Sallust: Historische Schriften

Muster in dunklem Olivgrün auf hellerem olivgrünen Hintergrund, an ein Mäander-Fries erinnernd, nur dass hier viele Friese nebeneinander gestellt sind. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Im Grunde genommen ist es eine ganz kleine Anzahl antiker Bücher, die in meinem Leben mitzählen; die berühmtesten sind nicht darunter. Mein Sinn für Stil, für das Epigramm als Stil erwachte fast augenblicklich mit Sallust – ich war mit Einem Schlage fertig. Gedrängt, streng, mit so viel Substanz als möglich auf dem Grunde, eine kalte Bosheit gegen das ›schöne Wort‹, auch das ›schöne Gefühl‹ – daran erriet ich mich.

Friedrich Nietzsche: Was ich den Alten verdanke

Nietzsche spricht hier zwar ausschließlich von Sallusts Stil, in dem er sich gefunden habe, aber ich bin nicht ganz sicher, ob er nicht auch noch ein bisschen mehr meinte, ein bisschen provozieren wollte.

Denn Sallust wird nicht nur in Bezug auf seine Sprache völlig unterschiedlich beurteilt. (Da ist es ja so, dass, was Nietzsche als gedrängt und streng lobt, von anderen als dunkel und allzu verkürzt eingestuft wird – und ich meine damit nicht nur die armen Lateinschüler:innen, die sich durch dessen Texte hindurch quälen müssen. Seine Vorliebe für veraltete Formen stieß schon dem einen oder anderen Zeitgenossen sauer auf.) Es ist vor allem sein Charakter, der – ebenfalls schon von seinen Zeitgenossen – als zumindest ‚schillernd‘ bezeichnet wurde.

Gaius Sallustius Crispus stammte aus einer vermögenden Familie aus italischem Munizipaladel mit Ritterzensus. Im Jahr 55 oder 54 v. Chr. bekleidete er die Quästur und wurde anschließend, wie üblich, in den Senat aufgenommen. 52 v. Chr. wurde er zum Volkstribun gewählt und trat als Parteigänger Caesars gegen Cicero in Erscheinung. Sallust war als populärer Politiker ein erklärter Gegner der Optimaten und somit vor allem auch Sullas. Das führte unter anderem denn auch zu seiner Entfernung aus dem Senat. Die war wohl einerseits tatsächlichem Fehlverhalten Sallusts zuzuschreiben (das nicht geringfügig gewesen sein konnte, denn so schnell wurde niemand aus dem Senat entfernt), aber auch seiner Parteinahme für Caesar. Im Bürgerkrieg kämpfte er auf Seite Caesars gegen Pompeius, ohne sich jedoch großartig auszuzeichnen. Dennoch erhielt er nach Caesars Sieg das Prokonsulat der Provinz ‚Africa Nova‘. Hier zeichnete er sich vor allem dadurch aus, dass er die Provinz ausbeutete wie noch kein Prokonsul vor ihm. Bei seiner Rückkehr kaufte er sich ein großes Anwesen in Rom und baute prächtig es aus. Es sollte später noch römischen Kaisern als Residenz dienen. Nach der Ermordung Caesars zog er sich aus der Politik ganz zurück und widmete sich im Folgenden der Geschichtsschreibung.

Darin sollte er nun – in einer seltsamen Volte, die ihm offenbar nur halb bewusst war – nun plötzlich die alten römischen Tugenden der Rechtschaffenheit und der Ehrlichkeit predigen. Schon seine Zeitgenossen fanden diese Kehrtwende, gelinde gesagt, seltsam. Hierin, wie in seiner ganzen Geschichtsschreibung, war Sallusts erklärtes Vorbild der Grieche Thukydides. Er versuchte dessen Korrektheit in allen Belangen, sei es moralisch, sei es als Historiker, nachzuahmen – offenbar ohne sich um eine Kongruenz zu seinem wirklichen Leben zu bemühen. Ebenso wenig erreichte er die technische Fähigkeit einer historischen Analyse des Thukydides oder dessen Kunst der Präsentation der Ereignisse. Das zeigt sich am besten in der Darstellung seiner Personen. Er versucht zwar, die Ambivalenz in Verhalten und Handlungen von Politikern und Feldherren nachzubilden, aber das Resultat ist, dass seine Personen völlig unmotivierte Kehrtwendungen um 180° vornehmen – gestern waren sie noch edel, heute sind sie Schurken; gestern waren sie die Blüte inkorruptiblen römischen Wesens, heute sind sie plötzlich geldgierig und lassen sich von jedem dahergelaufenen Warlord aus Afrika schmieren.

Dennoch gelingt es Sallust, vor allem im Jugurthinischen Krieg, das große Problem der sich dem Ende zuneigenden Römischen Republik aufzuzeichnen: die Bestechlichkeit der Senatoren, die dazu führte, dass der Senat (der eigentliche Regierungskörper) de facto in den meisten Fragen gelähmt war, und so das Römische Reich nicht mehr adäquat auf äußere oder innere Gefahren reagieren konnte.

Nur schon für diese Einsicht lohnt sich die Lektüre für historisch Interessierte.


C. Sallustius Crispus: Historische Schriften. Zürich / München: Artemis, 1978. Übersetzt von André Lambert. Aus dem Nachlass herausgegeben von Georg Schoeck. Mit einer Einleitung von Ernst Howald. [Der Auswahlband enthält Die Verschwörung Catilinas, Der Jugurthinische Krieg und Einige Bruchstücke der »Historien« (nämlich alle Teile der ansonsten nur fragmentarisch überlieferten Historien, die zumindest noch in sich geschlossen und ganz überliefert sind, weil sie in Lehrbücher der Rhetorik übernommen worden sind, als da – analog zum Vorgehen des Thukydides – sind: fiktive Reden und Briefe seiner Personen).]

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