Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe

Links, oben und rechts ein gelber Rand, darin ein weißes Viereckm darin wiederum mit schwarzen Lettern auf zwei Zeilen verteilt der Name des Autors: "Daniel Casper von // Lohnenstein". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Lohenstein war so etwas wie die bête noire der deutschsprachigen Literaturpäpste der frühen Aufklärungszeit – ob die nun in Zürich oder in Leipzig residierten. Woran das liegt, kann oder will selbst Rolf Tarot, Herausgeber meiner vorliegenden Sophonisbe-Ausgabe (dazu siehe unten) und anerkannter Spezialist für die deutsche Literatur des Barock unter besonderer Berücksichtigung der Trauerspiele, nicht genau sagen. Wir können heute die Art der Änderung festhalten, der Grund dafür ist nicht klar. Fest steht, dass sich in den rund 50 Jahren zwischen Lohenstein und den Aufkärern der literarische Geschmack grundlegend verändert hat. So kommt es, dass zum Beispiel der Zürcher Breitinger sich folgendermaßen äußert:

Wenn ich nur an Lohensteins Trauerspiele gedencke, so überfällt mich Frost und Eckel, der gedultigste Mensch, der nicht zugleich dumm ist, möchte über dem Lesen dieser Tragödien die Schwindsucht bekommen.

1740 in „Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse„, zitiert nach dem Nachwort des Herausgebers Tarot, S. 285

Es ist bei Breitinger vor allem, was wir heute den ‚barocken Schwulst‘ zu nennen pflegen, an dem sich sein Ärger entzündet. Aber das ist nur ein Aspekt des kompletten poetologischen Wandels zwischen deutschem Barock und deutscher Aufklärung, wie Tarot im Folgenden seines Nachworts ausführt.

Tatsache ist: Die Kritik der Zürcher und der Leipziger hat dem Dramatiker Lohenstein den Garaus gemacht, denn im Folgenden stimmten auch die Romantiker in deren Verrisse ein. Erst die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte Lohensteins und der Barockdichtung Poetik zumindest verstehend nachvollziehen und die Stücke ein wenig rehabilitieren. Doch trotz des Umstands, dass im 20. Jahrhundert das Theaterpublikum, das durch Expressionismus, Dada, Brecht oder das so genannte experimentelle Theater nachgerade vorbereitet sein könnte, sind Versuche, Lohenstein wieder auf der Bühne heimisch zu machen, allesamt gescheitert.

Das liege, so Tarot, und es will mir durchaus einleuchten, an der radikal geänderten Poetik, der die Aufklärer, die Romantiker und auch wir heute anhängen. Ich habe irgendwo gelesen, Lohenstein würde der französischen klassizistischen Poetik folgen. Ich finde diese Bemerkung nicht mehr, aber sie stimmt so nicht. Die französischen Klassizisten verstanden die beschreibende Funktion der Poetik des Aristoteles als Regelpoetik und hielten sich vor allem an den vermeintlich einfachsten Teil derselben – die drei Einheiten von Zeit, Ort und Handlung. Schon daran hält sich Lohenstein, zumindest in der Sophonisbe, nicht: Er erlaubt sich in Zeit und Ort durchaus Sprünge. Eines aber ist bei ihm vor allem ganz anders als bei Aristoteles: Der barocke Dichter kennt die Tragik im aristotelischen Sinn nicht.

Für die alten Griechen war nicht gleich jeder Verkehrsunfall mit Toten ‚tragisch‘. Dieser heutige Missbrauch des Wortes ist bedauernswert. ‚Tragik‘ war bei den Alten auf die Bühne beschränkt. Da ihre Stücke allesamt Stoffe aus ihrer Mythologie behandelten, wusste das Publikum ja immer schon im Voraus, wie das Stück ausgehen musste. Spannung und Qualität wurden also nicht an der puren Handlung festgemacht. (Ich vermute, die alten Griechen würden einem heutigen Kriminalroman völlig verständnislos gegenüber stehen.) Es ging nicht darum, ob die Protagonist:innen eines Stücks zu Grunde gingen – es war eine Frage des ‚Wie‘. Das Schicksal hatte den Held:innen den Untergang bestimmt. Das wussten diese als beschränkte Menschlein – im Gegensatz zum hierin allwissenden und den Göttern gleichen Publikum – nicht und wehrten sich mit allen Kräften dagegen. Das war es, was die Antike unter ‚tragisch‘ verstand: Dass ein Mensch sein Schicksal erleiden musste, obwohl – ja, gerade weil – er oder sie sich mit Händen und Füssen dagegen gewehrt hatte.

Dies, wie gesagt, findet sich bei Lohenstein nicht. Zwar ist auch bei ihm der Ausgang der Tragödie vorher bestimmt – im vorliegenden Fall, weil Sophonisbe als Königin Karthagos während des Zweiten Punischen Kriegs tatsächlich existiert hatte, sie und Karthago aber auch tatsächlich untergingen. Doch ist das Stück weder ein Historiendrama noch eine Tragödie im antiken Sinn. Bei Lohenstein ist die Katastrophe, der Sophonisbe entgegen geht, nicht ‚tragisch‘ im antiken Sinn. Sophonisbe erleidet ihr Ende, weil sie eigensinnig nur auf ihren kurzfristigen Vorteil bedacht ist. An die Stelle rationalen Handelns und Denkens, das für Lohenstein göttlich sanktioniert ist, tritt bei ihr stures Insistieren auf einem einmal ins Auge gefassten Ziel. Lohensteins Stück statuiert ein ethisches Exempel – das wird auch klar gemacht dadurch, dass zwischen jedem Akt (Lohenstein nennt diese, nebenbei, bezeichnenderweise Abhandlung) allegorische Figuren wie der Krieg, die Narrheit usw. auf die Bühne kommen und die Handlung kommentieren. Lohenstein kommt im Grunde genommen vom mittelalterlichen religiösen Schauspiel her, wie es zu seiner Zeit als so genanntes Jesuitentheater der Gegenreformation noch existierte. Lohenstein verkleidet den religiösen Aspekt bis fast zur Unkentlichkeit – hierin ist er tatsächlich modern(er). Aber die moralisch-didaktische Funktion seines Dramas akzeptiert – Brecht zum Trotz – heute niemand mehr. Wir können sie (wieder) verstehen und literaturwissenschaftlich nachvollziehen. Auf der Bühne wird Lohenstein nicht mehr auftreten – so wenig wie das Jesuitentheater.

Insofern Literatur für Spezialist:innen.


Dennoch existiert von diesem Stück sogar eine kritische Ausgabe, nämlich ein noch heute im Buchhandel erhältliches Reclam-Heft:

Daniel Casper von Lohenstein: Sophonisbe. Trauerspiel. Herausgegeben von Rolf Tarot. Dietzingen: Reclam, 2021. (= RUB 14234)

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