Vor ein paar Tagen (genauer: am 7. November) jährte sich der Geburtstag des französischen Philosophen und Schriftstellers Albert Camus zum hundertsten Male. Obwohl in irgendeinem Gratulationsartikel davon gesprochen wurde, dass dieser Jahrestag wohl der sei, der dieses Jahr am meisten Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt hervorgerufen habe, will mir scheinen, dass Camus‘ Geburtstag doch relativ unbemerkt an der Öffentlichkeit vorbeigegangen ist. Zumindest an der deutschsprachigen.
Ich wiederhole mich, aber: Vermutlich liegt das daran, dass die Philosophie, die man mit Camus‘ Werken in Verbindung bringt, der Existenzialismus, heute weder modern noch postmodern ist.
Camus war der Stern meiner Jugend. Nicht Hesse, den ich erst später kennen gelernt habe – zu spät, um ihm noch etwas abgewinnen zu können –, sondern Camus war der erste Autor nach Karl May, den ich wirklich verschlungen habe. Vorher hatte ich bereits Kierkegaard (zwar nicht verschlungen, aber doch) gelesen (zu lesen versucht ;)), und so fand ich mich bei Camus vor der faszinierenden Tatsache, dass des ziemlich genau 100 Jahre älteren Kierkegaard Sprung in den Glauben auch ins – Nichts führen kann. Bzw., dass der Mensch doch auf sich selber zurückgeworfen bleibt.
Camus‘ Neuinterpretation des Mythos des Sisyphos verstand ich dahingehend, dass der Mensch sich prinzipiell einer sinnlosen, ja quälenden Aufgabe gegenüber gestellt sieht (in Form des Lebens), dass er aber dieser Aufgabe gegenüber (hohn)lachend, ja fröhlich eingestellt sein könne und müsse, um so die Aufgabe und das Leben ad absurdum zu führen. Welche Einstellung könnte einem pubertierenden, an der Welt, den Menschen und seinen Eltern verzweifelnden Jungen besser gefallen!?! (Vor diesem Hintergrund wird es nicht erstaunen, dass ich mir praktisch im selben Atemzug dann auch die absurden Dramen eines Beckett oder Ionesco zu Gemüte führte. Der Existenzialismus war für mich immer eine Art, wie der Mensch mit der Absurdität des Lebens umging. Bei dieser Einstellung wird es auch nicht wundern, dass ich mit Sartre oder Malraux stets weniger anfangen konnte, als mit dem Nordafrikaner Camus.)
Daneben las ich meine Autoren schon immer eklezistisch. Dass Camus Dostojewskijs Roman Die Dämonen zu einem Drama umgestaltete, und warum, interessierte mich als Jugendlichen angesichts der mir bekannten christlichen Grundeinstellung des Russen nicht. (Dostojewskij selber interessierte mich kaum, aus demselben Grund. Nur den Spieler, als vielleicht existenzialistischsten russischen Roman – in meiner Interpretation des Existenzialismus – mochte ich.) Camus‘ Pest habe ich bis heute ausgelassen; den Fremden aber mag ich wegen der Schilderung der unmenschlichen Sonne und Hitze im subtropischen Raum, die Camus gelungen ist wie keinem. Dass Camus‘ Philosophie in Teilen inkonsistent ist oder seine politische Einstellung eher naiv, störte mich als jungen Menschen nicht. Heute sehe ich sie ihm nach, wie man der geliebten Frau nachsieht, dass sie seit Jahrzehnten völlig unmögliche Hüte trägt. Ja, vielleicht liebt man die Frau mittlerweile gerade wegen ihrer Hüte…