Johann Gottfried Herder: Briefe. Fünfter Band. September 1776-August 1788

Auf zwei Zeilen, etwas rechts von der Mitte, dunkelbraun auf beige, stehen die Worte: "JOHANN GOTTFRIED // HERDER". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

In Band 4 der Herder’schen Briefe hatten wir gesehen, wie Herder nach Weimar umgezogen war und sich dort langsam einlebte. Wir hatten uns auch gefragt, ob er Weimar als vorübergehende Station in seinem Leben betrachtete, dorthin also vor allem gezogen war, um aus der für ihn immer unangenehmeren Situation in Bückeburg wegzukommen, oder ob er Sinnes war, den Rest seines Lebens dort zu verbringen (wie es ja dann, ein paar Reisen ausgenommen, tatsächlich der Fall war). Die (erhaltenen!) Briefe der in Band 4 eingefassten Periode geben darüber keine Auskunft.

In Band 5 nun erleben wir einen Herder, den abermals die Lust zum Wechsel gepackt hat. In Hamburg stirbt Lessings Intimfeind, Hauptpastor Goeze, und Herder erkundigt sich unter der Hand nach den dortigen Konditionen und seinen Chancen. Die Antwort scheint nicht sehr befriedigend ausgefallen zu sein, denn Herder lässt das Thema fallen. Auch an der Universität Göttingen stirbt einer der drei Theologieprofessoren und die beiden andern zeigen Abgangsgelüste. Die Universität klopft in der Person von Christian Gottlob Heyne wieder bei ihm an. Zunächst vage interessiert, schreibt Herder aber schließlich einen ziemlich harschen Brief an Heyne mit der Bitte, ihn nicht mehr mit dieser Anfrage zu belästigen. (Das privat immer besser werdende Verhältnis der beiden sollte das allerdings nicht beeinträchtigen – ich komme noch darauf.) Schließlich interessiert sich auch Hannover noch für Herder. Auch da erkundigt sich Herder nach den Bedingungen, stellt es aber zum Schluss gegenüber seinem aktuellen Dienstherren, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach so dar, als ob das Interesse einseitig auf Seiten Hannovers gewesen wäre.

Denn, das muss man ihm zu Gute halten, Herder vernachlässigt seine Pflichten in Weimar keineswegs. Er stößt im Gegenteil eine Reform des Schulunterrichts an, für den er ja in seinem Amt als Ephor ebenfalls verantwortlich zeichnet. Seine Ideen dazu sind keineswegs idealistisch-überzogen, sondern sehr praktisch und berücksichtigen die lokalen Verhältnisse. So macht er zum Beispiel Vorschläge, wie Geld, das bereits ins Unterrichtswesen fließt, abgezogen bzw. umgeleitet werden könnte in Kanäle, wo es effizienter verwendet würde und die Qualität der Schule verbessern könnte. Tatsächlich folgt ihm der Herzog in diesen Vorschlägen.

Zu Goethe ist das Verhältnis so gut wie praktisch nie zuvor und wie nie mehr später. Selbst als dieser klammheimlich aus Karlsbad verschwindet, um in Italien wieder aufzutauchen, lesen wir kein böses oder hämisches Wort von den beiden Herders. Im Gegenteil: Herder kümmert sich während Goethes Abwesenheit liebevoll um die Weiterführung von dessen erster Werkausgabe – und dies neben all dem Ärger, den er selber hat mit dem Drucker der Bände II und III seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Dieser Drucker scheint ein früher Vertreter des heute so aktuellen ‚Just-in-Time‘-Managements gewesen zu sein – jedenfalls fehlt es ihm immer wieder am richtigen Papier und Herders Buch wird verzögert. Und auch wenn diese Briefe nicht überliefert sind, wissen wir aus Goethes Italienischer Reise, dass dieser seinerseits Herders Ideen gleich nach dem Erscheinen gelesen und positiv aufgenommen hat.

Der Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Jacobi intensiviert sich. Allerdings reagiert Herder dann sehr zurückhaltend, als Jacobi versucht, ihn in den mit Moses Mendelssohn vom Zaun gebrochenen Streit um Lessings Spinozismus bzw. Atheismus hinein zu ziehen. Schließlich verkehrt Herder ja auch sehr freundlich mit Mendelssohn. Mit dem Tod des Berliners hat sich für Herder der Streit dann sowieso erledigt, was er auch Jacobi mitteilt.

Boie verschwindet langsam aus Herders Gesichtsfeld. Er kondoliert ihm noch nach dem Tod seiner Frau im Wochenbett, das ist alles. Auch die Herders selber trifft nun das damals so häufige Schicksal. Bei der Geburt ihres siebten Kindes (des sechsten Sohnes) kündigt Herder dies noch voller Freude Heyne in Göttingen an und teilt ihm gleichzeitig mit, dass er ihn zum Gevatter ernannt habe. Doch dieses Mal weist Caroline nach der Geburt zum ersten Mal Beschwerden auf: Schmerzen, Taubheits- und Kältegefühl in der Brust. Aus ihren gemeinsamen Briefen geht nicht hervor, ob sie allenfalls das Neugeborene deshalb nicht stillen konnte wie ihre anderen Kinder. Jedenfalls stirbt der Kleine schon nach ein paar Wochen.

Einen anderen, für ihn mindestens ebenso schlimmen Todesfall muss Herder noch verkraften: Unerwartet stirbt sein erster und bester Freund Hamann, nachdem sich Pläne der beiden, sich endlich einmal wieder zu treffen, jedes Mal zerschlagen haben.

Herder lernt auch neue Leute kennen und befreundet sich mit ihnen. Der erste erhaltene Brief an Jean Paul Richter ist allerdings noch sehr neutral. Richter hat ihn nach einem Vorschlag für einen Verlag für eines seiner Bücher gefragt, aber Herder kann ihm nicht weiterhelfen. Im Moment noch wichtiger ist für ihn die Bekanntschaft mit Georg Forster, die er bei dessen Aufenthalt in Weimar schließt. Freundschaftliche und interessierte Briefe gehen im Folgenden nicht nur an Georg sondern auch an seine Frau Therese, die zusätzlich den Vorteil aufweisen kann, die Tochter des Freundes Heyne aus Göttingen zu sein.

Und dann ist da noch Johann August von Einsiedel, ein jüngerer Bruder des Weimarer Kammerherrn. Auch der lebt zeitweise in Weimar und ist wie sein Bruder Teil des so genannten Weimarer Musenhofs um Herzogin Anna Amalia. Allerdings ist er von ganz anderem Charakter als sein Bruder, will die Welt sehen und etwas erleben. Er macht sein ganzes Vermögen flüssig und reist mit zwei anderen Brüdern nach Afrika, wo sie dann das Innere dieses Kontinents erforschen wollen – ganz im Sinne Rousseaus auf der Suche nach den edlen Wilden. Eine Pest-Epidemie hält sie aber so lange in Tunis auf, bis ihr Geld zur Neige geht und sie nach Europa zurück kehren müssen. Dennoch wäre August gern noch einmal gereist, und als Herder von Forster erfährt, dass auch dieser Pläne wälzt zu einer weiteren Weltreise, schlägt er ihm August von Einsiedel als Begleiter vor. Letzten Endes realisieren sich dann Forsters Pläne auch nicht. Das ist nicht nur wissenschaftsgeschichtlich schade – es wäre auch interessant gewesen, mitzuverfolgen, ob und wie sich Forster und Einsiedel verstanden hätten. Immerhin würden beide später zu den wenigen deutschen Intellektuellen gehören, die die Französische Revolution auch dann noch befürworteten, als sich herausstellte, dass sie anfing, die eigenen Kinder zu fressen.

Band 5 der Herder-Briefe endet mit einem Paukenschlag. Herder teilt seinen Freunden mit, dass er demnächst im Gefolge des Domkapitulars Johann Friedrich Hugo von Dalberg selber Italien bereisen würde.

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