‚White Noise‘ (auf Deutsch: Weißes Rauschen) bezeichnet in der Physik ein Rauschen (was wiederum physikalisch gesehen eine Störgröße mit einem breitem unspezifischem Frequenzspektrum ist) mit einem konstanten Leistungsdichtespektrum in einem bestimmten Frequenzbereich und kann mathematisch beschrieben werden. Ob das identisch ist mit dem, was wir in den 1970ern und 1980ern als ‚Weißes Rauschen‘ zu benennen pflegten, weiß ich nicht. Für uns damals war ‚Weißes Rauschen‘ jenes Geräusch, das aus den Radiogeräten drang, wenn wir an dem manuell zu bedienenden Sendersuchlauf drehten und gerade (eigentlich meistens!) zwischen zwei Rundfunksendern steckten. Modernere Apparate unterdrückten dieses Rauschen später; die heutige automatische Suchfunktion bringt sowieso nur noch Sender und kein Rauschen mehr. Auch bei den TV-Apparaten kannten wir noch ein weißes Rauschen: Das erklang jeweils, wenn die Fernsehsender am Abend aufgehört hatten, ein Programm zu senden und auch das Testbild nicht mehr gesendet wurde. Begleitet wurde das Geräusch durch ein Krisseln von grauen, weißen und schwarzen Punkten und Strichen in der Bildröhre, das wir ebenfalls ‚Weißes Rauschen‘ nannten.
White Noise, der Roman von Don DeLillo wurde 1985 publiziert, zu einer Zeit also, als man das Phänomen auch in den USA noch aus eigener Erfahrung kannte, ein sinnloses Begleitgeräusch des weiten Weltalls. Weißes Rauschen wird, wenn ich das richtig gesehen habe, zwar nie erwähnt, ist aber allgegenwärtig. Und zwar sind es gerade Rundfunk und Fernsehen, die dieses Geräusch produzieren – und dies, wenn sie senden. Nicht nur die in den USA allgegenwärtige Werbung ist es, auch und gerade die Nachrichtensendungen, die kaum Informationswert aufweisen. Dasselbe gilt für die Zeitungen und (Schund-)Hefte, die von den Hauptfiguren des Romans gelesen werden.
Schlimmer: Die Gespräche der Familie Gladney (deren Vater als Ich-Erzähler fungiert) sind im Grunde genommen nur weißes Rauschen. Kaum einer oder eine hört den anderen zu, allesamt verfolgen sie ihre eigenen Gedanken ohne sich wirklich auszutauschen. Das hindert sie aber nicht daran, jederzeit miteinander zu reden.
Selbst beruflich erbringt der Ich-Erzähler Jack Gladney nur weißes Rauschen. Er ist Dozent am lokalen College-on-the-Hill, Spezialist für Hitler-Studies, ein Fach (im Grunde genommen eine ganze Fakultät), das er selber dort eingeführt hat. Er gilt als Spezialist, weil er weit herum der einzige ist. Im Lauf des Romans wird das College eine internationale Tagung zum Thema ‚Hitler‘ veranstalten. Gladney versucht im Vorfeld verzweifelt, noch ein wenig Deutsch zu lernen, denn trotz seines Spezialgebiets spricht er kein einziges Wort dieser Sprache. Als die Tagung stattfindet, kann er die Teilnehmenden mit ein paar sinn- und zusammenhanglosen Sätzen auf Deutsch begrüßen; für den Rest der Veranstaltung aber versteckt er sich in seinem Büro.
Sein bester Freund ist ein gerade erst für das aktuelle Semester hinzu gezogener Kollege aus New York. Der versucht seinerseits, sich mit dem Fachgebiet ‚Elvis‘ (d.i.: Presley) zu etablieren, führt aber auch eine Veranstaltung durch zum Thema ‚Autounfälle in Film und Fernsehserien‘, wo er und die Student:innen stundenlang entsprechende Filmausschnitte anschauen.
Jack Gladney und seine Frau zeichnen sich beide vor allem dadurch aus, dass sie behaupten, riesige Angst vor dem Tod, bzw. dem Sterben, zu haben. Das geht so weit, dass die Frau (es ist seine vierte Frau, seine fünfte Ehe) fremd geht, um auf dem Schwarzmarkt Tabletten zu kriegen, die eben diese Angst unterdrücken sollen. Es stellt sich heraus, dass diese Tabletten einzig die Wirkung haben, süchtig zu machen und die Wahrnehmung der Süchtigen zu verformen. Der erste Erfinder und Produzent der Tabletten ist zugleich der Hauptsüchtige geworden. Diese ganze Geschichte erinnert in ihrer Absurdität an Philip K. Dicks Drogenroman A Scanner Darkly von 1977, einen Roman also, den DeLillo beim Verfassen von White Noise gekannt haben kann. Vor allem im ersten Teil finden wir bei DeLillo mehr Satire als bei Dick, aber absurd (anders ausgedrückt: postmodern) sind sie wohl beide, vor allem in ihrer Art, wie der einzelne Mensch auf seine Umwelt reagiert. Selbst der große Chemie-Unfall in der Nähe von Gladneys Haus ist für die Einwohner des kleinen Städtchens nur ein Grund, die stattfindende Evakuation zu einem nächtlichen Picknick zu verwandeln. Dass Radio und Fernsehen mit immer unglaubwürdigeren News zu den Wirkungen des ausströmenden Giftstoffs die Situation noch unwirklicher machen, gehört da natürlich dazu.
Alles in allem finden wir eine mal eher satirische, mal wieder düstere Darstellung des ‚American Way of Life‘ bei dem die Haupt- und Nebenfiguren mittels Konsumismus und Aktivismus grundlegende Ängste zu übertünchen suchen. Die Absurdität des durchschnittlichen US-amerikanischen Lebens in der Provinz, eben das Weiße Rauschen, wird immer von Neuem verdrängt. Mit noch mehr weißem Rauschen.
Das Buch gilt als Meisterwerk der Postmoderne und ich kann es nur empfehlen.