Reminiszenzen an Faust II werden wach … In eben dieser Unterwelt schließlich landet Helene in einem riesigen, auf einem ebenso riesigen Feuer stehenden Topf, aus dem heißer Dampf steigt. Ihr Platz ist gleich neben dem Vetter Franz, der seinerseits zu Lebzeiten sich den Anschein eines Heiligen zu geben wusste: Der heil’ge Franz ist auch schon da, wie Busch lakonisch vermerkt.
Buschs Werk (nicht nur dieses) ist in vieler Hinsicht einzigartig. Man spricht von ihm gern als vom Ahnherrn des Comic oder der Graphic Novel. Das ist nur bedingt korrekt. Es gehören bei ihm (auch in der Frommen Helene) Bild und Text immer zusammen und keines der beiden könnte allein stehen. Der Text ist meist in gefälligen Versen mit Reim gehalten, von denen viele zu sprichwörtlichen Redensarten geworden sind – selbst von Schiller und Goethe kursieren wohl nicht viel mehr. Die Bilder sind ihrerseits satirisch gehalten und oft voller witziger (und winziger) Details. Busch war ja von Haus aus Maler; andererseits hat er auch Prosatexte geschrieben, die ohne Bilder auskommen. In der Frommen Helene (wie auch in den anderen seiner Werke, in denen er Bild und Text mischt) sieht man sehr gut, dass keines der beiden Medien ohne das andere auskommen kann – und das macht den Unterschied zu einem Comic oder einer Graphic Novel. Buschs Mischung ist einzigartig. Im weitesten Sinn kann man für sein Werk festehalten, dass sich darin Schopenhauers Pessimismus trifft mit Heines Ironie. Das gibt wunderbar zynische Geschichten wie die von der Frommen Helene.
Man sollte mehr Busch lesen.