(Vorbemerkung: Es handelt sich hier um ein paar erste Gedanken, die ich mir gemacht habe als Einführung zu einem Referat, das ich an den diesjährigen Perry-Rhodan-Tagen in Sinzig hätte halten dürfen. „Hätte“, denn die Convention wurde leider abgesagt. Dass ich den Inhalt bis zur Tagung noch ein paar Mal geändert hätte, ist bei mir selbstverständlich. Dass ich dann fürs aktuelle Referat sowieso wieder vom Manuskript abgewichen wäre, auch.)
Eigentlich sollte es diesen Verlag nach den Gesetzen der Markt- und vor allem der Buchmarktwirtschaft wohl gar nicht geben. Man stelle sich einen Verlag vor, der nur einen einzigen Autor herausgibt, allenfalls noch Sekundärliteratur über ihn, und der den Namen des Autors gar im eigenen Namen trägt! Und dennoch ist es so, dass heuer der Karl-May-Verlag zu Radebeul und Bamberg 100 Jahre alt wird.
Dabei hätte man wohl schon bei der Gründung keinen Pfifferling auf sein langes Bestehen gesetzt. Als nämlich Karl May 1912 starb, war sein schriftstellerischer Stern in rapidem Sinkflug begriffen. Dafür gab es viele Gründe.
Da war einmal Karl Mays eigene, verfluchte Grossmäuligkeit, die ihn nicht nur dazu verführte, sich einen Doktor-Titel anzumassen, auf den er kein Recht hatte. (Er hatte „nur“ eine Lehrer-Ausbildung hinter sich, in einer Anstalt, die man damals „Lehrerseminar“ hiess – Anstalten dieser Art nennen sich heute in eigener Grossmäuligkeit „Pädagogische Hochschule“, wenn ich mich nicht irre.) Grossmäulig war es auch von ihm, zu behaupten, er spreche über 300 Sprachen und Dialekte – und er habe selbstverständlich alle Abenteuer von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand selber erlebt. Spätestens dies musste Kritiker reizen – und der Kritiker hatte May schon immer und schon immer viele. Reizen dazu nämlich, Mays Biografie genauer zu untersuchen. Und festzustellen, dass er ziemlich genau zur Zeit, als er Winnetou kennen gelernt haben wollte, in der Heimat in – einem Zuchthaus steckte. Denn May war als junger Mann tatsächlich auf bestem Weg, ein ziemlich schwerer Ganove zu werden; wenn auch die Bezeichnung „Räuberhauptmann“, die man bis heute auf ihn angewendet findet, ihrerseits Grossmäuligkeit der Kritiker ist – May war immer Einzeltäter.
Zusätzlich war May in seinen letzten Jahren in einen Rattenschwanz von Prozessen verwickelt. „Teils zog sie ihn, teils sank er hin“ – May war nicht an allen Prozessen selber schuld, aber sein Anwalt scheint mir in vielen Fällen bei der Beratung seines Klienten ein unglückliches Händchen gehabt zu haben.
Dann durfte May noch erleben, wie Kolportage-Romane, die er parallel zu seinen frühen Abenteuerromanen verfasst hatte, wieder aufgelegt wurden, weil Fischer, der Verleger, der die Rechte vom ursprünglichen Verleger übernommen hatte, trotz allem (zu Recht) noch immer darauf hoffte, dass der Name May „ziehen“ würde. Da Karl – dem Kolportage-Publikum angepasst – in diesen Romanen den einen oder andern Busen nur leicht verhüllt vorführte (viel mehr nicht!), war das Epithet „Schund und Schmutz“ sofort zur Stelle.
Last but not least hatte May auf seiner Orientreise von 1899-1900, der einzigen, die er tatsächlich machte, einen phyischen und psychischen Zusammenbruch (oder ein Erweckungserlebnis, man weiss bis heute nicht, was May genau passiert ist) erlitten. Dies machte, dass er sich von seiner Abenteuerschreiberei abwendete oder wenigstens abwenden wollte – denn die über Jahre verfestigte Schreibtechnik liess sich nicht mehr abschütteln und macht die Romane seiner letzten Periode zu einem kuriosen Mix von mystisch-symbolisch verhüllter Schreibweise und dem bekannten „Reiten-Gefangenwerden-SichBefreien-Reiten-Gefangenwerden-SichBefreien…“ seiner übrigen Werke. Es ist May aus heutiger Sicht aber hoch anzurechnen, dass er sich z.B. in Et in Terra Pax (Und Friede auf Erden) der kolonialen Grossmannssucht des Wilhelminischen Reichs verweigerte und ein Plädoyer für die Gleichberechtigung der Chinesen schrieb – sein Publikum allerdings vermochte ihm weder ideologisch zu folgen, noch goutierte es seine mystischen Exzesse.
May, zum Schluss seines Lebens überzeugter Pazifist, musste so vor seinem Tod noch miterleben, wie die Auflagenzahl seiner Werke stetig sank. 1913 dann trat Euchar Albrecht Schmid auf den Plan. Zuerst mit May ursprünglichem Verleger, Friedrich Ernst Fehsenfeld, später nur noch mit der Witwe Mays, Klara May, gründete und führte der gelernte Jurist in Radebeul einen Verlag für die Publikation seines heissgeliebten Autors. Der Verlag hiess ursprünglich noch anders, aber es ist der Rechtsvorfahr des heutigen Karl-May-Verlags. Euchar Albrecht hatte offenbar ein Händchen fürs Verlagswesen und für Marketing und Werbung. Unter seiner Regie wurden die Rechte für sämtliche Werke Mays in einem Haus vereinigt – und er machte May wieder zu einem boomenden Artikel. Schmid war kein Literaturwissenschafter, und so passte er Mays Texte gnadenlos dem Bedürfnis des Marktes an, bzw. liess sie durch Mitarbeiter anpassen, die sich Mays Stil perfekt anzueignen wussten. In dieser Tätigkeit gedeckt fühlte er sich durch einige Aussagen Mays, die eine Bearbeitung zu erlauben schienen und durch Klara May, die solche Bearbeitung ganz klar forderte – und juristisch gesehen die Berechtigung besass, mit den Texten ihres Mannes umzugehen, wie sie wollte. Das Zielpublikum des Verlags war nun die junge, männliche Bevölkerung; nicht der völlig Ungebildete (der würde kaum lesen), aber auch nicht der Intellektuelle (der ist May fast immer mit Verachtung begegnet).
Den Ersten Weltkrieg mit seiner Papierknappheit wie auch die nachfolgende Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise überlebte der Verlag mit Bravour. Als der Nationalsozialismus in Deutschland die Macht übernahm, wurde es heikel. Mays Texte hatten ja schon vor der Bekehrung von 1899 gewisse Rassen – z.B. die Indianer – in äusserst positiv geschilderten Gestalten hoch gepriesen; auch eine Rassenvermischung wurde nicht per se und aus Ideologie verurteilt, war doch z.B. Old Surehand ein Halbblut. Extreme Anfeindungen von nationalsozialistischen Ideologen waren ab 1933 die Folge. Diese Kritiker wurden allerdings immer wieder von „oben“ gestoppt. Man munkelte, Hitler persönlich habe Mays Bücher auf seinem Nachttisch stehen. Allerdings sah sich Schmid veranlasst, die eine oder andere Anpassung im nationalsozialistisch-rassistischen Sinn vornehmen zu lassen, war doch auch „in-house“ der Druck da. Nicht nur, dass einige seiner Bearbeiter stramme Nationalsozialisten geworden waren, auch Klara May hätte es gern gesehen, wenn ihr verstorbener Mann zum Propheten des Nationalsozialismus umgeschrieben worden wäre. Euchar Albrecht Schmid ist hoch zu loben dafür, dass er dem Druck einigermassen standhielt und die schlimmsten Exzesse zu vermeiden wusste – einige Werke Mays galten zur Zeit des Nationalsozialismus einfach als „vergriffen“, damit er sich nicht allzu sehr kompromittieren musste.
Dummerweise war, was den Verlag zu Hitlers Zeit schützte, nach dem Zusammenbruch des Tausendjährigen Reichs nun ein Hindernis. Der Karl-May-Verlag fand sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR wieder. Ob Hitler May tatsächlich so schätzte, wie es der im Osten beliebte Klaus Mann kolportierte, bleibe dahin gestellt. Tatsache ist, dass May nun nach mangelnder nationalsozialistischer Ideologie mangelnde sozialistische Ideologie vorgeworfen wurde. Wie kurz das Gedächtnis der Menschen und vor allem der Politiker manchmal ist, zeigt sich daran, dass es z.T. dieselben Personen waren, die nun ihr Kritiker-Mäntelchen in den andern Wind gehängt hatten und May genau die Existenz dessen vorwarfen, dessen Fehlen sie vor ein paar Jahren noch bemängelt hatten.
Der Verlag und sein Autor wurden zwar nicht verboten in der DDR, sie waren aber höchstens geduldet und Schmids Tätigkeiten wurden behindert, wo es nur ging. Klara May war unterdessen verstorben, und schliesslich gelang es Euchar Albrecht Schmid, bzw. dann seinen Söhnen Joachim, Lothar und Roland (ein vierter Sohn, Wolfgang, war im Krieg geblieben), den Verlag in komplexen Operationen in den Westen zu transferieren, nach Bamberg, der Stadt, aus der Euchar Albrechts Vater stammte. 1951 starb der Verlagsgründer, und die Söhne übernahmen den Verlag gemeinsam. 1959 war der Umzug in den Westen vollendet. 1963 erlosch die Schutzfrist für Mays Werke. Schon vorher stand mit Arno Schmidt ein prominenter Kritiker auf dem Plan, der die Text-Änderungen des Verlags anprangerte. Zu ihm gesellte sich der ehemalige Verlags-Mitarbeiter Hans Wollschläger, der nicht nur die erste May-Biografie in der Reihe von Rowohlts Monografien verfasste, sondern sich auch einer historisch-kritischen Ausgabe von Mays Werken widmete. Diese erschien zunächst im Greno-Verlag.
Die Karl-May-Filme der Sechziger Jahre sorgten nochmals für einen Boom im Verkauf von Mays geschriebenen Werken. Familiäre Zwiste unter den Brüdern lähmten aber den Verlag eine Zeitlang. Die Energie, die in Innovation hätte gesteckt werden sollen, wurde offenbar in interne Zwistigkeiten gesteckt – gegen aussen bot der Verlag das traurige Bild einer Institution, die seit Jahren dasselbe verkaufte, weil man es immer schon so gemacht hatte und es ja immer gut gelaufen war. In Tat und Wahrheit sank Mays Bekanntheit wieder; seine Werke begannen aus dem Sortiment der Buchhandlungen zu verschwinden.
Endlich gelang es Lothar Schmid, seine Brüder bzw. deren Erben (Joachim war 1990 verstorben) auszukaufen, und zunächst alleine, ab 1993 zusammen mit seinem Sohn Bernhard, den Verlag weiterzuführen. Einem weiteren Kreis ist Lothar wohl eher als Schachgrossmeister bekannt, einem noch weiteren als Schiedsrichter der legendären Weltmeisterschaft zwischen Bobby Fischer (USA) und Boris Spassky (UdSSR) von 1972, die ohne Schmids diplomatisches Geschick wohl gescheitert wäre.
Mitten im Jubiläumsjahr nun ist Lothar Schmid verstorben und sein Sohn führt die Geschäfte alleine weiter. Der Verlag hat seine Innovationskraft wieder gefunden und ist offenbar daran, sich neu zu erfinden. Er hat mittlerweile die historisch-kritische Ausgabe Mays zu sich genommen und so eine alte Feindschaft beendet. Dass mit solchen Ausgaben keine Blumentöpfe zu gewinnen sind, weiss er selber: Mit Hilfe von Cartoons und anderem wird versucht, Mays Bekanntheit bei der Jugend wieder zu steigern und so eine neue Generation von May-Aficionados heranzuziehen. Die Reihe der grünen Bände von Mays Werken, deren Nennung bei jedem May-Liebhaber glänzende Äuglein hervorruft, ist mittlerweile um verschiedene Bände (auch mit Briefwechsel Mays) ergänzt worden.
Der Hundertjährige scheint also noch sehr vital zu sein, und ich möchte es dem Phänomen „May“ wünschen, dass es ihn noch lange gibt.
PS und à propos „Grüne Bände“. Nur bei mir gibt’s jeweils keine gänzenden Äuglein: Ich habe in meinem ganzen Leben nie einen Band von Mays Werken in dieser Ausstattung besessen. Meine erste Bekanntschaft mit May fand statt über einen Band der Jubiläums-Ausgabe von 1963. Später folgten Ausgaben diverser Buchklubs, Ueberreuter-Taschenbücher oder auch weitere Bände aus der Jubiläums-Ausgabe. „Die Grünen“ waren nie dabei. Auch heute stehen nur ein paar den „Grünen“ nachempfundene Bände über May bei mir.
PPS und à propos „Mystisch-symbolisch“. Dieser Begriff verlangte nach einer genaueren Definition. „Symbolisch“ nannte May selber Schreibweise und Inhalt seiner Spätwerke; „den letzten Grossmystiker“ nannte ihn darob Arno Schmidt. Beide verwenden ihre Begriffe nicht im handelsüblichen Sinn. Doch dem nachzugehen, wäre Thema einer Seminararbeit an einem germanistischen Seminar. Bzw., in den heutigen Zeiten der Grossmäuligkeit, einer Bachelor-Arbeit…
PPPS. Die Leser und Blogger sind gerade daran, den Begriff „Indie“ aus der Pop-Musik für sich bzw. für von grossen Verlagsketten unabhängige Autoren und Verleger zu entdecken. Der Karl-May-Verlag ist nun 100 Jahre alt und seit 3 Generationen fest in Familienhand. Das nenne ich fürwahr „Indie“. (Zu schweigen davon, dass wohl nur der Karl-May-Verlag Indie-anergeschichten publiziert, und wohl nur der Karl-May-Verlag das Portrait eines Indie-anerhäuptlings als Markenzeichen führt.)
PPPPS und nochmals seriös. Für den historischen Hintergrund habe ich die im Karl-May-Verlag (wo sonst?) erschienene Festschrift „100 Jahre Karl-May-Verlag“ konsultiert. Allfällige Fehler sind aber meine.
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